#Ahnungslose

Im Digi-Tal der Ahnungslosen?

von , 4.6.12

Im Mediendienst kress war unmittelbar vor der 11. Jahrestagung des Netzwerks Recherche ein Interview mit dem neuen Vorsitzenden Oliver Schröm erschienen. Auf die Frage, ob die Krise des Vereins denn nun vorbei sei, antwortete Schröm:

„Jein. Der Staatsanwalt ermittelt. Das ist die eine Seite. Die Vorgänge von damals haben die Vereinsmitglieder aber kaum berührt: Es gab seitdem mehr Eintritte als Austritte, die Zahl der Mitglieder ist auf knapp 600 gestiegen. Im Frühjahr haben wir den ersten Fachkongress – zum Thema Datenjournalismus – veranstaltet und konnten uns vor Anmeldungen nicht retten. Ähnlich verhält es sich jetzt mit der Jahrestagung. Von daher ist der Verein über die Krise hinweg.“

Als Vereinsvorsitzender hat man natürlich ein Interesse daran, Normalität darzustellen. Doch intern schwelt die Krise offenbar weiter. Aus mehreren Briefen, Anfragen und Stellungnahmen von Mitgliedern, die kurz vor der Jahreskonferenz gezielt an verschiedene Medien (meedia, visdp, auch an Carta) verschickt worden waren, geht hervor, dass die Ereignisse und Folgen des letzten Sommers keineswegs aufgearbeitet sind. Kritik wird insbesondere geübt…

…an der Vergabe des Leuchtturm-Preises, den zuletzt die FAS/FAZ aufgrund ihrer„Haltung“ in der Guttenberg-Affäre bekommen hat. Die FAZ, so die Kritik, habe keineswegs große “Haltung” gezeigt, sondern den Minister anfangs in den Himmel gelobt und selbst nach Affärenbeginn noch abzuwiegeln versucht. Außerdem sei der Leuchtturm-Preis nie für „Haltungen“ vergeben worden, sondern nur für herausragende Rechercheleistungen. Mit der Preisvergabe, so die Unterstellung der Kritiker, habe man sich bei der FAZ einschmeicheln wollen. (Inzwischen hat der Verein klargestellt, dass er künftig nur noch Rechercheleistungen auszeichnen will; andererseits wird nun die Auswahl des diesjährigen Laudators für die ‘Verschlossene Auster’ kritisiert);

…an der angeblichen Aufweichung der bisherigen Anti-PR-Haltung, die zu den Grundsätzen des 2001 gegründeten Netzwerks zählt. Leider, so die interne Kritik, nehme die Zahl der Vorstandsmitglieder, die nicht von der Mitgliederversammlung gewählt, sondern vom Vorstand kooptiert würden, überhand. Unter den Kooptierten seien auch welche, die beruflich Public Relations (PR) betreiben. (Marcus Lindemann als einer der Gemeinten hat sich inzwischen gegen solche Unterstellungen verwahrt);

…an der angeblich mangelnden Transparenz der bisherigen Krisen-Aufarbeitung, was nach Meinung der Kritiker vor allem daran liege, dass der Vorstand im November nicht vollständig ausgewechselt worden sei. Protokolle von Vorstandssitzungen würden seither nicht mehr an die Mitglieder weitergereicht, wichtige Reden würden nicht dokumentiert, Probleme beschönigt. Den Austrittsgründen mancher Mitglieder – die frühere Schatzmeisterin Tina Groll hatte am 12. Oktober geschrieben: „Dass wir nach außen erklärt haben, wir hätten von den falschen Zahlen erst im Mai 2011 im Zuge der Stiftungsgründung erfahren, war gelogen…“ – werde nicht ernsthaft genug nachgeforscht. Strittig sei z.B. noch immer, wer ab wann von den Unregelmäßigkeiten im Verein gewusst und die Wirtschaftsprüfung durch die Kanzlei Hoffmann empfohlen, in Auftrag gegeben und abgesegnet habe. Zudem lag den Kassenprüfern des Vereins ein Schreiben aus der Mitgliedschaft vor, das weitere Fragen zum Finanzgebaren stellt. (Sind dies nur Querschüsse aus den eigenen Reihen, die man getrost als verspätete Rache Einzelner abtun kann oder steckt möglicherweise mehr dahinter? Der Verein bemüht sich bislang nur unzureichend, die Vorwürfe durch „mehr Transparenz“ zu entkräften. Marcus Lindemann hat nun per Twitter mehr Transparenz ‘in Aussicht’ gestellt.)

In der Nachbetrachtung zur Tagung (taz, kressaltpapier, tagesspiegel, ruhrbarone) ist ein gewisser Unmut über die bisherige Aufarbeitung nicht zu übersehen. Es gibt allerdings auch Berichte, die das vielfältige Angebot der Jahrestagung loben und die Vereinsquerelen nur am Rande zur Kenntnis nehmen. Es ist schließlich keine Selbstverständlichkeit, dass berufstätige Journalisten aus freien Stücken nebenbei eine Sommer-Akademie für Kollegen ausrichten – unentgeltlich, mit großem Einsatz und engagierter Berufsverbesserungslust.

P.S. Im Konferenzblog jk12.netzwerkrecherche.de finden sich zahlreiche Berichte und Tagungsprotokolle

Update 7.6.: Auf der Website von Netzwerk Recherche geht der Vorstand nun ausführlich auf die Vorwürfe ein, die verschiedenen Medien kurz vor der Konferenz zugespielt worden waren.

 

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