von Robert G. Picard, 6.10.09
Im Bestreben, nun endlich mit Online-Nachrichten Geld zu verdienen, setzen derzeit einige auf Zahlungspflicht für einzelne Artikel, also auf Micropayments. Eine Reihe der führenden US-Verlage denkt über ein gemeinsames Bezahlsystem nach. Es soll dem Leser mit einem einzigen Login erlauben, Zeitungsinhalte zu beziehen – und auch zu bezahlen.
Technisch ist so ein System relativ einfach umzusetzen. Das Kernproblem stellt vielmehr die richtige Preissetzung dar: Sie wird auf die Transaktionskosten des Systems und auf die teilweise erheblichen Unterschiede im ökonomischen Wert der Artikel reagieren müssen.
Zunächst einmal müsste ein gemeinsames Micropayment-System möglichst alle Zeitungstitel umfassen, um sich branchenweit durchsetzen zu können. Daß derzeit aber nur die Großverlage ein solches System planen, zeigt bereits dessen Kostenproblem: Kleinere Zeitungen würden mit ihren wenigen Online-Verkäufen den ganzen Aufwand unverhältnismäßig erhöhen.
Ein Online-Abrechungssystem für alle würde genau in jene Kostenfalle laufen, der sich bislang noch jede Verwertungsgesellschaft gegenüber sah. Die Verwertungsgesellschaften mussten feststellen, dass die Kosten für Verwaltung, Monitoring und Zuweisung der Vergütungen häufig höher sind als die Beträge selbst. Verwertungsgesellschaften funktionieren daher nur, wenn die großen Rechteinhaber die kleinen subventionieren – und bestimmte Rechte nicht allzu genau abgerechnet werden. Ein detailliertes Monitoring aller relevanten Vorgänge wäre gar nicht zu bezahlen. Auch ein gemeinsames Abrechungssystem für alle US-Zeitungen würde in diese Transaktionskostenfalle laufen.
Abrechnungssysteme sind auch in anderen Bereichen sehr teuer und aufwändig: Beim Verkauf eines Handy-Klingeltons etwa bekommen Komponist, Interpret usw. nur rund 20 Prozent des Verkaufspreises. Beim digitalen Musikdownload erhalten alle, die mit dem Musikstück zu tun haben – vom Komponist bis zur Plattenfirma – weniger als die Hälfte des Verkaufspreises. Der Grund dafür liegt darin, dass die Verkaufs- und Transaktionskosten hier sehr hoch sind. Allein die Kosten für die Nutzung von Kreditkarten erhöhen die Kosten des Händlers um 5 bis 7 Prozent.
Die Realität dieser Kostenstrukturen wird sich auch in den Bezahlsystemen für journalistische Inhalte niederschlagen. Am effizientesten für Nutzer und Verlage wäre eine Prepaid-Lösung: Die Leser würden ihr Konto aufladen und so die Zahl der Einzelbuchungen verringern. Zusätzlich könnte man für gelegentliche Nutzer auch die Zahlung per Kreditkarte anbieten. Dennoch müsste bei einem solchen System der einzelne Artikel zwischen zwei und zehn Dollar kosten, damit sich der Aufwand noch lohnt.
Das größte Problem besteht allerdings darin, dass einige Artikel den Nutzern mehr wert sein werden als andere; einige Texte werden viel stärker nachgefragt sein als andere. Dies bedeutet, dass die Verlage bereits im Vorhinein entscheiden müssten, welche Artikel in welche Kategorie fallen und welche Preise sie verlangen können. Sie müssten zusätzliches Personal anstellen, allein um vorab den Wert von Artikeln zu ermitteln – ein kompliziertes und kostspieliges Modell. Die einzig praktikable Lösung wäre hier, einen Durchschnittspreis festzulegen, wodurch die Inhalte freilich ständig über und unter Wert im Angebot wären. Sehr unbefriedigend.
Micropayments einzuführen, kann also nicht einfach heißen, für Inhalte Geld zu nehmen. Es läuft darauf hinaus, das gesamte Geschäftsmodell von Zeitungen im Netz von Grund auf umzubauen.
Bisher haben Zeitungen alle ihre Inhalte traditionell in einem einzigem Produkt zu einem einzigen Preis angeboten. Im klassischen Verkauf hat ein solches Bündelprodukt hervorragend funktioniert: Der Leser kauft mehr als er eigentlich will, aber zu einem insgesamt günstigen Preis. Der Verlag kann durch die Bündelung die Verbreitungskosten auf eine Vielzahl von Inhalten umlegen. Zugleich kann er im Bündel höher- und minderwertige Artikel zusammen verkaufen – und erzielt dabei einen insgesamt höheren Preis. Zeitungen haben bislang aus solchen Bündelstrategien ihre Vorteile zu ziehen gewusst: indem sie die Seiten neben teuren Eigenproduktionen auch mit günstigem Agenturmaterial und kostenlosen, öffentlich verfügbaren Inhalten gefüllt haben.
Durch das Internet wird das Bündelprodukt Zeitung aufgeschnürt. Für viele der eher minderwertigen Inhalte käme ein Einzelverkauf allerdings gar nicht infrage. Denn der Großteil der redaktionellen Inhalte ist heutzutage von genau der Machart, bei dem echter Mehrwert aus Sicht des Lesers fehlt. Das Fatale aber an der Entbündelung ist: Wenn der gebündelte Verkauf aufhört und überwiegend Einzelartikel verkauft werden, werden auch die Transaktionskosten steigen – und die Rentablität sinken. Das Resultat werden höhere Preise für die Leser sein, was wiederum die Nachfrage sinken lassen wird. Der Einzelverkauf von Artikeln wird zudem den Druck erhöhen, diejenigen Journalisten, die besonders hochwertige Inhalte produzieren, auch zusätzlich zu vergüten. Auch auf diesem Umweg könnte der Einzelverkauf für steigende Kosten sorgen.
Mit Journalismus im Netz Geld zu verdienen, verlangt daher mehr als einfach nur zu sagen: “Okay, wir nehmen jetzt mal Geld dafür”. Man muss die ganze Wertschöpfungskette, die gesammte Art, wie Inhalte erzeugt und angeboten werden, überdenken. Und vor allem, sich mit der Frage beschäftigen: “Was hat der Leser davon?” – Eine Frage, die bislang kaum vorkam.
Die meisten Netzleser kaufen – zumindest in den USA – keine Zeitung. Wenn diese Nutzer nicht für Nachrichten auf Papier bezahlen wollen, warum sollten sie es plötzlich im Netz tun? Solange die Zeitungen darauf keine Antwort gefunden haben werden, wird jede Entscheidung für Bezahlmodelle per Micropayment unglücklich enden.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Englisch bei The Media Business. Deutsche Übersetzung: David Pachali/ Robin Meyer-Lucht