#Mindeslohn

Mindestlöhne und soziale Gerechtigkeit

von , 22.9.09

Hier noch einmal die zentralen Abschnitte des Haucap-Beitrags:

Was ist grunsätzlich von gesetzlichen Mindeslöhnen zu halten?

Mindestlöhne bergen stets die Gefahr zusätzlicher Arbeitslosigkeit. Es gibt zwar einzelne Studien, die zeigen, dass dies nicht in jedem Fall so sein muss (berühmt ist insbesondere die Studie zu Burger-Flippern in den USA von Card und Krueger aus dem Jahr 1994). Die Mehrheit der Studien belegt aber, dass die Beschäftigung tendenziell zurückgeht, vor allem je höher der Mindestlohn ist.

Die negativen Beschäftigungseffekte allein bedeuten jedoch nicht, dass ein staatlicher Mindestlohn sofort zu verwerfen wäre. Politisch mag man sich ja durchaus für einen Mindestlohn entscheiden, auch wenn er zu einer höheren Arbeitslosigkeit führt. Denn dem Mehr an Arbeitslosigkeit steht ja ggf. ein zusätzliches Einkommen der Arbeitnehmer und Arbeit­nehmerinnen gegenüber, welche zum Mindestlohn beschäftigt werden und ansonsten einen geringeren Lohn bezogen hätten. Problematisch ist allerdings, dass auch letzteres keineswegs sicher ist, da zumeist staatliche Transfers entfallen, wenn das Arbeitseinkommen steigt. In diesem Fall ergibt sich höchstens ein positiver Effekt für die öffentlichen Haushalte, da die staatlichen Transferleistungen sinken. Das verfügbare Einkommen für die betroffenen Haushalte steigt dann aber kaum. Die ökonomische Literatur belegt, dass sich Armut mit einem Mindestlohn nur schwer bekämpfen lässt, weil dieser einfach nicht am Haushaltseinkommen ansetzt.

Die Abwägung zwischen mehr Arbeitslosigkeit einerseits und möglicherweise mehr Einkommen der zum Mindestlohn (weiterhin) Beschäftigten bzw. einer geringeren Belastung der öffentlichen Haushalte (aufgrund sinkender Transferleistungen) andererseits ist dann eine politische bzw. ethische Entscheidung. Aus Sicht des Finanzministers kann ein Mindestlohn deshalb jedoch sehr attraktiv sein: Er entlastet ggf. die öffentlichen Kassen aufgrund sinkender Sozialtransfers, selbst wenn er den Betroffenen kaum hilft, weil er deren Einkommen netto kaum erhöht.

Im Grunde ist jedoch der ganze Versuch verfehlt, über Mindestlöhne soziale Gerechtigkeit zu schaffen. Es ist richtig, dass Markt und Wettbewerb nicht für umfassende soziale Gerechtigkeit sorgen können. Das Schaffen sozialer Gerechtigkeit ist daher eine Aufgabe des Staates. Dies kann durch Transfers geschehen oder, besser noch, durch die Schaffung gleicher Bildungschancen und ein gutes Bildungssystem. Durch das Setzen staatlicher Mindestlöhne soll nun aber gerade dem Markt eine Aufgabe übertragen werden, welche er nicht lösen kann. Unternehmen sollen Arbeitnehmern mehr zahlen als „der Markt hergibt“. Da bleibt das ungute Gefühl, der Staat versuche sich hier der Verantwortung zu entziehen, durch Bildungsmöglichkeiten, Transferzahlungen, etc. selbst für soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Die Frage der sozialen Gerechtigkeit wird gewissermaßen privatisiert. Unternehmen sollen nun für soziale Gerechtigkeit sorgen, die der Staat anscheinend nicht mehr schaffen kann oder will.

Als Antwort auf die Leser-Kommentare schrieb Justus Haucap:

Ich sollte mich wohl zu einer Reihe von Kommentaren äußern, auch wenn sich kein einziger auf die Gesetzesvorhaben der Bundesregierung bezieht, sondern sich in sehr, sehr allgemeiner Natur zum Thema Mindestlohn äußern. Einige haben wohl auch Teile meines Textes überlesen.

(1) Dass Mindestlöhne Arbeitsplätze gefährden können, auch wenn das nicht in jedem Einzelfall gilt, ist (leider) das Ergebnis der allermeisten empirischen Studien. So fassen z.B. die beiden amerikanischen Arbeitsmarktökonomen David Neumark und William Wascher ihren viel beachteten Übersichtsartikel zum Thema Mindestlöhne wie folgt zusammen: “Clearly, no consensus now exists about the overall effects on low-skilled employment of an increase in the minimum wage. However, the oft-stated assertion that this recent research fails to support the traditional view that the minimum wage reduces the employment of low-skilled workers is clearly incorrect. The overwhelming majority of the studies surveyed in this paper give a relatively consistent (although not always statistically significant) indication of negative employment effects of minimum wages. In addition, among the papers we view as providing the most credible evidence, almost all point to negative employment effects.” Man mag diesen Befund sicher bedauern, aber diese Studien lassen sich nun einmal nicht einfach so als irrelevante Spinnereien beiseite wischen, nur weil einem das Ergebnis nicht gefällt.

(2) Dass ein Mindestlohn sich positiv für die öffentlichen Kassen auswirken kann, weil ggf. weniger Transfers nötig sind, steht ja auch in meinem Beitrag. Das ist dann aber ein ganz anderer Punkt und hat ja wenig mit dem Einkommen der Betroffenen zu tun. Fakt ist, dass wir in Deutschland beim so genannten Arbeitslosengeld II (eigentlich ein völlig falscher Name, die Leute arbeiten ja), ziemlich hohe “Transferentzugsraten” haben. Das heißt: Verdienen die Empfänger mehr, weil sie mehr arbeiten oder die Löhne steigen, werden ihnen die Transfers recht drastisch gekürzt. Von einer Lohnsteigerung durch einen Mindestlohn (so die Betroffenenen denn beschäftigt bleiben) kommt ziemlich wenig bei den Leuten an. Das meiste kassiert (indirekt) der Finanzminister, indem er die Transfers kürzt. Das ist zwar vielleicht auch für manche soziale Gerechtigkeit, aber doch eine eher unübliche Interpretation, würde ich sagen.

(3) Es stellt sich dann auch die prinzipielle Frage: Soll ich lieber Löhne aufstocken, wenn die Leute arbeiten, aber wenig verdienen (”also Arbeitsplätze subventionieren”), oder den Leuten lieber alles bezahlen, wenn sie arbeitslos sind? Man kann sich zwar wünschen, dass die Leute mehr für das Haareschneiden bezahlen würden, aber viele gehen dann eben doch seltener zum Frisör, schneiden ihren Kindern (und ggf. auch sich selbst) die Haare dann selbst oder organisieren das schwarz, was noch viel unsozialer ist, weil gar nicht mehr zur Finanzierung des Gemeinwesens beigetragen wird. Das gilt – so meine Einschätzung – gerade in den Regionen, in denen die Frisöre so weing verdienen, weil es eben Gegenden sind, in denen nicht gerade der Reichtum ausgebrochen ist, um das mal so vorsichtig zu formulieren. Wo die Leute mehr für den Haarschnitt zahlen (können), sind auch die Löhne im Frisörhandwerk höher. Und bei Udo Walz dürften die Frisöre vermutlich noch mehr bekommen (alleine an Trinkgeld).

(4) Natürlich können die Transfers, mit denen Löhne aufgestockt werden, auch missbraucht werden, um Löhne zu drücken, ganz klar. Dann fließen die Subbventionen indirekt dem Unternehmen zu und nicht dem eigentlich zugedachten Empfänger. Um dem vorzubeugen, kann ein allgemeiner (und nicht branchenspezifischer) moderater Mindestlohn helfen – das bestreiten nur wenige.

(5) Ein Mindestlohn ist deshalb so schlecht geeignet, sozialen Ausgleich zu schaffen, weil er gar nicht an der individuellen Situation des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin ansetzt und auch nicht ansetzen kann. Wie viele Kinder leben im Haushalt? Hat mein Partner/Partnerin auch Arbeit? Habe ich überhaupt einen Partner/Partnerin? Und so weiter. Diese Faktoren bestimmen ja, wie viel Hilfe ein Haushalt braucht, um vernünftig leben zu können. Danach kann man aber keine Löhne anpassen, ohne den Arbeitsmarkt komplett auszuhebeln.

Justus Haucap ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Gründungsdirektor des Düsseldorf Institute for Competition Economics (DICE) und Vorsitzender der Monopolkommission.

Anmerkung der Redaktion: Haucap ist nicht Botschafter der INSM, hat aber mal in einem Plakatmotiv mitgewirkt. Wir schätzen Haucap sehr als Autor und Wissenschaftler und sind von seiner Unabhängigkeit vollauf überzeugt.

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