#Engels

Marx. Ein zweifelhaftes Erbe

von , 30.6.18

Eigentlich möchte ich nicht über Marx streiten und schreiben. Denn seit Ende seiner Lebenszeit ist so viel über ihn und seinen Compagnon Engels an Widersprüchlichem, Verlogenem, Gebogenem, auch Naivem und vor allem an taktisch Gemeintem geschrieben worden, dass deren wahre Gesichter kaum noch zu erkennen sind. Vielleicht waren die Graphiker des Realsozialismus die wahren Kenner und Versteher von Marx und Engels, weil sie deren Gesichter hinter wahren Gestrüppen aus Bärten und Schnurrbärten versteckten. Neben beiden wurde in der „klassischen Zeit“ des Realsozialismus als Dritter im Bund jemand abgebildet, dem es an Gestrüpp auf dem Kopf mangelte. Der Vierte im Bunde wiederum wies einen geradezu phänomenalen Schnurrbart auf. Insgesamt Werbetafeln für das alte und fabelhafte Handwerk der Scherer und Haarschneider.

Un-eigentlich muss man über die Auswirkungen von Marxens Ideen und Empfehlungen reden. Lenin, der erwähnte Dritte, hat über die Urgroßväter des sozialdemokratischen Reformismus, Karl Kautsky und Eduard Bernstein gehöhnt, weil sie seine Revolution ablehnten: „Weltrekord in der liberalen Entstellung von Marx.“ Beide waren für Lenin so etwas wie „Bastarde“ wie man damals herabsetzend sagte, also Kinder minderen oder fehlenden Rechtsanspruches, „Schmuddelkinder“. Hinterlistig wie die Geschichte aber nun mal ist, hat sie die beiden gewinnen lassen, für´s  Erste jedenfalls, während Rezepte der Praktiker des Marxismus, ergo auch Lenins Rezepte da landeten, wo die Geschichte den Müll ablädt.

Aber warum flammt immer wieder eine Diskussion über den Marxismus auf, wenn ein Gedenktag ins Haus steht? Warum keine Diskussion… über Hermann Kesten zum Beispiel, den man „ ein Genie der Freundschaft“ nannte, und dessen Todestag sich seit 1994 im Mai jeden Jahres jährt? Liegt es daran, dass sich manche von uns durch den Band 1 des Kapitalquälten und sich heute nicht eingestehen wollen, dass das ziemlich brotlos war?  Wirkt die ehrfurchtsvolle Erstarrung angesichts dieses 1000- Seiten-Schinkens mit Sätzen, dass sich die Merkfähigkeit kräuselt, so lange noch nach? Was wird am 300. Geburtstag von Marx los sein in Trier – vorausgesetzt unsere Enkel und Urenkel (-innen selbstverständlich auch) halten irgendwie durch? Wird man nachlesen, was die damalige SPD-Vorsitzende Andrea Nahles zu dessen 200. Geburtstag sagte: „Karl Marx ist einer der ganz Großen unserer jüngeren Geschichte. Völlig zu Recht feiern wir daher auch seinen 200. Geburtstag in festlichem Rahmen.“ Und: „Die Marxsche Dialektik des aufs Neue enthemmten Kapitalismus wirkt.“ In Auszügen wiedergegeben bei ipg-Journal.

Oder wird auf dem Stundenplan der Gesellschaft dann stehen: Wir lesen Arthur Koestlers Sonnenfinsternis, anschließend diskutieren wir über Manes Sperbers Wie eine Träne im Ozean, um zu Leszek Kolakowskis Hauptströmungen des Marxismusüber zu gehen und um uns zum Schluss Aleksandr Solschenizyns Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitschvorzulesen. Wär ja möglich angesichts der Hekatomben an Toten, die aus der erwähnten Anwendung resultierten.

Marxens Bewegungsgesetz des dialektischen Materialismus ist wie ein baufälliges Haus zusammen gekracht. Nirgendwo ein  Erfolg. Nichts. Nada. Das hat dazu geführt, dass Mensch nicht mehr über diesen dialektischen Materialismus redet beziehungsweise schreibt, sondern lediglich noch über Marxens Dialektik.

Ebenso Marxens Staatslehre. Niemand muss, um das zu begreifen, in Moskauer Archive schauen; es reicht der Blick auf die Volksrepublik China, deren Kommunistische Partei ja sagt, sie wende Marx und Engels weiterhin aus Überzeugung an: Ein wuchernder Staat in Kombination mit einem rigiden Kapitalismus. Der angeblich mit wachsender Reife zum Sozialismus hin abbauende Staat macht sich in China daran, durch flächendeckende Beobachtung seiner Bürger, die Muster „sozial abweichenden Verhaltens“ zu filtern und Norm-Verhalten zu begünstigen sowie anderes zu bestrafen. Da stirbt nichts ab.

Oder die merkwürdige Überbautheorie von Marx und Engels. Alles was nicht schnell genug der Sphäre der Produktivität zu entkommen gelang, steckt im Überbau: Die  Ministerialrätin, die Bundeskanzlerin, die Pastorin, der Papst natürlich auch, Maler ebenso wie die Bibliothekare, der Raumpfleger, die Raumausstatterin, Präsident Trump, nicht zu vergessen Karl Lagerfeld, die Philologen, Sängerinnen, die Lehrerin für Deutsch und Englisch, Batman, Frau Makatsch, der Amtsgerichtsrat und Frau Illner.  Es ist eine irre Theorie, die angesichts der Rolle von Mode und Design und Graphik, der Ästhetik in der heutigen Warenwelt wie aus dem Nirwana wirkt.

Wir sind einfach weiter, als manche Marx-Wiederbeleber weismachen wollen. Lasst den Karl endlich in Ruhe auf Highgate liegen. Es reicht.


 

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