von Matthias Schwenk, 8.6.10
Bei Steve Jobs sind Superlative die Regel, nicht die Ausnahme. Das dünnste Smartphone der Welt, der beste Bildschirm, den je ein Mobiltelefon hatte und (über die Jahre kumuliert) 1 Mrd. US-$ an Umsatz für die Entwickler von Applikationen.
Bei dieser jüngsten Präsentation von Apple beeindruckten mehr die wirtschaftlichen Zahlen, als die technischen Features des neuen iPhone. Gewiss: Die Fans der Marke wurden nicht wirklich enttäuscht. Sie bekommen aufs Neue ein Spielzeug an die Hand, das die Messlatte für Smartphones wieder ein ganzes Stück nach oben schraubt. Dennoch wird gerade auf der technischen Ebene die Luft erkennbar dünner und es fällt Apple von Jahr zu Jahr schwerer, mit echten Neuheiten die Verfolger am Markt auf Abstand zu halten.
Eigentlich kann man sogar schon die Gefahr sehen, dass sich Steve Jobs zu sehr auf Lösungen im Detail kapriziert, die für die meisten Kunden am Markt wenig Bedeutung haben dürften. Das Gyroskop etwa, ein dreidimensionaler Kreiselsensor, der für Spiele auf dem iPhone noch mehr Möglichkeiten schafft. Oder die Software iMovie, mit der man Videoaufnahmen direkt auf der kleinen Wundermaschine bearbeiten kann, so dass kaum Wünsche offen bleiben. Eine tolle Leistung sicherlich, nur: Wer braucht so etwas?
Daneben schafft es Steve Jobs, eine eklatante Schwäche wie gutes Marketing aussehen zu lassen: In iBooks, dem digitalen Buchladen, kann man künftig E-Books kaufen und für einmal Bezahlen diese dreimal herunterladen, nämlich auf ein iPhone, ein iPad und einen iPod Touch. Was generös aussieht, verdeckt in Wirklichkeit das Problem, dass Apple noch nicht in der Lage ist, hier einen cloudbasierten Dienst anzubieten, der es ermöglichen würde, eine Bibliothek digitaler Werke vollständig im Netz zu führen und je nach Bedarf über unterschiedliche Endgeräte abzurufen.
So sehr Apple also bei der Hardware brilliert, so sehr hängt man beim cloud computing hinterher. Das zeigt sich auch beim Musikdienst Lala, den Apple im letzten Jahr aufgekauft und später einfach geschlossen hatte. Vielfach war spekuliert worden, man würde daraus eine Art “iTunes in the Cloud” machen und dieses jetzt auf der WWDC vorstellen. Die Pläne dazu mag es geben, tatsächlich aber fehlt noch das Rechenzentrum (oder auch mehrere). Die Ironie daran ist, dass Apple mit attraktiven Geräten wie dem iPhone oder auch dem iPad maßgeblich dazu beiträgt, die Nachfrage nach cloudbasierten Diensten zu schaffen, selbst aber diesen gerade neu entstehenden Markt kaum bedienen kann.
Im Kern bleibt sich Apple treu: Das Unternehmen steht für die perfekte Symbiose von eleganter Hardware und benutzerfreundlicher Software. Das iPhone 4 ist einmal mehr der Beleg dafür, auch wenn hier manches auf die Spitze getrieben scheint. Gerade diese Avanciertheit kontrastiert aber immer mehr mit den wirtschaftlichen Zahlen.
Steve Jobs lässt es sich nämlich nicht nehmen, in seine Präsentation eine Reihe durchaus beeindruckender Fakten einzuflechten: So sind inzwischen 150 Millionen Kunden weltweit mit ihren Kreditkarten bei iTunes registriert und damit potenzielle Käufer von Applikationen. Rund 100 Millionen mobile Geräte (iPhone, iPod Touch und iPad) sind mittlerweile verkauft und die Entwickler von Apps haben, wie oben schon erwähnt, seit 2008 kumuliert ca. 1 Mrd. US-$ Umsatzzahlungen von Apple erhalten.
Vor diesem Hintergrund kann man es schon merkwürdig finden, dass das neue iPhone einmal mehr technologisch die Marktführung für sich beansprucht, anstatt dass man das Gerät in zwei Linien teilt, so dass mit einer günstigeren Variante mehr Marktvolumen erreicht bzw. abgeschöpft werden könnte.
Applikationsentwickler und Inhalteanbieter müssen sich deshalb bewusst sein, dass der App Store von Apple derzeit noch immer einen Markt bedient, der überwiegend eine jüngere, gut verdienende und technikaffine Klientel hat. Auch der überraschend gute Marktstart des iPad mit 2 Millionen verkauften Exemplaren in den ersten 8 Wochen widerlegt das nicht: Hier dürften in erster Linie die Fans der Marke Apple eingekauft haben und es bleibt abzuwarten, ob sich der Massenmarkt für die (leider) bleischwere Designikone begeistern wird.
Apple steht damit, bei allem Erfolg, an einem kritischen Punkt. Denn nach einer Schätzung von Morgan Stanley werden schon im Jahr 2012 mehr Smartphones als Desktop PCs und Notebooks zusammen verkauft werden. Die Frage wird also sein, ob Apple seinen Vorsprung und Marktanteil mit dem iPhone und dessen App Store aus der Zeit der Innovationsphase des mobilen Internets wird halten können, wenn daraus in den nächsten Jahren ein Markt für die Massen wird.
Gerade dieser Massenmarkt ist für die meisten Anbieter von Applikationen wichtig. Sie werden sich mit ihren Angeboten nicht daran orientieren, wer gerade das dünnste Smartphone im Angebot hat, sondern wo sie die meisten Kunden erreichen können. Noch ist dies ohne Zweifel Apples App Store, was aber nicht so bleiben wird, wenn Steve Jobs seine Produkte weiter nur im High-End-Bereich positioniert.
Dazu kommt, dass er sich erstmals genötigt sah, in seiner Keynote auf der WWDC die Genehmigungspraxis für den App Store zu verteidigen. Seine Gegner dürfte dies kaum beruhigt haben. Die “Zensur” bei Apple wird immer mehr zum Politikum, gerade weil das Unternehmen mit dem App Store und iTunes weiter wachsen möchte. Auch hier gilt: Ein Markt für die breite Masse ist mit einem Genehmigungsverfahren, das nicht nur auf technische Kompatibilität achtet, sondern explizit auch auf der Ebene der Inhalte ansetzt, auf Dauer nicht aufzubauen.
Apple wird sich also entscheiden müssen: Als Technologieführer unbehelligt in einer Nische der Zukunftsmärkte zu agieren oder aber der breitenwirksame Markt- und Innovationsführer zu sein. Das schöne iPhone 4 kann da nur vorübergehend Ablenkung bringen, eine Lösung für die eigentlichen Fragen ist es nicht.