#Alexander Dobrindt

Was ist richtig, was ist falsch?

von , 5.1.18

Was ist richtig? Richtig ist, was dem in den Gesetzen liegenden Willen folgt. Also lass deine Finger von Menschen und Sachen, die nicht betatscht werden wollen. Lass die Finger von fremdem Eigentum. Halt deine Zunge im Zaum, setz andere nicht herab oder droh anderen nicht mit Vergeltung oder Tod, weil sie anderer Ansicht sind als du. Es gibt noch mehr, was falsch ist. Zudem gibt es Regeln, die das tägliche Zusammenleben ausmachen und prägen. Du bewegst dich nämlich in einer zivilisierten Gesellschaft, nicht in einer „Kampfzone“. Dazu zählt auch, dass Menschen sich in die Augen und ins Gesicht sehen, wenn sie etwas miteinander zu besprechen und auszumachen, ja, zu regeln haben.

Wer das ablehnt, macht aus der Gesellschaft, aus den herrschenden Regeln und Institutionen eine Kampfzone, in welcher Frau sich glaubt, schützen zu müssen. Und zwar im Namen der Freiheit, die gewählte Religion ausüben beziehungsweise bekennen zu können. Bricht dieses Recht zivilisatorische und auch ethische Standards? Mathias Schreiber hat vor Jahren im SPIEGEL an den französischen Philosophen Emmanuel Levinas erinnert, dessen Kernthese sei, dass der Mensch seine „eigentliche Würde“ erst dann erlange, wenn er „Verantwortung für den anderen Menschen“ übernehme. Dazu werde er von „einem Gott“ berufen, der sich „im Gesicht des anderen Menschen“ offenbare, im „Antlitz“ jenes Anderen, der einzigartig sei.

Was ist nun richtig, was ist hier falsch? Es wird fortwährend schwieriger, für richtig und falsch das Richtige zu finden. Ein Beispiel aus einem völlig anderen Bereich:

Meine Altersrente ergibt sich aus der Addition meiner Beiträge im Verlauf meiner Lebensarbeitszeit und aus dem Umrechnen dieser Beiträge auf einen monatlichen Betrag. Hinter diesem Betrag stehen das vom Gesetzgeber geschaffene Rentenrecht und dahinter das Grundgesetz.

Der Gesetzgeber hat sich entschlossen, in manchen Fällen aus Gründen der Gerechtigkeit eine höhere Rente zu bilden als durch eigene Beiträge gerechtfertigt wäre. Das gilt zum Beispiel für Kindererziehungszeiten.

Nun gibt es andere, die sagen, das System taugt nicht mehr, weil es viele Menschen a) nicht mehr vor Armut schützt und b) der individuellen Freiheit schadet, weil es zwingt. Sie fordern, dass der Staat in jedem Fall ein Einkommen bereitstellt, das weit mehr ist als ein Existenzminimum, das daher in die Größenordnung durchschnittlicher Renten hineinreicht. Dieses Einkommen soll an keine Leistung geknüpft sein.

Es ist ein Thema, das aufregt. Leistungsträger im Arbeitsleben merken, dass sie im Vergleich zu anderen zu Verlierern werden. Sie müssen sich so fühlen. Leistungswiderständige fühlen sich als Gewinner, halten die genannten Leistungsträger für nicht überzeugend, ihren Weg für einen Irrweg. Was ist da richtig, und was ist falsch? Gibt es eine Gerechtigkeit, die beides verbindet?

Ein zweites Beispiel. In Kandel wurde eine junge Frau erstochen. Der mutmaßliche Täter ist aus Afghanistan in die Bundesrepublik geflüchtet. Über sein Alter im Moment der Tat bestehen Zweifel.

Und sofort beginnt in der Bundesrepublik eine Grundsatzdebatte, fast so eine wie über das leistungslose Grundeinkommen, nur eben nicht so breit gefächert.

Die einen halten eine Altersfeststellung a priori für unsicher und zudem für einen Eingriff ins „Menschenwohl“, weil eine Röntgenuntersuchung dazu gehört – der Präsident der Bundesärztekammer Montgomery nimmt diesen Standpunkt ein. Der SPD-Gesundheitssprecher Professor Lauterbach hält solche Feststellungen für sicher und die saarländische Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer fügt hinzu, bei Untersuchungen des Alters junger Migranten habe sich herausgestellt, dass die Altersangaben zu 35 Prozent falsch gewesen seien. Das heißt: Es gibt da ein Problem.

Das Problem gibt es nicht bei jungen, in Deutschland geborenen Männern; die werden aufgrund obligatorisch sicherer Altersfeststellung im Zweifel dem Erwachsenen-Strafrecht zugeführt. Bei jungen Migranten gibt es Zweifel an der Altersangabe. Geht es hart auf hart vor Gericht, werden diese jungen Leute im Zweifel dem Jugendstrafrecht zugeführt, weil ein von Ärzten wie Montgomery definiertes Menschenwohl an die erste Stelle tritt und eine eventuelle Diskriminierung aus Gründen der Herkunft tunlichst vermieden werden soll.

In Deutschland geborene junge Männer haben einen solchen – ich nenne ihn etwas flapsig – „Bonus“ bezogen auf Alter und Strafrecht nicht. Sie können keinen Zweifel für sich reklamieren, was ihr Alter angeht. Sie wären gegenüber jungen Migranten benachteiligt. Was ist hier richtig, was ist falsch?

Heute gibt es fast nichts, was nicht in die Was-ist-richtig-was-ist-falsch- Debatte einbezogen wird: Unsere Sprache, die Religion, dann das, was man früher etwas ungewiss Anstand nannte: Begegnungen, Besitz, Absichten, politische Auffassungen, Erziehung, Arbeitsleben, Kommunikation und Verkehr.

Was ist richtig? Die Bahn AG hat im Stadtbereich Bonns innerhalb von 20 Monaten einen kompletten Haltepunkt eingerichtet, mit Fußgängertunnel und allem was dazu gehört. Er musste im November 2017 fertig sein, weil kurze Zeit später Tausende zu einer Klimakonferenz in Bonn zusammen strömten. Er wurde fertig.

Im Frühjahr 2015 begann die Bahn AG, den Bahnhof Bad Godesberg zu sanieren, ihren Anschluss in einem Stadtteil mit vielen alten und gebrechlichen Menschen. Zwischenzeitlich mussten Fahrgäste über schwankende Metalltreppen zu den Gleisen klettern. Für alte Menschen ein Alptraum. Rollstuhlfahrer wurden gebeten einen anderen Bahnhof aufzusuchen. Abgeschlossen ist die Sanierung erst jetzt, weil bis vor wenigen Tagen die Aufzüge für jene, die mit Kinderwagen, Rollator oder Rollstuhl reisen wollen oder die lediglich schlecht zu Fuß sind, immer noch nicht funktionierten. Die Bauzeit wird sich der 40 nähern. 40 für 40 Monate.

Was ist hier richtig, was falsch? Richtig ist jedenfalls, dass sich der Ärger über die schleppende Fertigstellung von Bahnhöfen und Flughäfen und die entsprechenden Kosten in die Köpfe der Menschen hineingefräst hat.

Wer führt aus solchen Debatten heraus? Wer leitet wen an, wenn es sich um Rechtsfragen dreht? Um Fragen der Kultur? Um die Beachtung zivilisatorischer Standards? Wen muss Mensch auf seiner Seite haben? Wer hilft, wer hindert, wem muss Mensch aus dem Weg gehen? Wer und was sind wichtig?

Ein junger Mann stellte jüngst im Berliner Tagesspiegel, also öffentlich fest: „Das Ende von Angela Merkels Amtszeit hat begonnen.“

Niemand konnte mir sagen, Kraft welcher Erfahrung er zu dieser abschließenden Äußerung kam. Seine durch Erfahrungen gefestigten Einsichten sind nämlich begrenzt. Er ist 28 Jahre alt, Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialisten in der SPD, heißt Kevin Kühnert.

War das wichtig?

Die frühere hessische SPD-Vorsitzende Andrea Ypsilanti hat der der Süddeutschen Zeitung mit Blick auf die von Sigmar Gabriel geforderte Diskussion über Heimat und Leitkultur gesagt: „Brauchen wir (auch) nicht.“ Eine wichtige oder eine abseitige Meinung?

Die Frage, ob etwas wichtig ist und der Findung von falsch oder richtig dienen kann, hat nichts mit links oder rechts zu tun. Gesäßgeographie gibt da nichts her. Wenn also der große Maut-Vorkämpfer Alexander Dobrindt ein großes Wirtschaftsprogramm fordert, muss niemand auf die Palme gehen. Denn das ist so, als wenn sich ein Krabbelkind auf ein offenes Fenster zubewegt. Man flüstert nur noch ängstlich: Alexander, tu das nicht.

Längere Zeit habe ich, was Gewissheiten angeht, auf die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten gesetzt. Ich erinnerte mich an die Fernsehbearbeitung von Theodor Pleviers „Stalingrad“, 1963 gesendet, in der Hauptrolle mit Hanns Lothar besetzt. Ich dachte, irgendwie muss das doch weiterleben in diesen „Anstalten“. Es war keine gute Idee.

Wenn der Satz stimmt, dass auch Filme einen – vielleicht nur winzigen – realen Kern aufweisen, dann ist die Bundesrepublik angesichts der überquellenden Fülle der Krimiserien ein Land der Mörder, Verschlepper und Gauner; und die größte Beschäftigtengruppe sind nicht Pflegerinnen oder Krankenschwestern, Lasterfahrer sondern die Kripoleute.

Und kommt mir bitte nicht mit ARTE, liebe Freunde! Vor wenigen Tagen nervte ARTE knapp zwei Stunden mit Infos über Pharaonen und deren Bauten ohne ein einziges Mal zu sagen, was so ein armes Schwein von Lastenträger damals am Tag verdiente, der sich für den Pharao krumm schuftete. Und das alles ohne ver.di!

Am ehesten ist noch der Deutschen Rentenversicherung zu trauen. Die gibt es a) schon sehr lange und b) sagte sie mir schon lange bevor ich in Rente ging, was ich später zu erwarten hätte. Auf Cent und Euro genau. Fragen sie doch heute mal bei Lufthansa, Telekom oder deutscher Bank nach, was ihre Anteile am Unternehmen in 20 Jahren wert sein werden! FF kann ich nur sagen: Viel Vergnügen.

Was ist richtig, was ist falsch? Wir leben nicht in Zeiten großer Gewissheit. Weil das so ist, sind wir offenkundig außerstande, Fortschritte als solche wahrzunehmen:

Das wir gesünder älter werden können!

Dass wir nicht mehr zu buckeln brauchen wie unsere Großeltern, sondern für unsere Rechte ohne Nachteile einstehen können. Meistens jedenfalls.

Dass unsere Kinder zumeist tadellose Ausbildungen erhalten und damit mehr verändern können als wir.

Dass wir Zeit für Verantwortung haben und die Mittel dazu.

Es wäre schon viel gewonnen, wenn viele Angehörige der politischen Klasse und Spitzen der Funktionseliten aufhören würden, sich im Nörgelton bemerkbar zu machen. Wenn also zum Beispiel ein Herr Joe Kaeser, der oft in der Zeitung zu finden ist, statt hinter einer Jamaika-Koalition her zu jammern mal sagen würde: Wir schaffen das! Wir halten zusammen! Wir stehen das durch, wir Bundesbürger. Mir schwant freilich, dass aus einer Siemens-Gasturbine eher ein Rollator wird als das dies passiert.

 

 

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