#Evgeny Morozov

Morozov: Mehr Internet, mehr Kontrolle, mehr Eskapismus

von , 23.9.09


Evgeny Morozov stammt aus Weißrussland, was seine Sicht auf das Internet sicherlich entscheidend geprägt hat. Für ihn stellt sich nämlich die Frage, ob das Netz tatsächlich nach und nach überall auf der Welt zu mehr Freiheit und Demokratie führen wird, wie viele Tech-Evangelisten meinen – oder ob nicht autoritäre Staaten ihre Machtstrukturen damit halten und ausbauen können.

Im Juli 2009 sprach er auf einer der TED-Konferenzen. In seinem knapp 12 Minuten langen Vortrag führt er zahlreiche Belege dafür an, dass Staaten wie China, Russland oder Iran ganz gut mit dem Internet leben können. Statt auf Zensur setze man dort zunehmend darauf, Blogger für eigene Zwecke einzubinden. Die Regierungs-PR lernt mit dem Internet zu leben. Die Regime lernen, ihren Spins dem “Spinternet” einzupflanzen:

“Many governments have honed their Internet strategies beyond censorship and are employing more subtle (and harder to detect) ways of controlling dissent, often by planting their own messages on the Web and presenting them as independent opinion.”

Zudem ermögliche das Internet eine neue Form des Eskapismus, so dass junge Erwachsene nicht mehr auf die Straßen gingen und protestierten, sondern sich bevorzugt im Netz von den eigentlichen Fragen ablenken würden.

Video: Evgeny Morozov – How the Net aids dictatorships (cc-by-nc-nd)

Seinen Argumenten kann man sich nicht ganz entziehen, wenn sie auch an der einen oder anderen Stelle zu kurz greifen. Die Position etwa, dass autoritäre Regime nun nicht mehr mühsam durch Folter herausfinden müssten, wie Regimegegner untereinander bekannt und vernetzt sind, weil sich das jetzt einfach auf Facebook ablesen lasse, kann nur bedingt richtig sein.

Denn im dem Moment, in dem klar wird, dass man auf bestimmten Social Networks nicht mehr unter sich ist und der Staat mithört, wird man auf andere Instrumente ausweichen. In dieser Hinsicht war Twitter für die Opposition im Iran nur kurze Zeit von Nutzen, weil das Regime rasch mitzulesen lernte und versuchte, die Twitterer zu identifizieren und zu verhaften. Als diese Gefährlichkeit erkannt war, wurde Twitter nur noch dazu eingesetzt, die Weltöffentlichkeit zu informieren. Dazu dienten Accounts, die keiner realen Person mehr zuzuordnen waren, und die nur von öffentlichen Internetcafés aus bedient wurden.

Dieses Beispiel zeigt aber auch, dass moderne Technologie es repressiven Staaten tendenziell erleichtert, ihre Bürger zu überwachen. Einfache Mobiltelefone etwa können zumindest auf der Ebene der Funkzelle geortet werden, was Aufschluss über Aufenthaltsorte und die Bewegungsmuster beliebiger Personen ergeben kann. Neuere Geräte mit GPS-Empfänger lassen eine metergenaue Ortung zu. Dass Geräte wie das iPhone derzeit erst in Kalifornien relativ weit verbreitet sind, ist dabei nur ein schwacher Trost: Ein Staat könnte es geradezu darauf anlegen, seine Jugend stärker zu kontrollieren und dazu einfach die Vermarktung attraktiver Mobilfunkgeräte subventionieren.

Aus Dubai ist bekannt, dass dort in diesem Sommer der Versuch unternommen wurde, den Datenverkehr aller BlackBerries zu protokollieren. Die Abhöraktion wurde bekannt, weil die Applikation nicht richtig funktionierte und die betroffenen Geräte heiß liefen. Wozu der Scheich dort wohl wissen wollte, was Geschäftsleute so alles über ihren BlackBerry übermitteln?

Insgesamt könnte es also für den einen oder anderen Staat durchaus Sinn machen, anders als in Nordkorea oder Burma (Myanmar), nicht die Zeit anzuhalten, sondern alle Bürger bestmöglich zu vernetzen und zu digitalisieren. Denn je höher die Verbreitung des Internets, desto lückenloser die Kontrolle und desto auch größer die Chancen auf einen Eskapismus (“Cyber-Hedonism”), der das Regime kritiklos schalten und walten lässt.

Wie gut, dass in Deutschland alles ganz anders ist und es hier nie so weit kommen wird! Oder sollte man Evgeny Morozov einmal hierher einladen und mit ihm über die Vorratsdatenspeicherung und das Zugangserschwerungsgesetz sprechen? Vielleicht würde er dann auch über Deutschland auf seinem sehr interessanten Blog schreiben.

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