von Robin Meyer-Lucht, 9.9.10
“Merkels mutigster Auftritt!”, titelt Bild heute begeistert. Die Bundeskanzlerin habe mit “großer Geste” den islamkritischen Karikaturisten Kurt Westergaard geehrt. Dies sei ein “großes Bekenntnis zur Freiheit der Presse und der Meinungen”.
“Merkel preist die Kraft der Freiheit”, verkündet die Überschrift des großen Bild-Seite-2-Artikels zur Preisverleihung. Nikolaus Blome souffliert im Kommentar: “Genau diese Gelassenheit [der Kanzlerin] stünde auch manchem Kritiker von Thilo Sarrazin gut an.”
Man könnte annehmen, Merkel habe sich mit Verleihung eines Preises zum “Schutz der freien Meinungsäußerung” an den Islamkritiker Westergaard indirekt auch für die Meinungsfreiheit von Thilo Sarrazin eingesetzt. Genau eine solche Geste hätte Bild sehr gerne gesehen. Schließlich kämpft Bild seit Samstag nach eigenen Angaben für die Meinungsfreiheit des Bundesbankvorstands (Carta-Text).
Das genaue Gegenteil ist der Fall. Merkel verwahrte sich in ihrer Rede gestern sehr deutlich gegen die Bild-Interpretation, wonach es im Falle Sarrazin vornehmlich um “Meinungsfreiheit” und “Sprechverbote” gehe.
Merkel sagte (Redemitschrift, Hervorhebungen Carta):
“In allen Medien ging es schnell um die Frage, was man in Deutschland sagen darf und was nicht. Das Thema Sarrazin ist aber gerade kein Thema der Gefährdung der Meinungsfreiheit, sondern es geht darum, ob und gegebenenfalls welche Folgen zum Beispiel ein Buch für einen Autor in einer besonders wichtigen öffentlich-rechtlichen Institution haben kann oder nicht.”
Die Kanzlerin bezog sich in ihrer Rede auch explizit auf die vieldiskutierte Bild-Ausgabe vom Samstag. Bild habe die “vererbungstheoretischen Fragen” bei ihrer Verteidigung Sarrazins kurzerhand unter den Tisch fallen lassen (Hervorhebungen Carta):
“Die “BILD”-Zeitung machte letzten Samstag unter Bezug auf diese Debatte auf Seite 1 mit den Schlagzeilen auf: “BILD kämpft für Meinungsfreiheit. Das wird man ja wohl noch sagen dürfen”. Nebenbei: Wenn ich mir hier gerade “BILD” rauspicke, dann erstens nur stellvertretend für viele andere Medien mit ähnlicher oder gleicher Stoßrichtung, und zweitens weil ich davon überzeugt bin, dass “BILD” das aushalten kann.
Also weiter – auf Seite 2 schrieb “BILD” am Samstag dann: “Neun unbequeme Meinungen und die Fakten. Diese Sätze muss man sagen dürfen, weil….” Es geht um Sätze wie diese: “Ich will mich nicht dafür entschuldigen müssen, Deutscher zu sein; wer arbeitet, darf nicht der Dumme sein; auf den Schulhöfen muss Deutsch gesprochen werden; Kinderschänder gehören für immer weggesperrt.”
Dem aufmerksamen Leser wird aufgefallen sein, dass Sätze zu biologistischen oder vererbungstheoretischen Fragen in dem Artikel zur Verteidigung der Meinungsfreiheit nicht auftauchten. Aber das sei nur am Rande bemerkt.”
Um zu veranschaulichen, dass Thilo Sarrazin als Angesteller der Bundesbank an bestimmte Grundsätze gebunden sei – und dies keinesfalls als Eingriff in seine Meinungsfreiheit zu interpretieren sei, bezog sich Merkel ganz gelassen auf die Unternehmensgrundsätze des Hauses Springer:
So werden in der Unternehmenssatzung eines großen deutschen Verlags fünf gesellschaftspolitische Unternehmensgrundsätze genannt, unter anderem zur Förderung der europäischen Einigung, zur Sicherung des Existenzrechts Israels und zur Verteidigung der Sozialen Marktwirtschaft, um drei von ihnen zu nennen. Ein Problem mit der Meinungsfreiheit? Natürlich nicht, vermute ich.
Bild dokumentiert weite Teile der Kanzlerinnen-Rede heute auf Seite 2. Das Zitat, wonach es bei der Sarrazin-Debatte nicht um die Meinungsfreiheit ginge, ist enthalten. Die Passagen über die fehlenden vererbungstheoretischen Aspekte beim Bild-Diskurs und der Verweis auf die Unternehmensgrundsätze von Axel Springer fehlen hingegen in der Aufbereitung.