#Elinor Ostrom

Jenseits von Markt und Hierachie: Nobelpreis für zwei Vertreter einer kontextualen Ökonomik

von , 19.10.09

von Nils Goldschmidt, Gerhard Wegner, Michael Wohlgemuth und Joachim Zweynert

Es ist eine überaus erfreuliche Nachricht, dass nach 40 Jahren der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erstmals an eine Frau geht. Elinor Ostrom teilt sich den Preis mit Oliver E. Williamson, einem der wichtigsten Vertreter der Transaktionskostenökonomik. Beide sind Pioniere der Neuen Institutionenökonomik (NIÖ), die versucht, das wirtschaftstheoretische Instrumentarium auch auf Bereiche jenseits des Marktes anzuwenden und die zugleich deutlich macht, dass diese Bereiche jenseits des Marktes wieder auf den wirtschaftlichen Bereich zurückwirken: So bei der Ausgestaltung von Eigentumsrechten und von Verträgen, beim Bereitstellen und dem Schutz von Kollektivgütern (wie etwa der Umwelt) und in der Erklärung langfristigen politischen und wirtschaftlichen Wandels von Gesellschaften.

An den Rändern der Ökonomischen Theorie

Wenn denn Märkte wirklich so effizient sind – warum gibt es dann überhaupt Firmen und Hierarchien? So lautete die einfache Frage von Ronald Coase, der in einem bahnbrechenden Aufsatz aus dem Jahre 1937 erstmals die Idee formulierte, dass die Benutzung von Märkten mit Kosten (den sogenannten Transaktionskosten) verbunden ist, damit die NIÖ begründete und 1993 mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften geehrt wurde.

In unserem Beitrag „Was ist und was kann moderne Ordungsökonomik?“ zum kürzlich ausgetragenen Methodenstreit  haben wir zwischen zwei Hauptströmen der Volkswirtschaftslehre unterschieden, von denen der derzeitige dominierende Strom die innersystemischen Eigenschaften des Wirtschaftsprozesses erforscht (isolierende Ökonomik), während die Ordnungs- und Institutionenökonomik nach der Interaktion des Marktes mit seinem gesellschaftlichen Umfeld fragt. Mit Elinor Ostrom und Oliver E. Williamson sind zwei herausragende Vertreter der letztgenannten Richtung, die man auch als kontextuelle Ökonomik bezeichnen kann, mit dem höchsten Wissenschaftspreis für Ökonomen geehrt worden.

Ostrom und Williamson sind Querdenker, die an der Rändern der ökonomischen Theorie arbeiten und von dort aus mit produktiven Beiträgen nicht nur in den Kernbereich der Ökonomie hineinstrahlen, sondern ökonomische Theorie auch für Nachbardisziplinen fruchtbar machen.

Jenseits der Extreme

Beiden geht es in erster Linie um die Frage, wie Menschen mithilfe von Institutionen (Regeln, Handlungsrechte) soziale Probleme lösen können. Und beide kommen zum Ergebnis, dass die nachhaltigsten, effizientesten und gerechtesten Lösungen oft jenseits der Extreme von reinem Markt oder staatlicher Überwachung gefunden werden. Für Elinor Ostrom stehen Umweltprobleme im Vordergrund. Die Tragik der Allmende besteht darin, dass es sich um knappe Umweltgüter handelt (etwa: Fischereigründe), die übermäßig genutzt werden, weil hier private Eigentumsrechte nicht oder nur unter zu hohen Kosten zuzuordnen sind. Darum ist es etwa für jeden einzelnen Fischer rational, so viel Fisch wie möglich zu fangen. Wenn aber alle Fischer so handeln, stellen sich auf Dauer auch alle schlechter; der See wird überfischt.

Viele Ökonomen stellen in solchen Fällen Marktversagen fest. Da für sie die Welt jenseits des Marktes im Dunkeln bleibt, rufen sie nach staatlicher Regulierung oder vollständiger Privatisierung und gehen zur Tagesordnung über. Anders Elinor Ostrom, die sich gerade dafür interessiert, wie die Menschen das Problem des Marktversagens durch soziale Kooperation zu lösen versuchen.

Zivilgesellschaftliche Selbsthilfe lautet das Zauberwort. In Alanya an der türkischen Riviera etwa jagten die Fischer einst gleichzeitig den großen Schwärmen hinterher und dezimierten sie dadurch übermäßig. Als es ihnen bewusst wurde, lösten sie das Problem mit einer Regel, auf die sich alle einigen konnten: sie teilten die Fanggründe so auf, dass für jeden Fischer ein Gebiet definiert ist, in dem ausschließlich er fischen darf. Diese Fanggründe werden zunächst per Los zugeteilt; danach wechseln sie täglich im Rotationsverfahren. So wird das Überfischen vermieden, niemand wird benachteiligt – und all das ohne politischen Eingriff oder staatliche Kontrolle.

Auch Oliver Williamson untersucht die Lösung von Konflikten mithilfe von Institutionen jenseits der einfachen Gegenüberstellung von Markt und Hierarchie. Sein Augenmerk gilt vor allem der Firma und verschiedenen anderen Formen der Organisation. Transaktionskosten, so lehrt er, machen es oft attraktiv, spezifische Austauschbeziehungen intern, innerhalb einer Organisation wie der Firma dauerhaft und eher hierarchisch zu regeln. Welche Formen solcher „corporate governance“ unter welchen Umständen am ehesten stabil und effizient sind, untersucht Williamson mithilfe einer Institutionentheorie, die ohne die Fiktion des rationalen, allwissenden „homo oeconomicus“ auskommt und viele rechtliche Details zu berücksichtigen in der Lage ist.

Kontextuale Ökonomik

Im Hinblick auf das, was sich derzeit an einigen wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten in Deutschland abspielt, ist die institutionelle Anbindung beider Preisträger erwähnenswert: Oliver E. Williamson hat einen Lehrstuhl inne, der Betriebswirtschaftslehre, Volkswirtschaftslehre und Rechtswissenschaft vereint und der aus deutscher Sicht wohl am ehesten als „staatswissenschaftlich“ zu klassifizieren wäre. Und Elinor Ostrom ist – wie viele US-amerikanische Institutionenökonomen – nicht an einem wirtschafts-, sondern an einem politikwissenschaftlichen Department tätig.

In unserem Beitrag zum Methodenstreit hatten wir bereits darauf hingewiesen: Während viele deutsche Ökonomen die kontextuale Ökonomik am liebsten aus den ökonomischen Fakultäten verbannen wollen, ist die Frage nach dem, was eigentlich „Jenseits von Angebot und Nachfrage“ (Wilhelm Röpke) passiert, für US-amerikanische Ökonomen noch immer ein wichtiges und mehr noch, ein zunehmend wichtiges Thema.

Vielleicht trägt ja der Nobelpreis an zwei US-Ökonomen dazu bei, in Deutschland die Erkenntnis zu verstärken, dass es sich bei der kontextualen Ökonomik eben nicht um einen deutschen Sonderweg handelt, sondern um ein notwendiges Komplement zu einer umfassenden und realitätsnahen Wirtschaftswissenschaft. Zudem: Das in Deutschland einst stark vertretene kontextuale Forschungsprogramm einer weiterentwickelten Ordnungsökonomik, die mit Walter Eucken, Wilhelm Röpke, Alfred Müller-Armack und anderen einst ihren Ausgangspunkt nahm, ist aktueller denn je.

Es wird heute vor allem unter dem Titel „New Institutional Economics“ verfolgt, teilweise wieder entdeckt, und geschätzt, wie nicht erst die diesjährigen Nobelpreise belegen, sondern bereits die etwa an Friedrich von Hayek, Ronald Coase, Douglass North, James Buchanan, Vernon Smith oder Amartya Sen. In Deutschland ist man indes dabei, deren Forschungs-agenden aus den Wirtschaftsfakultäten zu verdrängen. Die erkenntnistheoretisch relevanten Phänomene jenseits einer isolierend modellierbaren Ökonomik von Angebot und Nachfrage brauchen jedoch auch in Deutschland ihren Platz, ob innerhalb Wirtschaftswissenschaften oder in interdisziplinär ausgerichteten Fakultäten. Hier sind die USA längst weiter: sie dominieren nicht nur den mainstream, sondern auch die produktiven Randbereiche, wie die lange Liste amerikanischer Nobelpreisträger belegt.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Reihe HWWI Standpunkt.

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