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Juliane Schulze: “Es geht nicht nur um Crossmedia, es geht um neue Gesamtprodukte”

von , 6.10.10

Vom Carta-Autor Tim Renner stammt die These, dass es mit der Digitalisierung des Medienträgers immer auch zum Wechsel des Geschäftsmodells komme. Das neue technologische Umfeld führe immer auch zu neuen Formaten, neuem Wettbewerb und neuen Refinanzierungsmodellen.

Theoretisch ist das logisch. Praktisch ist es verwirrend und anstrengend. Für die Tonträgerindustrie zum Beispiel: Vor zwanzig Jahren gab es ein Kerngeschäftsmodell: den kostenpflichtigen Vertrieb von großen (Alben) und kleinen (Singles) Tonträgern. Heute dagegen gibt es im Internet den Verkauf von Einzeltiteln (MP3s), Download-Flatrates, Streaming Services usw. Bei der Künstlerverpflichtung gibt es die Tendenz zum 360-Grad-Deal.

Nun steht der Buchverlagsbranche so langsam eine Digitalisierung in der Breite ins Haus. Wie verändern sich folglich hier die Auswertungsketten und Verwertungsstrukturen? Man könnte sich zu diesem Kernthema der diesjährigen Frankfurter Buchmesse im theoretischen Trockenschwimmen üben. Doch viel besser fragt man Leute, die einen Teil des Masterplans vielleicht schon kennen. Juliane Schulze, zum Beispiel.

Juliane Schulze betreibt mit peacefulfish eine Refinanzierungsberatung für Inhalteanbieter. Das kennzeichnet sie als Expertin für crossmediale Verwertungsketten im Speziellen sowie für den Medientechnologie induzierten Branchenwandel im Allgemeinen. Mit Juliane Schulze habe ich über die Geschäftsmodelltendenzen bei Buchverlagen und Inhalteanbietern im Angesicht der Digitalisierung gesprochen und dabei folgende drei Punkte gelernt:

1. Multimedialisierung und crossmediales Gesamtprodukt

Juliane Schulze empfiehlt ihren Kunden, stets crossmediale Verwertungskomponenten bei der Inhalteproduktion zu berücksichtigen, etwa spezielle Online-, Mobile- oder Game-Anwendungen. Das eigentliche Ziel aber gehe über die Schaffung neuer Vermarktungsmöglichkeiten hinaus. Kluge Inhalteanbieter würden heute „im Gesamtklang ein Produkt entwickeln“, das sich sinnvoll über die verschiedenen Medienkanäle hinweg „choreografieren“ ließe. Es gehe also nicht mehr um ein Kernprodukt mit crossmedialen Ad-Ons, sondern eine „Art Markenuniversum“.

Juliane Schulze: „Jeder Ansatz, den wir entwickeln hat eine crossmediale Komponente. Wir suchen stets nach zusätzlichen Plattformen, um die Inhalte zu verwerten. Das allein würde aber zu kurz greifen: Ich denke, die Kernbotschaft der digitalen Möglichkeiten besteht darin, dass man nicht nur neue Vermarktungsmöglichkeiten schafft, sondern darüber hinaus eine Art Markenuniversum entwickelt. Diese verschiedenen Inhalte gilt es zu choreographieren, so dass im Gesamtklang ein Produkt entsteht, das für den Nutzer Sinn macht.“

Für Schulze wird das moderne Inhalteprodukt folglich bereits in der Entstehung crossmedial konzipiert und entsprechend für die verschiedenen Kanäle aufbereitet. Das sei schon ein wenig das Prinzip „George Lucas für alle“, gesteht sie auf Nachfrage freimütig.

Dabei müsse der Autor nicht die Inhalte für alle Auswertungsarten selbst erstellen. Häufig sei es praktischer, hierfür Partnern zu gewinnen. Diese würden nämlich zum Teil auch Produktionskosten übernehmen, so Schulze. Der Trend zum hybriden, multimedialen Angebot werde durch die nachwachsende Autoren- und Nutzergeneration vorangetrieben: „Viele gerade jüngere Autoren wenden sich neuen Möglichkeiten, wie etwa eingebetteten Videos oder 3D zu, um lebensnaher und mit neuen Mittel zu erzählen. Durch die Kreativität dieser jungen Autoren wird ein Druck entstehen, der von innen heraus den Wandel der Buchbranche steuern wird.“

2. Latente Konvergenz zwischen Verlagen und Künstleragenturen

Aus Sicht von Juliane Schulze nähert sich das Geschäft von Verlagen und Künstleragenturen mit der Digitalisierung zunehmend an. Beide seien damit befasst, talentierte Autoren zu identifizieren und die Verwertungskette zu managen. Wenn die Auswertungsketten aber breiter, offener und multimedialer würden, könnten Agenturen zunehmend selbst mit gemanagten Autoren-Pools erfolgreich agieren:

„ Zukünftig könnten Autoren stärker von Agenturen gemanagt werden, die eigene Autoren-Pools betreiben. Die Leser könnten auf diese Art von den Autoren direkter angesprochen werden und zugleich wäre ein Orientierungsrahmen geschaffen. Die Leser entscheiden sich ohnehin zunehmend nach eigenem Interesse.“ Schulze vermutet, dass in Zukunft ohnehin ein Teil der Autoren stärker selbständig sein wird – mit eigener multimedialer Produktion und eigener Kontrolle der Auswertungskanäle. Die Agentur würde die Autoren darin unterstützen. Ein klassischer Verlag werde nicht mehr zwingend gebraucht.

3. Polarisierung zwischen mächtigen Vermittlungsplattformen und dezentral organisierten Autoren

Juliane Schulze rechnet damit, dass die Digitalisierung zugleich zu einer Konsolidierung und Fragmentierung führen wird. Auf der einen Seite rechnet sie mit dem Wachstum von Media-Konglomeraten. Nur sie seien in der Lage, die hohen Kosten der crossmedialen Inhalteproduktion zu schultern. Auf der anderen Seite stünde eine neue Vielzahl von stärker autonomen Autoren:

„Die Digitalisierung wird einerseits wohl das Wachstum von Media-Konglomeraten befördern, weil sehr hohe Kosten auf die verschiedenen Akteure zukommen. Die Inhalte lassen sich zwar günstiger vertreiben, werden aber in der Herstellung sicher nicht billiger. Es gibt zurzeit noch zu viele Player im Markt – hier ist mit einer Konsolidierung zu rechnen.

Auf der anderen Seite rechne ich damit, dass Autoren, die ihre Inhalte unabhängig von großen Verlagen vertreiben wollen, diese Möglichkeit zunehmend nutzen werden. Diese Autoren können sich auf verschiedensten Wegen den Zugang zum Endnutzer eröffnen – und direkt Geschäfte mit dem Endnutzer machen. DVerlag, wie wir ihn kennen, ist da schon kaum mehr nötig.“

Die Macht der Plattformen werde aber möglicherweise durch Such- und Auffindetechniken eingeschränkt, so Schulze. Die Nutzer würden sich zunehmend ihre Autoren aktiv mit Hilfe von Empfehlungstechniken aussuchen. Die Programmierung von Autoren-Suchmaschinen sei daher auch eine Schlüsseltechnologie für die Zukunft.

Kleines Fazit des Austauschs mit Juliane Schulze:

Mit der Digitalisierung wird die Gestaltung der Inhalte multimedialer – weil es die Autoren, die Nutzer und die vielen Auswertungsoptionen so wollen. Die neue Branchenstruktur wird von der Akteurskonstellation Autoren, Vermittler und Plattformen geprägt sein. Um die Rolle der Vermittler werden sich die Verlage und eine neue Generation von Agenturen streiten. Die Anbieter der großen Handels- und Vermittlungsplattformen werden potenziell sehr mächtig sein – es sei denn, der aktive Nutzer manövriert sich mit Hilfe von Suchmaschinen an ihnen vorbei.

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