von Johanna Grüblbauer and Jan Krone, 15.10.15
Seit nunmehr rund 20 Jahren versuchen Verlage mit traditionell tages- und/oder wochenaktuellen Informationsangeboten unterschiedlich intensiv entgelt-basierte Modelle zur Erlösgewinnung im Online-Geschäftsmodell für Journalismus zu implementieren. Das aus der analog ausgerichteten Medienwirtschaft erfolgverwöhnte Modell der Querfinanzierung via Werbevermarktung wurde übertragen, ist aber für den Online/Mobile-Bereich – mittlerweile – anerkannt „kaputt“. Und das nicht nur für den sich stark entwickelnden Nachfragemarkt „Mobile“, sondern bereits seit geraumer Zeit ebenso für den stationären Desktop-Online-Markt. Nicht nur die Marktmacht von Suchmaschinen/Social Media-Sites oder die mangelnde Akzeptanz durch das Publikum haben zu Marktversagen geführt; die Ursachen rühren schlicht aus dem Überangebot von Werberaum (und damit dem Verfall der tatsächlich bezahlten Preise abseits von statistisch erfassten Bruttowerbeaufwendungen) her wie aus der Netz-immanenten Option der direkten Kundenansprache seitens der Unternehmen.
Werbung nicht der zuverlässige Partner
Wie bisher steuert kaum ein Teil des Publikums journalistische Angebote ob der sie umgebenden Werbeschaltungen an. Neu ist aber, dass Werbung Online nicht mehr wie in Printmedien fix an einen bestimmten, sie umgebenden Content gebunden ist. Als besonders wirksam zeigen sich daher aktive, softwaregestützte Werbevermeidungsstrategien, die vielfach den Nutzen des genuinen Nutzenanlasses “Informations- und Unterhaltungsbedürfnis“ sogar noch aufwerten (Ladezeiten, fokussierte Nutzung). Derartige Mediennutzungssituationen als Grundlage für die Geschäftsmodellentwicklung führen ein stoisch angewandtes Tausenderpreis-Paradigma ad absurdum und offenbaren die Unzulänglichkeiten einer aus der analogen Medienwelt übernommenen Vorgehensweise. Ausnahmen bilden hier die langsam einsetzende Umorientierung auf „Cost-per-X“-Abrechnungseinheiten des Direktmarketings sowie die Classified-Sektionen der Verlage und ihrer verbundenen Tochterunternehmen.
Paid Content-Modelle in Verlagen
Die sichtbaren Veränderungen im Management der Verlage weisen bereits heute eine Vielzahl an unterschiedlichen Modellen zur Monetarisierung von journalistischen Inhalten auf, deren Aufzählung hier ebenso ausgelassen werden soll wie deren Akzeptanz durch das Publikum qua Sozialisation nicht prophezeit werden kann. Folgt man Brancheninformationen, reichen die Erlöse jedoch bei weitem nicht an das Volumen analoger Marktbearbeitung heran. Und das, obwohl die Nachfrage nach journalistischen Informationsangeboten in Summe so hoch ist wie praktisch nie zuvor.
Da sich Ansätze wie die der Stiftungsfinanzierung oder Crowd-Funding für den kommerziellen Verlagsbetrieb schlecht eignen und mehr dem nicht-kommerziellen Sektor des Journalismus vorbehalten bleiben, wird – neben dem aus der Not geborenen, dysfunktionalen Umdeuten von Schleichwerbung hin zu „Native Advertising“ – vermehrt zu Parallelgeschäften wie dem des Corporate Publishing oder zur Syndication bereits erstellter Inhalte für Plattformen wie beispielsweise FreeMail-Portale oder auch Kreuzfahrtschiffslinien tendiert. Hier kommen jedoch vermehrt große Verlagsunternehmen zum Zug, als dass es als eine branchenweite Option auch für Lokal- und/oder Regionalverlage darzustellen im Stande ist.
Vertikale Integration zur Erlössteigerung
Unvermindert bleibt allerdings die Frage nach dem für „Journalismus Online“ funktionablen Geschäftsmodell als Schlüsselthema bestehen, setzt doch das Mantra einer redaktionellen Unabhängigkeit ausreichende Mittelflüsse des Publikums voraus. Aus Gründen der stärkeren Nutzung von Ertragsmöglichkeiten war eine Rückwärtsintegration der Verlage traditionell durch eigene Druckereien gesichert, eine Vorwärtsintegration durch eigene Vertriebsstrukturen. Bei TV- und Hörfunkveranstaltern zählen die Vertragsbeziehungen zu technischen Vertriebsdienstleistern zu den vertikalen Integrationsbestrebungen. Das Verbreitungsmedium ist bei traditionellen Medien zentral für die Wertschöpfung. Diese Rolle nehmen im Zuge der digitalen Distribution nun Provider elektronischer Medien und damit gekoppelten Dienstleistungen wie Internetzugang und Telefonie als neue Intermediäre ein.
So lohnt es sich auf eine von der Verlagsbranche in der Breite noch nicht antizipierte Kooperations-Option hinzuweisen: der vertraglich vereinbarten Auslieferung ganzer Titel über im Markt fest verankerte Netzwerkprovider wie Kabelgesellschaften, Satellitennetz- oder Mobilfunkunternehmen sowie WLAN-Betreiber, die bereits einer Vielzahl von Fernsehsendern und Radioprogrammen einen gesicherten Vertrieb Millionen überregional oder Hunderttausenden regional angesteuerten Endgeräten/Haushalten gegen Entgelt garantieren. Der Vertrieb kann über Kundenkonten auf die generische Website, als WLAN-Freischaltung und/oder Applikations-gebunden via SmartTV/Tablet/SmartPhone erfolgen.
Die aus den Überlegungen zu einer Internet-Ökonomie bekannten Überzeugungen wie das Erreichen spezifischer kritischer Massen, Lock-In-Effekte sowie der Aufbau von Business-Webs ermöglichen exakt diese Voraussetzungen für den gebündelten Vertrieb, der ein Kernerfolgsmerkmal des Tages- und Wochenzeitungsverlagsgeschäfts (synonym Publikumszeitschriften) ausmacht. Zudem werden die Verlage von den schwer kalkulierbaren Handlingkosten des einzelnen Artikelvertriebs im Onlinesektor entbunden.
Ein weiterer Vorteil von Netzwerk-Vertriebsstrukturen gegenüber auf Einzelstücke abstellende Plattformen – wie sie Vertriebskooperationen von Apple, Facebook & Co. angestrebt werden – liegt in der nicht zwingenden Verwässerung von ursprünglichen Redaktions-Marken.
Pay-TV 2.0 in der Fernsehbranche
Die Digitalisierung der Verbreitungswege hat in der jüngeren Vergangenheit zu einer Hausse des Pay-TV im deutschsprachigen Raum geführt, die in dieser Form unter analogen Technologie-Umgebungen nicht vorstellbar gewesen wäre. Nahezu alle großen Sendermarken versorgen das geneigte Publikum gegen Entgelt mit vielen Auskopplungen ihrer Marken. Die Angebote/Sender, also Medienmarken, werden im Bündel verkauft.
Die medienwirtschaftliche Verbindung der Geschäftsfelder von Netzwerkprovidern und den mit der Kernaktivität „Journalismus/Unterhaltung“ operierenden Unternehmen ist eine offenkundig komplementäre und fördernde Verbindung beider Partner: Während Netzwerkprovider nahezu überall verfügbar sind („always on“), ein Einloggen selbstverständlich ist, die Abrechnung und Rechnungslegung durchgehend und ohne Alternativen sozialisiert ist sowie über eine professionelle Infrastruktur verfügt wird, ergänzen Medienunternehmen die Attraktivität der Netzwerkprovider: Sie verfügen über Inhalte, genießen eine hohe Publikumsbindung via Markenstärke und haben redaktionelles Know-How.
Adaption bestehender Business-Webs durch Verlage
Die Knüpfung neuer Vertriebsverträge im digitalisierten Medienmarkt ist imstande quasi-direkte, regelmäßig wiederkehrende nutzungsunabhängige Erlösdimensionen in vielfältiger Bündel-/Paketform zu heben und stellt keine ausschließlich Rundfunkunternehmen zugängliche Geschäftsmodelltypologie (mehr) dar. Der Medienwandel hat bekanntlich dafür gesorgt, dass sich vormals voneinander getrennte Mediengattungen auf Augenhöhe im hybriden Kommunikationssystem wiederfinden und es neue medienökonomische, publizistische und mediennutzungsspezifische Gesetzmäßigkeiten zu berücksichtigen gilt. Der gebündelte Vertrieb von journalistischen Verlagsprodukten stellt die konsequente Fortführung begonnener Paid Content-Strategien dar, die an die eigene Marke gebunden sind. Auf diese Weise erhöhen sich die Erfolgsaussichten für die Verlagsunternehmen über die Summe der genutzten Erlösoptionen.
Medienpolitische Effekte
Dazu bestünde, bei einer breiten Anwendung dieser Vertriebsoption, Lösungspotential für eine Reihe medienpolitischer Agenden wie den Diskussionen über Auffindbarkeitsregelungen, der urheberrechtlichen Genügsamkeit geschützter Werke, der Obsoleszenz eines Leistungsschutzrechtes und ggf. noch einiger weiterer Probleme.
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