#Michael Jackson

Fünf Thesen zur Popkultur nach dem Tod ihres Königs

von , 9.7.09

Die Trauerfeier für Michael Jackson im Staples Center zeigte noch einmal, dass der sich von Jackson selbst verliehene Titel des King of Pop alles andere als eine leere Formel war. Das Bild vom König ist höchst mächtig, wirkt selbst verstärkend – und dirigierte und steuerte so am Ende alles in Jacksons Pop-Universum höchst buchstäblich, und bis in die letzten Details hinein.

Bei der Trauerfeier ging dies nun so weit, dass man meinte, der Wiederauferstehung der mittelalterlichen Lehre von den “zwei Körpern des Königs” beizuwohnen. Nachdem der prunkvolle Sarg des verstorbenen Königs feierlich herein getragen war, begann die entsprechende Inszenierung: Es gibt einen sterblichen Körper des Königs (der liegt hier), und einen unsterblichen. Und im Sarg liegt eben nur der eine Körper des King of Pop. In unseren Herzen aber, in seiner Musik, in den besten Zeilen seiner Songs, den Bildern von seinen Auftritten, seinen Videos, seinem Moonwalk, seinem weißen Handschuh lebt der andere ewig fort – “for ever and ever and ever”.

Der Witz aber liegt natürlich woanders: Die ganze königliche Selbstinszenierung der modernen Popkultur ist vor allem der zentrale Ausdruck ihres grenzenlos gigantischen, bombastischen, glamourösen Anspruchs. Nirgends drückt ihr Anspruch sich so deutlich aus, eine ganz neuartige und ganz unwiderstehliche säkulare Macht darzustellen. Und das ist so entscheidend, weil auch ihre tatsächliche gesellschaftliche Macht, all der tatsächliche politische Einfluss, den ihre Ideale seit den Zeiten des Kings – seit Elvis Presley – gewonnen haben, auf genau dieser Übertreibung, genau diesem maßlosen Anspruch beruhen. Weil all dies ohne die entsprechende unablässige magische Selbsthypnose – unter Einsatz aller verfügbaren technischen Mittel, und aller spektaktulären Inszenierungsmittel, die moderne Medien bieten – unmöglich gewesen wäre. Womit wir nun in jeder Hinsicht beim Thema sind.

Was eigentlich sollte Netz-User mehr umtreiben als der popkulturelle impact ihrer Lieblings-Medien und -Anwendungen? Was bedeuten demgegenüber, provokant gefragt, all die aktuellen Probleme des Zeitungswesens oder der Buchkultur? Wie viel Chancen hat popkultureller Glamour noch auf Computer-Bildschirmen und Handy-Displays? Wieviel erreicht einen davon noch vermittels der Bildschnipsel auf YouTube – im Vergleich zur geballten Pop-Präsenz der hot rotation auf dem MTV der 1980er Jahre etwa? Es existiert dies alles heute natürlich immer noch irgendwie und nebeneinander – aber gibt es nicht vielleicht trotzdem ein Problem?

Und schließlich: Alle aktuellen Ahnungen dieses Problems drücken sich nun eben auch erst mal in der Metapher vom “Königreich des Pop”, beziehungsweise von dessen Ende aus. So hieß es in der Jackson-Titelstory des Spiegel von letzter Woche am Ende einer Aufzählung der bekannten Jackson-Superlative – höchstdotierter Tantiemenvertrag aller Zeiten, bestverkauftes Album aller Zeiten usw. – “Es ist vielleicht das letzte Mal, dass Pop ein solches Königreich zulässt, schon bald wird es in viele Fürstentümer zerfallen.” Und Thomas Gross schrieb in der ZEIT über Jackos Schicksal in den 1990er Jahren: “Die Technik demokratisierte sich, die Vereinigten Staaten des Pop zerfielen in eine Vielzahl kleinerer Fürstentümer. Schlechte Zeiten für einen King.” Warum aber könnten viele kleine Pop-Fürstentümer nun ein wahrhaft verzwicktes strukturelles Problem für die Popkultur bedeuten? Warum erscheint die Zukunft der Popkultur ohne Könige nun erstmal ziemlich ungewiss?

Man müsste hier den Boden dieser Metaphorik verlassen. Konkretere Überlegungen anstellen, um das Problem zu einem zu machen, das sich sinnvoll diskutieren, oder überhaupt erst mal deutlich sehen und bewusst bearbeiten ließe. Damit man vor allem auch gezielt nach einem möglichen Ersatz für das Verlorene fragen und suchen könnte. Oder auch: damit mögliche Zugewinne an ganz neuen Stellen sichtbar werden können, die das Verlorene nun vielleicht ganz überflüssig erscheinen lassen. Fünf Thesen:

(1)

Die Figur des globalen Superstars stellte vor allem eines sicher. Oder genauer: Eines vor allem stellte sie wie sonst nichts und niemand sonst sicher. Sie beglaubigte unübersehbar, dass Popkultur in der globalen medialen Weltgesellschaft zu einer eigenständigen Macht geworden war. An globalen Popstars kam selbst der popkulturell Desinteressierte nicht vorbei. Sie erinnerten zuverlässig daran, dass die popkulturellen Ideale und Utopien reales Gewicht gewonnen, zu einem mächtigen, eigenständigen Faktor geworden waren. Und mit dem Verschwinden der globalen Popstars wird darum nun auch die Präsenz und Sichtbarkeit dieser Utopien und Ideale zunächst einmal schwinden.

(2)

Die globalen Superstars verkehrten und verwandelten Kapitalinteressen in einen politischen Mehrwert. Globale Superstars, Popstars, globale Ikonen, das waren Schauspieler, Entertainer, Musiker, auf deren künstlerisches Potential die Kulturindustrie Millionen bis Milliarden gewettet hat, und für deren Vermarktung sie alle nur denkbaren Ressourcen, Kapazitäten und Kompetenzen mobilisiert und freigiebig verschleudert hat. Im Gegenzug ermöglichte dies den Superstars, ein exemplarisches Werk zu schaffen, und so die universellen Ideale und Utopien der Pop- und Jugendkultur, die in den 1960er Jahren Gestalt angenommen hatten, mit immer neuem Leben zu füllen, immer neu zu feiern, mit immer neuer Attraktivität auszustatten und aufzuladen. Sie konnten letztlich ihr ganzes Leben der Aufgabe widmen, komplexe, untereinander verbundene, aufeinander aufbauende und bestenfalls vollends euphorisierende Fanale von love, peace and understanding, von sexueller Befreiung, von Selbstbestimmung und einem ungehinderten Zusammenleben und produktiven Zusammenwirken aller Kulturen zu schaffen. Oder auch umgekehrt: Fanale gegen jede Art sexueller, geschlechtlicher, rassistischer Diskriminierung, gegen alle ethnischen, kulturellen und nationalen Vorurteile und Egoismen. Und es standen ihnen zudem eben auch noch alle nur erdenklichen Mittel zur Verfügung, um diese Fanale dann auch noch ins globale kulturelle Gedächtnis zu brennen.

(3)

Man könnte natürlich sagen, dass der Stoff und Treibstoff einer künftigen Popkultur ja nicht unbedingt globale Popstars sein müssen. Aber das genau könnte eben umgekehrt auch ein weiterer springender Punkt am globalen Superstar sein. Er ist nicht zuletzt und immer zugleich auch eine Chiffre für all die global einheitlich verstandenen Ideen, all die weltweit geteilten und bekannten Themen und Bilder, die die alte Popkultur noch stets regelmäßig, zuverlässig und in großer Zahl produziert hatte. Und ohne die es eine globale Popkultur offenbar gar nicht geben kann.

(4)

Zu den Zugewinnen in der neuen medialen Situation zählt man heute wie selbstverständlich eine größere Selbstständigkeit des Publikums: Statt von zentralen Massenmedien gelenkt, sucht es sich mit Hilfe von Netzwerken selbst aus, was interessiert, was gefällt, und was für wichtig befunden wird. Die Frage ist nur, ob der dabei zugrunde gelegte Gegensatz so haltbar ist: dort die alten, manipulierten, trägen Massen, hier die selbstorganisierten, spontanen Netzwerke und Schwärme. War das Publikum früher wirklich so wenig selbstständig? Und hat es wirklich so wenig Einfluss auf das mediale und popkulturelle Angebot ausgeübt? Mit anderen Worten: Sind die Zugewinne an dieser Stelle wirklich so groß, dass sie alle Verluste an anderer Stelle aufzuwiegen vermögen?

(5)

Der letzte, aber vielleicht entscheidende Aspekt an der Superstar-Figur war schließlich: Mit ihr war direkt im medialen Zentrum der globalen Gesellschaft, war mitten im Herzen des Ganzen eine Möglichkeit zur allseits sichtbaren Negation, Subversion, Kritik und Umkehrung eben dieses Ganzen installiert. Dabei mögen die einzelnen Superstars diese Idee und Möglichkeit zwar unterschiedlich klug genutzt haben. Begriffen aber hatte sie auch Michael Jackson etwa zweifellos. Vielleicht war er von ihr sogar so durchdrungen und besessen wie keiner vor ihm. Denn auch, wenn er es gar nicht unmittelbar darauf anlegte, wurde ihm immer wieder – so deutlich wie wohl noch keinem Superstar vor ihm – vor Augen geführt, dass er sich in dieser Position befand. Dieter Wiesner, der frühere Jackson-Manager, erzählte in den letzten Tagen in einem Fernsehinterview, wie Michael Jackson ihn in einem Hotel in Las Vegas einmal ans Fenster holte, auf die Leute am Pool wies und meinte, da lägen sie nun, all die Weißen, und wollten braun werden. In seinem Fall wäre so etwas gleich eine world news.

Vom Autor ist zum selben Thema auch ein Text in der taz erschienen. Im Herbst erscheint seine Studie über Schwarmintelligenz und die latente Handlungsmacht des Publikums im Band “Die Unsichtbarkeit des Politischen“.

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