#Bezahlinhalte

Nirgends dumme Nutzer, kein Artenschutz

von , 14.10.09

Sind Bezahlangebote der langersehnte Schlüssel zum Verlegerglück im Netz? Zuletzt war immer wieder zu hören, dass die Qualitätsinhalte der deutschen Zeitungs- und Zeitschriftenverleger demnächst etwas im Netz kosten sollen. Qualität sei eben im Netz nicht zum Nulltarif zu haben, wie etwa WAZ-Geschäftsführer Bodo Hombach kürzlich erklärte.

Deutsche Zeitungs- und Zeitschriften-Verleger tun sich schwer mit Schritten ins Internet und noch schwerer damit, online weiterzulaufen. Sie stellen freud- und phantasielose Dubletten von Printprodukten ins Netz, rufen nach Webwerbekunden und folgen ansonsten ihrem Trott, darauf hoffend, in der digitalen Welt gehe alles so weiter wie in der analogen. Doch jedes surfende Kind weiß, dass das Netz ganz anders aussieht und weder starr ist, noch Starre zulässt. Die Technologien verändern sich permanent und mit ihnen die Aktivitäten der Nutzer.

Nirgends Fertigware, nirgends dumme Nutzer

Software, Applikationen, digitale Texte, Töne, Bilder und Bewegtbilder stellen keine Fertigprodukte dar wie eine gedruckte Zeitschrift oder ein Kühlschrank. Sie sind vielmehr Angebote auf Zeit, jederzeit modellier- und kopierbar. So wie Open Source-Software werden einst als unberührbar geltende, enzyklopädische Artikel bei Wikipedia in Gruppenarbeit erstellt und ständig überarbeitet. Wikipedia-Texte sind nie fertig, sondern vorläufige Ergebnisse kollektiven Wissensaustauschs und bewiesenermaßen nicht schlechter als die Artikel, die einst nur in dicken Folianten standen. Auch journalistische Artikel verlieren im Netz ihre Endgültigkeit, sobald sie durch angefügte Kommentare Einschränkungen oder Erweiterungen durch Dritte erfahren.

Die Onlinenutzer lernen genauso schnell mit neuen Softwareumgebungen zurechtzukommen wie die Inhaltelieferanten und mutieren selbst zu Inhaltemixern und Inhalteproduzenten. Sie sind kritisch, pragmatisch, onlinekompetent und wissen, wo sie allerbeste Netzware gratis finden. Sie sind so dreist, geklaute fremde Werke und so großzügig, eigene Werke gratis im Netz zu verteilen. Sie posten Fotos, Filme, Texte in Blogs, Foren und Wikis, wobei einige ihre Autorschaft verschleiern. Auch anonymes Einstellen ist ein Charakteristikum des Webs. Aber das stört viele Nutzer nicht, solange die Downloads umsonst sind. Außerdem verweisen anonym eingestellte Inhalte nicht zwingend auf einen Qualitätsmangel. Was hier fehlt, ist bloß die Qualitätsgarantie. Für diese stehen von jeher die Verlage. Sie ist das Pfund, mit dem sie nun auch im Web wuchern wollen.

Qualität als Verkaufsargument?

Off- und online achten Verleger darauf, dass unter ihren Labels sogenannte Qualitätsinhalte stehen. Qualität ist ein Wert, von dem Verleger glauben, er werde im Netz von vielen Nutzern und daher auch von vielen zahlenden Werbekunden geschätzt. Also digitalisieren sie hochwertige Druckwerke und verschenken sie online. Mit ihren Gratisangeboten treten sie zu den Unternehmen in Konkurrenz, die digitalen Content an Endnutzer verkaufen wollen und kannibalisieren sich obendrein selbst. Dass die Verleger sich eher an Gratisgiganten wie Google oder privaten Blogs als an Inhaltehändlern orientieren, zeigt, dass sie der (Geld-)Anziehungskraft ihrer Qualitätswerke offenbar doch nicht trauen.

Aktuell ist nicht der Mangel an Qualitätsinhalten im Netz das Problem von Verlagen und Nutzern. Was derzeit bedroht ist, sind liebgewonnene Berufsbilder und Werkabläufe sowie die Arbeitsplätze von Verlagsangestellten und die Verträge freier Mitarbeiter. Genau deshalb könnte langfristig aber auch der Nachschub an guten Inhalten gefährdet sein. Mangelnde Einkünfte für Inhaltehersteller heute könnten übermorgen zum Qualitätsverlust im Print- und im Onlinebereich führen. Wer zahlt denn in Zukunft für Qualität, wenn Werbekunden sich nicht beliebig klonen lassen und Nutzer sich mit irgendwelchem Gratiscontent zufrieden geben? Diese Gretchenfrage stellen sich alle, die mit publizistischen Werken Geld verdienen wollen. Die meisten Antworten entbehren Esprit und Weitsicht.

Plattformen wie Bertelsmanns Lycos, Holtzbrincks Zoomer oder die Handy-TV-Offensive der Neva Media GmbH von 2008, an der Burda und Holtzbrinck beteiligt waren, kommen und gehen, und meist wurden alle Güter sowieso verschenkt, als gebe es kein Morgen. Verlage kreieren für fast jedes Printprodukt eine eigene Webseite.

Experimentieren als Tugend

Diese Hängepartien lassen sich nur teilweise mit der beweglichen Natur des Internets begründen. Verleger sichern ab, was sie haben, drücken sich vor den Herausforderungen und unterdrücken ihren Mut zu Experimenten. Doch sie und ihre Nachfahren haben nur eine Chance, wenn sie sich in den Strom der Technologie und der Nutzer, die einst Leser hießen, hineinbegeben und einsehen, dass sie den Strom nicht bremsen, sondern allenfalls kanalisieren können. Statt beim Schwimmen die Augen zu schließen, müssen sie a) die Onlinegegebenheiten genau analysieren und b) an den Nutzerwünschen entlang zukunftsweisende Technik- und Erlösmodelle ausprobieren.

Im Netz ist Experimentieren ist eine Tugend. Dabei verschleißt sich und macht sich nur unglaubwürdig, wer alles wahllos austestet. Niemand verliert das Gesicht, wenn er sein innovatives, aber unbrauchbares Erlösmodell durch eine infolge von Kundenbeobachtungen und -dialogen nachgebesserte Variante ersetzt und diese stets weiterentwickelt.

Suchmaschinen mutieren zu Werbemaschinen, Buchhändler werden zu Geräteherstellern, soziale Netzwerke zu Kaufhäusern und Games zu sozialen Netzwerken. Wenn es sich für die Süddeutsche und die FAZ derzeit rechnet, die Archive zu schließen und via Download- und Abosystem zu vermarkten, muss das ebenso wenig in Ewigkeit gelten wie die Werbefinanzierung der Gratisangebote von Spiegel Online oder StudiVZ. Apps und Inhalte müssen nicht für alle Zeit gratis angeboten werden.

In einem EPD-Artikel zitiert Hombach die apodiktischen Propheten: „Der Zug ist abgefahren, “ oder „leider nicht mehr machbar.“ Wieso denn nicht? Im Umweltschutz funktioniert das gute Argument der Nachhaltigkeit doch auch. So mancher, der in 30 Jahren noch frische Luft, Wasser und andere Energien genießen will, achtet freiwillig auf die Umwelt. Dass die neue Umwelt Internet mit ihren journalistischen und anderen Schätzen ebensolchen Artenschutz verdient, der manchmal auch Geld kostet, weiß gerade die überschaubare Gruppe von Bildungsbürgern, die sich überhaupt für Verlagsprodukte interessiert. Aber selbst zahlwillige Onliner wollen neben vortrefflichem Content, der womöglich parallel gratis flotiert, triftige Argumente hören, die dessen Kauf rechtfertigen.

Erlösmodelle rund um Inhalte

Derzeit wird im Bereich publizistischer Inhalte mit folgenden Kern-Erlösmodellen jongliert:

  • werbe- und suchmaschinenwerbefinanzierte Gratisinhalte für Endnutzer,
  • Downloadmodell (per Artikel, per Blatt, per Monat, per Jahr etc.)
  • Abonnementsysteme (mit oder ohne Kopplung an Abonnements gedruckter Formate)
  • Fremiummodell (Basisinhalte sind frei, Premiuminhalte kosten)
  • Brokermodell (Verkauf themenspezifischer, aggregierter Inhalte)
  • White-Labels (Verkauf eigener Publikationen an Dritte)

Über Online-Flatrates und Print-Online-Flatrates werden im Konzert mit gesetzlichen Leistungsschutzrechten diskutiert. Und richtig ist es, weiterhin an Mustern zu stricken, die digitale Inhalte mit Zusatzanreizen, etwa Forumsdienste oder Exklusivangebote, verbinden, um so Kaufargumente zu generieren. Solche Offerten werden am besten zusammen mit den Nutzern und nicht an ihnen vorbei definiert. In der Online Game-Branche funktioniert das sehr gut. Spieleverleger und Spieler bilden eine Community, in der Produkt- und Preispakete verhandelt und getestet werden, die beiden Seiten gerecht werden.

Visionen und Strategien als Handlungsrahmen

Technologische und ökonomische Online-Experimente sind notwendig. Doch allein führen sie nicht weit, allenfalls zur Verwässerung von Marken und zur Verwirrung der Nutzer. Experimente sind nur sinnvoll, wenn sie unter einer visionären Klammer ablaufen und Etappen langfristiger Strategien darstellen. Visionen und Strategien zu formulieren ist die weitere große Herausforderung der Digitalwelt.

Neben ihren zahlreichen Einsparungsmaßnahmen setzt die New York Times Company auf eine Technikstrategie. Über den Times Reader 2.0 verkauft sie für 3,45 US-Dollar pro Woche die gedruckte Times-Ausgabe im Paket mit Videonews, Suchfunktionen und interaktiven Kreuzworträtseln. Der Verlag stellt neben RSS-Feeds auch Schnittstellen zu Times-Inhalten bereit. So erhält jemand, der beispielsweise über Netflix einen Film ausleiht, über die Movie-Reviews-API Times-Kritiken und weitere Informationen zum Film. Widgets wie Wetterdienste können in personalisierte Webseiten eingebaut werden, auch regional relevante und andere smarte Mobilapplikationen werden angeboten.

Die New York Times verlegt den Fokus also von der Inhalteherstellung zur Entwicklung von maßgeschneiderten Digitalformaten und rechnet damit, dass Werbe- und Endkunden das eines Tages bar honorieren werden. Rupert Murdoch setzt für seine News Corp. weiter auf Inhalte und folgt dabei einer Portfoliostrategie. Er nutzt den Vorteil, verschiedene Plattformen zu besitzen, um unterschiedliche, digitale Wege zu gehen, die den Konzern insgesamt absichern sollen. So finanziert er das Wall Street Journal über Abonnenten und MySpace aus Werbeerlösen und Einnahmen aus Printprodukten. Bis Sommer 2010 will er alle News aus der Times,  der Sun und aus News of the World kostenpflichtig anbieten. Diverse Einnahmemodelle werden ohne Berührungsängste kombiniert.

Gemeinsame Bezahlplattformen

Eine weitere Strategie ist die Plattformvermarktung. In den USA können Verlage ihre Websites mit der E-Commerce-Applikation von Journalism Online bestücken. Journalism Online erlaubt es Nutzern nach einmaliger Registrierung, über eine jährliche, monatliche, pro Tages- oder Einzelartikel-Zahlung hochwertige Inhalte aller beteiligten Verlage abzurufen, die Einnahmen werden geteilt. Im August 2009 sollen laut Journalism Online über 500 Zeitungen, Magazine und andere Seiten über die Plattform vertreten und 90 Millionen Unique User erreicht worden sein. Ein konzertiertes Vorgehen von Verlegern kann strategisch klug sein.

Auch deutsche Verlage könnten eine oder mehrere gemeinsame Bezahlplattformen für journalistische oder andere Inhalte schaffen. Doch sobald ein Verlag, zum Beispiel der werbefinanzierte Spiegel, ausschert und vergleichbare Inhalte weiter gratis liefert, scheitert der Plan an der Mehrheit der zahlunwilligen Nutzer, die dann die kostenfreien Spiegelseiten anklicken würden.

Nach ihrer Strategie befragt, bemühen deutsche Verleger gern den Begriff Qualitätsjournalismus und ähnliche Wortbildungen, in denen das Wort Qualität vorkommt. Da einigen der Begriff wohl längst selbst spanisch vorkommt, jubeln sie nun wie erlöst, als einer der ihren die Bezahlcontentstrategie ausruft, also gewiss nichts Neues und schon gar nicht die „wichtigste medienpolitische Initiative seit Jahrzehnten,“ wie Bodo Hombach sie in freudscher Verwechslung von Politik mit Wirtschaft nennt.

Springer-Vorstandschef Döpfner gibt sich als Experimentator, und das steht ihm gut zu Gesicht. Doch wird er für das Falsche gelobt, dafür, dass er Nutzer für Online-Regionalzeitungen, mobile Internetinhalte und iPhone-Applikationen namens bild.mobil oder welt.mobil bezahlen lassen will, während auch Focus und FAZ bereits an mobilen Bezahlangeboten basteln. Döpfners Ansage lässt das Ringen um eine Strategie erkennen und ist lobenswerter Vorstoß, aber sicher nicht der Wurf, der weit in die Zukunft zielt.

Müssen Verlage so wie Google oder Apple werden?

In der Diskussion über Döpfners Vorstoß gegen den “Gratiswahn” geht unter, dass der Springer-Verlag bereits ein innovativeres und Erfolg versprechenderes Konzept verfolgt. Der Konzern betreibt seit 2007 ein Geschäft mit eigenen Handytarifen. Verkauft der Verlag unter der Marke BILDmobil eine Prepaid SIM-Karte, koppelt er eine inhaltliche (BILD-Mobilportal) an eine technologische Leistung (Telefonie). Springer arbeitet hier mit moconta, einem Gemeinschaftsunternehmen von Vodafone und der Arvato Mobile GmbH zusammen. Auch solche Verbindungen kennt die Digitalwirtschaft bereits, etwa beim iPod oder Amazons Kindle.

Inhalteanbieter werden in Zukunft nicht um Kooperationen untereinander sowie mit Technikanbietern und Telekommunikationskonzernen herumkommen. Sie werden sich sogar um unorthodoxe Kooperationen reißen, nachdem ihre Strauchelstrategien misslungen sind. Kommen die Verleger im Dialog mit ihren Nutzern nicht auf inhaltlich und technisch mutige Konzepte, werden ihnen als erste die Telekommunikationsanbieter und Netzbetreiber die Inhalte aus den Händen nehmen und sie als Beigabe zu ihren Diensten verschenken. Qualitätsinhalte verkommen dann zu Marketinggimmicks der Telkos, und Unternehmen, die sich dann immer noch Verlage nennen, kommen im Netz nicht vor.

Warum greifen die Verlage nicht hin, wenn digitale Technologien ihnen einmalige Chancen eröffnen? Sie werden sich wohl erst im Software- und Hardwaresektor umsehen, wenn internationale Player sich dort längst festgesetzt haben und nachdem sie sämtliche Erlösmodelle rund um Inhalte ausgereizt haben.

Maßgeschneiderte Inhalte

Mit Inhalten Geld zu verdienen, gelingt vielleicht bald nur noch einem erlauchten Kreis von Journalisten und Künstlern, die eine Fangemeinde um sich geschart und somit persönliche Ecken im weltweiten Netz geschaffen haben. Nutzer sind immer weniger bereit, für die Leistungen der zwischengeschalteten Verlage zu zahlen.  Die Verlage brauchen Mut zur Zerstörung tradierter Strukturen. Daher sollten sie ihre Teams mit Programmieren und Scouts aus onlineversierten Zielgruppen auffrischen, die Verleger und Journalisten nicht stürzen, sondern stützen werden. Aber junge Gehhilfen allein können durch Umbruchsphasen nicht hindurch führen. Verleger werden es wohl noch eine Weile aushalten müssen, im Netz zu schwimmen. Ihr strategischer Kompass kann sie allerdings in eine Richtung lenken, in der sich eines Tages ein Horizont auftut.

no2Diesen Text (hier in überarbeiteter Fassung) hat Gisela Schmalz zuerst bei epd medien veröffentlicht. Sie betreibt das Blog yeseconomy.net und hat das Buch”NO ECONOMY: Wie der Gratiswahn das Internet zerstört” gechrieben. Buch bei Amazon zu bestellen. Hier die Verlagsseite.

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