#Automatisierung

“Künstliche Intelligenz”: Tragik ist nichts für Maschinen

von , 16.5.10

Washington – Die amerikanische Firma StatSheet will im Sommer ein Programm auf den Markt bringen, das automatisch Reportagen über College-Basketballspiele schreibt. Der Algorithmus wertet Spielstatistiken aus und kann aus Textbausteinen zusammengesetzte Artikel verfassen. Bei StatSheet ist man davon überzeugt, dass 90 Prozent der Leser glauben werden, der automatische Bericht sei von einem Menschen geschrieben worden.

Besteht die Aufgabe von Journalisten in Zukunft darin, herauszufinden, was die Maschine nicht kann und diese Lücken zu nutzen? Werden sie die Putzerfische sein, die sich von den Resten der algorithmischen Schwärme ernähren?

Die Fragestellung greift insgesamt zu kurz, denn nicht nur die Berichterstatter lassen sich maschinell substituieren, sondern auch der Sport selbst. Der anfälligste Kandidat für eine baldige Digitalisierung ist der Schiedsrichter – es würde mehr Fairness und gerechtere Entscheidungen verheißen. Die Perfektion, die diese Art technischer Urteilsfindung nach sich zieht, trägt aber den Keim des Untergangs in sich. Es ist wie mit fahrerlosen S-Bahn-Zügen oder pilotenlosen Flugzeugen: Während die Ingenieure versichern, ein solches System sei weniger fehleranfällig als eines mit menschlichem Personal, wenden sich Fahrgäste mit einer tiefen inneren Abneigung dagegen.

Was der Maschine vor allem fehlt, ist die Möglichkeit zur Tragödie.

Keine Frage, digitale Maschinen bieten ein Panorama an möglichen Fehlfunktionen. In den siebziger Jahren hielt ein Computer des amerikanischen Frühwarnsystems den aufgehenden Mond für anfliegende sowjetische Atomraketen und löste Großalarm aus. Maschinen können aber nur Katastrophen verursachen, keine Tragödien. Die moderne Form der Tragödie besteht darin, dass der Mensch inzwischen in vielerlei Hinsicht in der Lage wäre, seine Schwächen mit technischer Hilfe zu überwinden.

Für ein Spiel wie Basketball oder Fußball wäre diese Aufrüstung fatal. Auch beim Stierkampf ergäbe es keinen Sinn, den Torero statt mit Tuch und Degen mit einer Maschinenpistole auszustatten. Steven Spielberg lässt im ersten Indiana-Jones-Film die Klischees des Zweikampfs ins Leere laufen: Aus einer Menge tritt ein schwarz gewandeter Krieger und schwingt sein Schwert – aber Indi hat keine Zeit. Er zieht seinen Revolver und schießt den Gegner einfach um.

Werden die menschlichen Spieler auch aus dem Match verschwinden und irgendwann nur noch Roboter kicken, weil sie es inzwischen besser und präziser können?

Erinnert sich noch jemand an den ersten Computer, der einen Schachweltmeister besiegt hat? Im Mai 1997 hatte der IBM-Computer Deep Blue im Rückspiel den amtierenden Schachweltmeister Garri Kasparow bezwungen. Angesichts der mythischen künstlichen Intelligenz hätte etwas Einzigartiges, Erderschütterndes passieren müssen. Es passierte aber nichts.

Peter Glaser bloggt auf Glaserei. Crossposting mit freundlicher Genehmigung.

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