#Information

Informationen sind Viren

von , 14.1.11

Seit immer mehr Leaks entstehen, ob mit oder ohne wiki, ist es Mode, über Informationen und den Umgang mit ihnen zu diskutieren. Mario Sixtus schrieb vor kurzem im ZDF-Blog “Kennzeichen Digital” unter anderem folgenden Satz:

Seit Informationen sich von ihren stofflichen Wirtskörpern befreit haben, lassen sie sich nicht mehr festhalten.

Ein sehr interessanter Gedanke. Dennoch glaube ich nicht, dass sich Informationen je festhalten ließen. Die Frage ist nämlich: Was sind Informationen überhaupt?

Bisher herrscht häufig ein sehr materielles Bild von Information vor. Demnach ist eine Information wie ein Tisch. Irgend jemand hat ihn erstellt, besitzt ihn oder kontrolliert, wer Zugriff auf ihn hat. Man kann ihn – mit etwas Aufwand – kopieren. Aber wenn man ihn kopiert, ist es wieder ein Tisch. Ein Tisch, der selbst keinerlei Interaktion durchführt.

Ich glaube deshalb, dass ein anderes Bild für Information passender ist – das Bild der Information als Virus.

Was ist ein Virus? Ein Virus ist zunächst einmal nicht zwangsläufig etwas Böses. Ein Virus muss keine Krankheit auslösen. Zudem ist es kein Lebewesen, aber dennoch etwas, das mit Lebewesen interagiert. Vereinfacht gesprochen, transportiert es seine Erbinformation in die eines Wirts, der dann hilft, das Virus zu vermehren.

Informationen handeln (interagieren) ähnlich. Nehmen wir eine Wikileaks-Information: In einer der veröffentlichten Botschaftsdepeschen trägt Angela Merkel den Beinamen „Teflon“. Auch wenn die Information auf eine von Menschen stark beeinflusste Situation zurückgeht und sie von einem Menschen erstmals formuliert wurde, ist sie nicht von diesem geschaffen wie z.B. ein Tisch. Vielmehr hat den Menschen diese Information „infiziert“. Ein Botschafter verbreitet sie, andere verbreiten sie weiter. Wikileaks wäre in diesem Zusammenhang eine Art kontaminierte Trinkwasserversorgung, ohne dass ich damit eine Wertung vornehmen möchte.

Deutlicher wird das Information=Virus-Modell, wenn ich ein anderes Beispiel wähle, die Erdanziehung. Die “Information”, wie Gravitation funktioniert, welche Naturgesetze eine Rolle spielen, gab es schon lange vor den Menschen. Sie lag vor in ihrer Funktion, quasi in der praktischen Anwendung. Diese Information wurden (physik-historisch vereinfacht dargestellt) durch Isaac Newton in menschliche Gedanken übersetzt (die Information hatte ihn infiziert). Er berichtete anderen davon und schrieb sie auf. Dies ist eine Art Ansteckung, ja: Informationen sind ansteckend.

Bildlich gesprochen infizierte Newton nicht nur Menschen, sondern auch ein Buch bzw. Papier. Die Informationen blieben die gleichen, lagen aber erneut in einer anderen Form vor – als Schrift. Auch das Buch ist ein „Infektionsherd“.

Nun unterlagen “Informationen” (Menschen und Dinge) lange Zeit einer gewissen räumlichen Begrenzung. Im Zeitalter von Globalisierung, Computern und Internet haben wir es aber ständig mit Informations-Pandemien zu tun.

Auf Wikileaks bezogen heißt das: Den Regierungen helfen weder Mundschutz noch Impfung. Denn mit diesen Instrumenten kann man bekanntlich nur auf bereits bekannte Erreger reagieren. Die Informationsgrippe wird kommen, und sie wird auch wieder gehen. Letzteres zumindest meistens.

Das Bild vom Virus macht auch einen Irrglauben deutlich, dem wir Menschen immer wieder anheim fallen: Den Irrglauben nämlich, dass Informationen dem Menschen gehören und von ihm geschaffen werden. Informationen sind aber nicht vom Menschen abhängig. Der Mensch ist nur der Wirt. Nein: Er ist nicht der Wirt. Er ist ein Wirt. Computer können diese Rolle heutzutage – auch ohne menschliches Zutun – genauso gut erfüllen.

Die Information bleibt gleich, kann aber in verschiedener Form gespeichert werden. Als Praxis, als menschlicher Gedanke, als Erinnerung; auch als Wort, als magnetische Signatur auf einer Festplatte, als Licht oder als elektrischer Impuls in einer Leitung. Information kann in verschiedenen Formen gleichzeitig vorhanden – und doch identisch sein. Sie kann ständig aufs Neue übersetzt werden (auch heute könnte ein Mensch die Gravitation auf dem Weg Newtons verstehen).

Wir bezeichnen Viren nicht als Lebensform, sondern als Partikel. Aber das ist eine menschliche Definition. Würden wir sie zu den Lebensformen zählen, wären Viren eine äußerst effektive Lebensform. Und Informationen sind womöglich die dominante Spezies im Universum.

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