“Meilenstein der Technologiekritik des digitalen Zeitalters”

von , 18.4.10

Frank Schirrmacher nutzt die offenbar vornehmlich computermodellgestützte Sperrung des europäischen Luftraums zur Aktualisierung seiner These von der Übermacht der Algorithmen:

Auch wer in diesen Tagen kein Flugzeug besteigen will, tut gut daran, sich klarzumachen, dass die unsichtbare Wolke, die den Flugverkehr vollständig lahmlegt, nicht aus Asche und Staub besteht, sondern aus einem Schwarm von Daten. Was heute ein Vulkanausbruch bewirkt, kann morgen durch ganz andere Eruptionen ausgelöst werden: geologische, ökonomische und soziale. Heute stoppt die Computersimulation den Flugverkehr, zu Kosten, die täglich in die hunderte Millionen gehen. Was wird sie morgen tun? Was tut sie jetzt schon, ohne dass wir es ahnen? Und was ist der Preis?

Tatsächlich ist es faszinierend und mit den Mitteln des Feuilleton unbedingt zu thematisieren, dass tagelang der Luftraum über Deutschland gesperrt werden kann – offenbar weitgehend ohne das Vorliegen von empirischen Messdaten und bei zunehmend berechtigten Zweifeln, ob tatsächlich in schädlichem Umfang Vulkanasche in der Luft ist.

Diese Konstellation ist jedoch nicht nur Folge von Algorithmengläubigkeit, sondern einer sehr viel umfassenderen Unfähigkeit der Öffentlichkeit, komplexe technische Vorgänge zu verarbeiten.

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Simulation des britischen Met Office

Das fängt schon bei der Ausgangslage an: Hat sich der Deutsche Wetterdienst (DWD) nun fast vollständig auf Simulationen verlassen, wie vielerorts zu lesen ist? Oder lieferten Lasermessungen vom Hohenpeißenberg einen hinreichenden Nachweis von Vulkanasche, wie es der DWD darstellt? Und welche Erkenntnisse bringen die Farbkomposit-Satellitenbilder, die der DWD ebenfalls vorzeigt?

Der DWD jedenfalls ist der PR-Maschinerie der Lufthansa kaum gewachsen. Das Luftfahrtunternehmen dringt mit seiner Erzählung von einer realitätsfremden Simulationsmeteorologie beim Journalismus voll durch. Dabei erscheint schon diese Reaktion des Journalismus fragwürdig und als Zeichen mangelnder Verarbeitungstiefe.

Letztlich sind hier zwei Systeme überfordert mit der Informationsverarbeitung: Meteorologie und Journalismus.

Einen Fehler hat die meterologische Seite dabei in der Tat gemacht: Sie hat die Begrenzheit der eigenen Modelle nicht transparent dargestellt.

Es fehlte also nicht nur an ausreichendem Bewusstsein der Bürokratien und Wissenschaftler für die Begrenztheit ihrer algorithmischen Modelle und an der Fähigkeit der Apparate die Simulation zeitnah zu überprüfen, es fehlte vor allem an einer angemessenen öffentlichen Darstellung dieser Zusammenhänge. So gesehen, sind Teile der Schirrmacher-Kritik nur allzu berechtigt.

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