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Niederländische Lektionen: Der Rechtspopulismus und die Demokratie

von , 2.2.10

Die Niederlande galten bislang als toleranter und multikultureller Staat, in dem alles etwas lockerer angegangen wird – gleichsam als USA Europas. Erinnert sich heute noch jemand daran? Nach Ausschreitungen, nach einem Pim Fortuyn, einem Theo van Gogh und einer Anti-EU-Verfassungs-Kampagne? Heute, da ein Geert Wilders wegen mutmaßlich volksverhetzender Äußerungen vor Gericht steht? Jener Geert Wilders, der nach aktuellen Umfragewerten realistische Chancen hat, nächster niederländischer Regierungschef zu werden. Offensichtlich gab es hier einen Wandel – einen Wandel, den man nicht als nationales Phänomen eines vermeintlich unbedeutenden Landes abtun sollte. Denn einige der Gründe sind allgemein gültig und zeigen, dass eine mangelnde Bekämpfung der Rechtspopulisten gravierende Folgen haben kann. Demokratische Parteien müssen sich klar abgrenzen, aber das tun sie oftmals – zum Teil auch in Deutschland – nicht klar genug.

Trotz aller Wandlungsprozesse lässt sich sagen, dass die Metapher von den “USA Europas” noch immer stimmig ist, denn sie kann zwei Seiten bezeichnen: Wie in den USA gibt es nicht nur eine liberale und tolerante, sondern auch eine abgrenzende, konservative, von Angst vor dem Fremden gekennzeichnete Seite. Verständlich insofern, als die Niederländer durch die Geschichte hin immer wieder schlechte Erfahrungen mit ihren Nachbarn machten, allen voran den Deutschen. Eine traurige Ironie ist es, dass Teile der niederländischen Gesellschaft heutzutage aber eben gerade nicht in ihren Nachbarländern oder in Fremdenhass ein Problem sehen, sondern in Einwanderern aus muslimischen Ländern. Eine Tendenz, die wir in vielen Ländern beobachten können. Ein zusammengewachsenes Europa scheint seine Angst nun auf eine kulturell weiter entfernte Bevölkerungsschicht zu projizieren.

Die Ära Balkenende als Abkehr vom Multikulturalismus

Eine für Populisten günstige Ausgangslage ist das zerspaltene niederländische Parteiensystem. Das Deutsche wirkt im Vergleich dazu auch heute noch sehr aufgeräumt. Traditionell gibt es in den Niederlanden Christdemokraten, Sozialdemokraten und die klar rechtsliberale VVD (Volkspartij voor Vrijheid en Democratie). Neben diesen traditionellen Parteien, gibt es Grüne, Linksliberale, Sozialisten und ein weites Spektrum anderer Parteien, deren Lebensdauer meist sehr begrenzt ist. Seit 1945 gab es bereits verschiedenste Koalitionen. Die Fülle an Parteien sorgte überdies dafür, dass einige Parteien gelegentlich bis in die Bedeutungslosigkeit versunken, später aber wieder auftrumpften. Im vergangenen Jahrzehnt kam die niederländische Parteienlandschaft ein weiteres Mal massiv in Bewegung. Dafür verantwortlich sind vor allem zwei Namen: Pim Fortuyn und Jan Peter Balkenende.

Pim Fortuyn war ohne Zweifel ein Populist. Mit seinen Aussagen über Einwanderer und vor allem über dem Islam polarisierte er die Gesellschaft. Er sprach dabei Empfindlichkeiten der Bevölkerung an, die die bis dahin herrschende linksliberale „Lila“ Koalition ausblendete. Aber er löste auch eine Kettenreaktion aus. Nachdem er mehrfach mit Parteikollegen aneinander geriet und die Partei wechselte, trat er 2002 letztendlich mit einer eigenen Partei zu den Parlamentswahlen an. Damit eröffnete er den Weg für erfolgreiche Parteien, die sogar rechts der VVD stehen. In der aufgeheizten Atmosphäre vor den Wahlen wurde Fortuyn ermordet und im Anschluss zu einer Art Märtyrer hochstilisiert. Seine Partei erzielte dennoch – oder gerade deswegen – 17 Prozent der Stimmen.

Jan Peter Balkenende von der christdemokratischen CDA auf der anderen Seite ging nicht etwa auf Distanz zu dieser Partei, sondern ließ sich von ihr zum Ministerpräsidenten machen und legitimierte sie so zusätzlich. Er bildete eine rechte Regierung, zusammen mit eben jener Partei von Pim Fortuyn und der rechtsliberalen VVD, der Fortuyn zuvor lange angehörte.

Die Regierungskoalition hielt nur wenige Monate. Streitereien innerhalb der Fortuyn-Partei machten Neuwahlen nötig. Doch Balkenende blieb Ministerpräsident, regierte fortan mit der linksliberalen D66 als drittem Koalitionspartner. Als diese Koalition 2006 ihrerseits aufgrund von Streit zerbrach, wurden erneut Neuwahlen nötig. Aktuell herrscht Balkenende in einer in langen Verhandlungen entstandenen „Großen Koalition“ mit den Sozialdemokraten, die anders als in Deutschland jedoch nur bedingt „groß“ ist: Sie benötigt mit der ChristenUnie, einer weiteren christdemokratischen Partei, eine dritte Regierungsfraktion.

Der Nachfolger von Fortuyn heißt Wilders

Dass Balkenende zeitweilig sogar als ständiger EU-Ratspräsident im Gespräch war, muss zu denken geben. Denn seine Regierungsjahre haben gewollt oder nicht einen Nährboden für Populisten hinterlassen. Dem Symbolerfolg Fortuyns gesellten sich in dieser Zeit politische Instabilität und Tolerierung der rechten Parteien bis hin in Regierungsämter hinzu, vom Vorwurf politischer Beliebigkeit zwecks Machterhalts ganz zu schweigen.

Und so wundert es nicht, dass ein anderer das Wählerpotential Fortuyns mittlerweile aufgefangen hat: Geert Wilders. Jener Geert Wilders, der aktuell wegen vermeintlich volksverhetzender Aussagen vor Gericht steht. Wie Fortuyn war auch Wilders lange Zeit Mitglied der VVD, die er 2004 im Streit verlies. Zwei Jahre später gründete er eine neue Partei, die PVV (Partij voor de Vrijheid), die er einer Sekte gleich führt. Er ist das einzige Mitglied, die Fraktionsmitglieder hat er eigenhändig ausgesucht; die Struktur soll dazu dienen, dass die Partei nicht von anderen Leuten übernommen wird. Vermutlich Lehren, die Wilders aus dem Ende der Partei Fortuyns ziehen konnte.

Durch seine polarisierende Art ist Wilders aktuell wohl der meistbeachtete Oppositionspolitiker der Niederlande. Er erlangt starke Umfragewerte und zuletzt bei der Europawahl auch ein starkes Wahlergebnis. Gegenwärtig hätte Wilders realistische Chancen, Regierungschef zu werden. Gleichzeitig schellt in den Umfragen die linksliberale D66 in die Höhe, die sich gegen Wilders stellt. Bei der letzten Parlamentswahl lag sie noch bei knapp zwei Prozent, jetzt sind es nahezu zwölf. Im Ergebnis ist die Parteienlandschaft noch breiter geworden und führt zu einer grotesken Situation: Wollen die gemäßigten Parteien Wilders nicht in der Regierung, werden sie Balkenende unterstützen müssen, dessen Partei gegenwärtig in Umfragen als einzige vor Wilders liegt.

Natürlich sind nicht allein Fortuyn, Wilders oder der von seinen Ansichten her nicht in die Reihe passenden Balkenende für die Entwicklung verantwortlich. Klar ist aber, dass eine aufgeheizte Atmosphäre, die bereits Gewaltausbrüchen mit sich brachte, nicht im Interesse der Politik sein kann – und für Demokratie und Integration schädlich ist. Demokratische Parteien wären daher gut beraten, sich fremdenfeindlichen Politikern frühzeitig geschlossen gegenüber stellen. Sie sollten ihnen keinen Raum geben, sich medial zu entfalten und in einer polarisierten Situation ihre selbsterfüllenden Prophezeiungen zu unterstützen. Sie wären gefordert, diese Parteien aus den Parlamenten zu drängen und sie von der Regierungsbildung fernzuhalten.

In Deutschland sollte das eigentlich in Erinnerung sein – der Name von Papen ist bekannt. Doch auch hier ist klare Distanzierung einiger politischer Kreise zu rechten Populisten immer noch nicht selbstverständlich.

Wilders als lebender Märtyrer?

Die Niederlande stehen derweil, etwas über ein halbes Jahr vor den nächsten Wahlen, vor einer weiteren Zuspitzung der Situation. Denn entweder gibt das Gericht im Verfahren gegen Geert Wilders dem umstrittenen Politiker Recht, was wohl zu einer weiteren Verschärfung des Tons führen würde. Rechte Islamkritiker in ganz Europa würden sich bestätigt sehen und Europa nach dem Minarett-Volksentscheid in der Schweiz womöglich noch ein Stück weiter nach rechts rücken. Oder aber Wilders wird wegen Volksverhetzung verurteilt. Dabei würde er sein passives Wahlrecht verlieren – was ihm eine weitere Gelegenheit böte, sich als „politisch verfolgt“ zu inszenieren. Die Niederlande hätten dann einen weiteren „Märtyrer“ der islamkritischen Szene; dieses Mal allerdings einen, der noch lebt, Interviews geben und Aktionen koordinieren kann.

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