#Ethik

Leber ist heute leider etwas teurer

von , 4.10.12

Den Deutschen mangelt es an Spenderorganen. An Lebern, Lungen, Bauchspeicheldrüsen, Nieren und Herzen. Und da das menschliche Gut äußerst knapp ist, bilden sich die Preise jenseits der ärztlichen Ethik: Nicht derjenige bekommt ein geeignetes Organ – streng nach Warteliste -, der es dringend braucht, sondern derjenige, der den höchsten Preis dafür bezahlt und/oder über die besseren Beziehungen verfügt. Man kann sich auf den Wartelisten offenbar nach oben kaufen. Ist das so überraschend?

Zeitgleich – und das ist der Skandal im Skandal – versucht die Politik, den Druck auf die Menschen zu erhöhen. Die Krankenkassen verschicken Spenderausweis-Formulare mit dem freundlichen Hinweis, man könne sich jetzt ‘völlig frei’ entscheiden, ob man seine Organe im Fall des eigenen Todes spenden möchte. Dabei werden die Menschen moralisch erheblich unter Druck gesetzt. Man spielt mit ihren Ängsten. Die unterschwellige Botschaft lautet: Wer sich einer Spende seiner Organe verweigert, könnte als Patient eines Tages das Nachsehen haben. Man stelle sich nur mal vor, selbst eines Tages ein Spender-Organ zu benötigen. Doch wer, fragen sich diese Menschen nicht ganz zu Unrecht, würde wohl ein solches Organ bevorzugt bekommen? Der mit den besseren Beziehungen, der mit der dicksten Brieftasche oder der, der auf der offiziellen Warteliste ganz oben steht?

Hätten viele Bundesbürger schon heute einen Organspenderausweis, so die Gegenargumentation, wären die Organe nicht mehr so knapp und die Preise könnten fallen. Die Manipulation der Wartelisten würde sich dann erübrigen. Das mag auf den ersten Blick einleuchten, aber viele andere Kriterien würden ja dadurch nicht obsolet. Wer bekäme z.B. die Herzen, Lebern und Nieren der jüngeren, der gesünderen und der besser geeigneten Spender? Der jeweils nächste auf der Warteliste?

Die Menschen sind nicht dumm. Sie spüren sehr genau, dass die Chancengleichheit im Gesundheitswesen nicht existiert. Wir leben in einer unsozialen Marktwirtschaft – im Gesundheitswesen geht die Tendenz zur Klassengesellschaft.

Göttingen, Regensburg (und nun auch München) sind bestimmt nicht die einzigen Orte, an denen es zu „Unregelmäßigkeiten“ oder “Auffälligkeiten” bei der Vergabe von lebensrettenden Spenderorganen gekommen ist. Die Kontrollen sind lasch (1 Prüfung alle 36 Monate); die ärztliche Diagnose der Dringlichkeit kann leicht manipuliert werden (Fälschung von Laborwerten); Transparenz ist ein Fremdwort; außerplanmäßige „Zuzahlungen“ sind im Gesundheitswesen nichts Ungewöhnliches mehr (siehe Zahnärzte).

Dass nach der Aufdeckung der Skandale wieder abgewiegelt wird, war zu erwarten. Bedauerliche Einzelfälle, heißt es. Der Gesundheitsminister kündigt – wie üblich – an, die Kontrollen zu verschärfen. Vermutlich wird er demnächst auch seinen Spenderausweis in die Kameras halten. Er kann sich eine neue Leber ganz bestimmt leisten.

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