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Knick in der Optik: Deutschlands Jugend ist konservativ!

von , 13.9.13

Statistik ist bekanntlich eine schwierige Materie. So hat sich gestern Morgen Spiegel Online an einer Statistik über das potentielle Wahlverhalten von Jugendlichen versucht. Sie basiert auf einer Umfrage von Infratest Dimap unter 500 Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren. Laut Spiegel Online ist das Ergebnis der Umfrage so zu interpretieren:
 

Deutschlands Jugend ist konservativ!

 
Die Unionsparteien liegen weit vorn, denn “eine große Mehrheit der Jugendlichen in Deutschland würde die Union wählen”.

Der Autor hat offensichtlich den Unterschied zwischen relativer und absoluter Mehrheit nicht verstanden. Wenn 39 % der Jugendlichen die CDU/CSU präferieren, müssen das nämlich 61 % unseres Nachwuchses anders sehen. Sie sind also nicht konservativ. Tatsächlich kommt man, selbst ohne die Piraten, bei der heutigen Parteienkonstellation im Bundestag zu folgendem Ergebnis: Die Regierungsparteien würden 42 % der Jugendlichen wählen, während SPD, Grüne und Linke gemeinsam auf 46 % kommen.

Um die politische Orientierung der jungen Piraten zu erfahren, hätte man übrigens nach deren parteipolitischer Zweitpräferenz fragen müssen. Ob die tatsächlich bei CDU/CSU und FDP liegen würde? Das wäre sicherlich ein interessantes, aber wohl eher unwahrscheinliches Ergebnis gewesen. Diese Frage wurde aber nicht gestellt.

Über den Faktor Jugend im Wahlverhalten findet man hier einen substantiellen Aufsatz. Tatsächlich war die Jugend schon immer konservativer als man denkt. Nur war die Union in historischer Perspektive relativ schwach im Vergleich zu den älteren Jahrgängen. Das ändert sich gerade, unter anderem deshalb, weil mittlerweile die Generation der berühmten “1968er” (also die Jahrgänge ab 1945) zu den Senioren in dieser Gesellschaft gehört. Deren Wahlverhalten ist aber signifikant anders als das der Senioren der 1970er- und 1980er-Jahre. Zudem hat bekanntlich die parteipolitische Bindung nachgelassen.

Insoweit werden wir in Zukunft einen bisher vernachlässigten Effekt erleben: Das Wahlverhalten wird sich über die Generationen hinweg angleichen. Die frühere Erwartung, dass die Jugend eher links und die Alten eher konservativ wählen, wird sich zunehmend als überholt erweisen. Diese Erwartung war nämlich vor allem das Ergebnis der spezifischen Konstellation der frühen Nachkriegsjahrzehnte. Sie prägt aber weiterhin unsere Sichtweise, wie der Spiegel Online Artikel ungewollt deutlich macht.

Zudem wird hier auch deutlich, was das eigentliche Problem der Umfrageflut vor Wahlen ist: Sie werden häufig schlicht falsch interpretiert. Man liest Erkenntnisse, die dort gar nicht zu finden sind. Etwa, dass die Jugend konservativ sei.

Daher hier mein Aufruf an deutsche Ökonomen: Fordert mehr statistisches Grundwissen! Darauf könnten sie sich bestimmt einigen.

 

Update

Um eine substantielle Debatte zum Thema “Wahlverhalten und Alter” zu ermöglichen, eine kleine Literaturübersicht:

  • Zum Wahlverhalten 2009 die Ergebnisse der repräsentativen Wählerstatistik des Bundeswahlleiters
  • Eine erste Übersicht zum Thema findet man bei der Bundeszentrale für politische Bildung
  • Wird es wegen des demographischen Wandels einen Generationenkonflikt geben? Dazu ein Beitrag des Göttinger Instituts für Demkratieforschung im Cicero und eine Analyse der Bertelsmann-Stiftung
  • Wie das Wahlverhalten mit dem Parteiensystem zusammenhängt, ist in dieser Analyse der Bundestagswahlen 1998 und 2002 nachzulesen. Sie gibt auch einen guten Überblick über die relevanten politikwissenschaftlichen Theorien (und deren Grenzen) zu dem Thema. Deren Versatzstücke findet man übrigens in vielen journalistischen Artikeln zur Bundestagswahl.
  • Schließlich ein Aufsatz aus der Konrad-Adenauer-Stiftung über die politischen Einstellungen und das Wahlverhalten Jugendlicher. Der Leser wird dann feststellen, dass die Ergebnisse der Infratest Dimap Umfrage keineswegs überraschend sind.

Crosspost von Wiesaussieht
 

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