von Hermann Rotermund, 27.8.18
Der neue Name, den der Entwurfstext dem Rundfunkstaatsvertrag gibt, scheint einen großen Schritt nach vorn zu markieren. Er lässt die Hoffnung aufblitzen, dass die deutsche Medienpolitik das zuletzt intensiv gepflegte Jonglieren mit historisch überkommenen Begriffen hinter sich lassen will und nun einen großen Wurf vorlegt, mit dem der digitalen Transformation der Massenmedien ein gesetzlicher Rahmen gegeben wird.
Das ist auch bitter nötig, denn mediengeschichtlich ist eine Epochenschwelle erreicht, an der überall spürbar wird, dass die meinungsbildende Dominanz der Massenmedien auf politischem und kulturellen Gebiet verlorengeht. Bald wird es nur „internet-only“ Medien geben (wie der aktuelle Jahresbericht 2018-19 der BBC es pointiert). Dem heute noch so genannten Rundfunk, der einem unvermeidbaren evolutionären Prozess unterliegt, muss ein Entwicklungspfad in die Nur-noch-Internet-Ära gebahnt werden. Die technische, organisatorische und administrative Transformation des Rundfunks benötigt einen neuen Begriffsrahmen und ein neues Regulierungsregime. Das wäre die eigentliche Aufgabe des nächsten Staatsvertrages.
Der Innovationswille der Autoren des Entwurfs geht jedoch offenbar über den neuen Namen nicht hinaus. Schon die Formulierungen in den ersten beiden Paragraphen belegen, dass am alten massenmedialen Modell nicht gerüttelt wird.
Kategoriale Abgrenzungen
Die im Text verwendete Formel „journalistisch-redaktionell“ könnte den Rundfunkbegriff völlig aus der Bindung an historische Techniken befreien. Mit der Kategorisierung von vorhandenen und vorstellbaren medialen Diensten und Formaten könnte eine Differenzierung und Klassifizierung von medialen Angeboten erreicht werden. Eine der auf diese Weise gebildeten Klassen erhielte die Privilegien des heutigen Rundfunks. Diesem Konzept, das schon 2014 in dem für die Rundfunkkommission verfassten Gutachten von Kluth und Schulz vorgeschlagen wurde, verweigern sich allerdings die Autoren des Entwurfstextes. Nach wie vor wird in § 2 Rundfunk als linearer, an einem Sendeplan orientierter Dienst definiert. Die Unterscheidung von linear und nicht-linear („Rundfunk“ und „rundfunkähnlich“) ist jedoch in einer Nur-noch-Internet-Welt nicht mehr sinnvoll. Die sogenannten rundfunkähnlichen Telemedien sind genauso journalistisch-redaktionell gestaltet wie lineare Sendungen. In Online-Medien ist Linearität eine Option bzw. ein Sonderfall, aber nicht der Wesenskern von multimodalen journalistisch-redaktionellen Angebotsformen.
Online-Angebote lassen auch eine zweite massenmediale Eigenschaft vermissen. Bei ihnen dominiert nicht mehr die Verbreitung und der „Abruf“ von Inhalten. Das Internet verbindet alle Kommunikationsformen und -richtungen, es vernetzt alle Medien und ihre Nutzer durch vielfältige algorithmische und persönliche dialogische Formen. Telemedien können daher nicht, wie es im Staatsvertragstext in § 2, 12 geschieht, auf die Operationen Bereitstellung und Abruf reduziert werden. Die aktive Teilhabe am kontinuierlichen Fluss der Online-Kommunikation ist für alle sogenannten Telemedien unverzichtbar.
Wenn die Linearität das gesetzliche Kriterium für die Regulierung und Privilegierung bleibt, wird dem heute noch so genannten Rundfunk ein staatsvertragliches Grab geschaufelt. Da dies wohl nicht in der Absicht der Autoren liegt, sollte die erwähnte Anregung des Konvergenz-Gutachtens von Kluth/Schulz (2014) aufgegriffen werden, die Privilegierungskriterien für Telemedien inhaltlich zu definieren. Dieses Gutachten zeigt auch, dass der derzeitige Rundfunkbegriff auch unter Berücksichtigung der europäischen AVMD-Richtlinie nicht zwingend beibehalten werden muss. „Er kann durch ein Regulierungsregime ersetzt werden, das an andere begriffliche Kategorien anknüpft und auch für neue Begriffe offen ist, solange die Regelungsziele für alle von der AVMD-RL erfassten Dienste erreicht werden.“ (S. 81) Die regulatorisch zu definierenden Begriffe müssten der audio-visuellen Verbreitung journalistisch-redaktioneller Inhalte weiterhin eine hohe Privilegierung ermöglichen. Diese Privilegierung würde jedoch nicht auf technische Merkmale (audio-visuell) und die Kommunikationsform (One-to-many-Verbreitung) beschränkt bleiben. Auch andere Angebote, die einen ebenso wertvollen Beitrag zur öffentlichen Kommunikation leisten wie die an den klassischen Rundfunk erinnernden audio-visuellen Formate, können und müssen besonders geschützt werden.
Rundfunkähnlichkeit
Die im Entwurf in § 2 und später verwendete Kategorie der rundfunkähnlichen Telemedien, „die nach Form und Inhalt hörfunk- oder fernsehähnlich sind“, ist definitorisch – wie auch schon ihre Cousine, die „Presseähnlichkeit“ – auf formale und technische Eigenschaften des Angebots beschränkt. Die Beschreibung nur der Darstellungsmerkmale (z. B. Maße und Farben oder die Mischung von Text, Bild, Ton und Video) unterscheidet Angebote mit hohem Wert für die öffentliche Kommunikation nicht von beliebigen anderen Internet-Angeboten, seien sie öffentlich finanziert, kommerziell oder rein privat veranlasst. Formale medientechnische Eigenschaften sind nur unter Anwendung von Willkür geeignet, eine Rundfunk- oder Presseähnlichkeit zu konstruieren. Manche Ereignisse lassen sich durch ein Foto oder ein Video und fast ohne Begleittext informativ darstellen, andere Vorgänge bedürfen einer ausführlichen argumentativen oder auch durch Texte belegten Erläuterung, um vom Publikum erfolgversprechend verstanden und aufgegriffen zu werden. Die inhaltlichen Eigenschaften bilden neben der Darstellungsform eine zweite Ebene, nach der Angebote differenziert werden können, und eine dritte Ebene bildet die Rezeption. Der Ausgang der Präsidentenwahl in Mali, der Einsturz einer Autobahnbrücke in Italien oder die Verschärfung der türkischen Wirtschaftskrise kann im Internet von verschiedenen Anbietern qualitativ anspruchsvoll, informativ und umfassend dargestellt werden – zum Beispiel von tagesschau.de, t-online.de und hurriyetdailynews.com. Deren Darstellungen sind untereinander weitaus „ähnlicher“ als eine von ihnen dem klassischen Rundfunk. Das Konstrukt der Rundfunkähnlichkeit wird ad absurdum geführt, da alle diese beispielhaft genannten Angebote sich in ihrer journalistischen Qualität, den verwendeten professionellen Standards und in der Wertschätzung der Nutzer, die ihr Informationsinteresse befriedigen, gleichen. Sie verdienen auch alle den gleichen Schutz, zum Beispiel hinsichtlich ihrer Auffindbarkeit und ihrer inhaltlichen Integrität.
Auf die kategoriale Unterscheidung des Rundfunks und der rundfunkähnlichen Telemedien sollte vollständig verzichtet werden, da der Rundfunk sich selbst sich zu einem Telemedium mit besonderen Charakteristiken wandelt.
Ziele der Gesetzgebung
Angesichts der rapiden Weiterentwicklung vernetzter digitaler Medien und ihrer wachsenden Relevanz für die Meinungsbildung – sowie angesichts der zunehmenden Bedeutung von technischen Plattformen und Intermediären, die im Entwurf im Ansatz auch berücksichtigt wird – fehlt vor allem ein klar formuliertes Ziel für die gesetzliche Regulierung der (bald schon ehemaligen) Rundfunkmedien. Die heute noch verbreitete traditionelle Nutzung dieser Medien vor allem von älteren Publikumsschichten darf nicht dazu verleiten, die weiter zunehmende Akzeptanz und Relevanz von Netzmedien zu übersehen. Die fortgesetzte Ausrichtung der Gesetzgebung an den Charakteristiken des erodierenden Massenmediums Rundfunk kann fatale Folgen für die öffentliche Kommunikation haben. Die notwendige Transformation der Rundfunkmedien und der sie tragenden gemeinschaftsfinanzierten Unternehmen benötigt stattdessen Anreize. Diese sollten den fließenden Übergang zu einer Priorisierung von nicht-linearen und dialogischen Angeboten auf verschiedenen Netzplattformen fördern, statt ihn mit der regulatorischen Konservierung des klassischen Programmrundfunks zu blockieren.
Ein Seitenblick auf die Entwicklung der Presse zeigt, dass auch dieses Massenmedium perspektivisch keine Chance mehr auf eine selbständige Existenz in seiner hergebrachten Form hat. Auch die Presse wird funktional zu einem journalistisch-redaktionellen Diensteanbieter im Internet. Das historische Charakteristikum beider Massenmedien, Presse und Rundfunk, nämlich die dialogfreie Verbreitung von Inhalten an ein breites, passives Publikum, verliert an Attraktivität und Relevanz. Der Aufbau neuer, dialogorientierter Beiträge zur politischen und kulturellen Kommunikation bedarf einer rechtlichen Absicherung. Nur eine auf eine breitere Analyse der Medienentwicklung gestellte Sichtweise ermöglicht klare Zielformulierungen und die konkrete Ausgestaltung neuer Abgrenzungen und Regeln. Die vorgelegte Entwurfsfassung wird im Hinblick auf den Rundfunkbegriff der aktuellen Medienentwicklung und ihren vieldiskutierten Problematiken nicht gerecht.
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