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“House of Cards” sehen und Jeff Bezos verstehen

von , 15.8.13

Amazon-Gründer Jeff Bezos kauft die Washington Post, eine “Ikone des investigativen Journalismus”, und alle Welt versucht, seine strategischen Absichten zu entschlüsseln.

Ist er so überzeugt von seiner digitalen Vision, dass er mit einer innovativen Online-Strategie die Washington Post bald wieder in den schwarzen Zahlen sieht? Oder sucht er nur nach journalistischem Content, den er über seine Kindle-Lesegeräte vertreiben kann? Oder ist er eher auf die paperboys der Washington Post scharf, auf das Vertriebssystem, das sich hervorragend in AmazonFresh integrieren ließe, das eigene Konkurrenzunternehmen zu den alteingesessenen Postzustellern? Oder ist es vielleicht ein sentimentaler Zug, um seinen Kindern etwas von historischem Wert zu hinterlassen, denn immerhin hat sich Bezos die Washington Post als Privatperson und nicht als Amazon-CEO unter den Nagel gerissen? Oder ist es doch der schnöde Zukauf von Einfluss, den der neue Herausgeber Jeff Bezos über editorials in der Washington Post auf die Hauptstadtpolitik gewänne?

An all dem mag etwas Wahres sein, aber es verkennt das machiavellische Kalkül hinter der Strategie von Jeff Bezos.

Um dieses Kalkül besser zu verstehen, lohnt es sich, einen Blick auf die amerikanische Serie “House of Cards” über den Politikbetrieb in Washington zu werfen, in der der Niedergang des amerikanischen Journalismus in der Gestalt einer sehr eng an die Washington Post angelehnten Zeitung namens “Washington Herald” thematisiert wird.

Frank Underwood ist ein von Kevin Spacey mit echsenhafter Präzision gespielter Politiker der Demokraten, der für die Ausweitung seiner Machtposition ein kompliziertes Netz aus Abhängigkeiten strickt. Die Medien instrumentalisiert er für seine Interessen virtuos, indem er gezielt Informationen an die junge, aufstrebende Reporterin Zoe Barnes des fiktiven “Washington Herald” weitergibt, die ihrer eigenen Karriere willen die Intrigen Underwoods mitspielt und Sex gegen eine gute Story eintauscht.

Quid pro quo: in “House of Cards” wird der beltway journalism Washingtons als ein schmutziger Handel porträtiert, in dem jeder Reporter sein letztes Hemd für einen scoop gibt, und Regierungsangehörige die politische Berichterstattung für die gezielte Manipulation der öffentlichen Meinung ausnutzen (wie geschehen bei der kritiklosen Stimmungsmache durch die Washington Post für den anstehenden Irak-Krieg 2003).

Die grobkörnige Darstellung des amerikanischen Journalismus in “House of Cards” wurde von manchen kritisiert (etwa hier, hier oder aus feministischer Sicht hier), doch macht es viel mehr Sinn, die Figuren der Serie nicht nach ihrer psychologischen Glaubwürdigkeit zu beurteilen, sondern sie als metaphorische Repräsentanten des Medienwandels zu sehen.

Die junge Reporterin Zoe Barnes verkörpert danach nichts Geringeres als “das Internet”, deren schärfste Waffe das Smartphone ist. Als ihr Chefredakteur sie beleidigt, nachdem sie eine Beförderung zur Korrespondentin für das Weiße Haus ablehnt, zieht sie ihr iPhone wie ein Schwert aus der Tasche und droht ihm: “Remember, these days, when you’re talking to one person, you’re talking to a thousand.”

Innerhalb von Stunden hat sie ihre Twitter-Follower mobilisiert und den Chefredakteur unter Druck gesetzt. Dieser wird von der Herausgeberin, die in der Serie mehr als offensichtlich an die frühere Washington-Post-Herausgeberin Katharine Graham angelehnt ist, zum Rapport bestellt. Zu seiner Verteidigung sagt der Chefredakteur zu seiner Herausgeberin:

“Zoe Barnes, Twitter, blogs, enriched media — they’re all surface, they’re fads. They aren’t the foundation this paper was built on and they aren’t what will keep it alive. We have a core readership that thirsts for hard news. Those are the people I work 80 hours a week for. And I won’t be distracted by what’s fashionable.”

Wenn daraufhin die Herausgeberin dem Chefredakteur seine Entlassung zur Unterschrift vorlegt, ist das nicht nur der Sieg einer jungen Reporterin über ihren sexistischen Vorgesetzten, sondern auch das Eingeständnis, dass journalistische Integrität und sauberes fact checking sich den neuen medialen Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie und eines minütlichen Nachrichtenzyklus unterzuordnen haben.

Die Drehbuchautoren von “House of Cards” lassen keinen Zweifel daran, wo sie die Zukunft des Journalismus verorten: mit dem Segen ihres Mentors Frank Underwood heuert Zoe Barnes bei einem Online-Magazin namens “Slugline” an, das wie ein Hybrid aus Politico, Huffington Post und Buzzfeed erscheint. Nachrichten werden im Nachtbus auf dem iPhone geschrieben und augenblicklich ohne redaktionelle Prüfung auf die Titelseite des Online-Mediums gehievt. Auf “Slugline” müssen die Geschichten die nötigen grit und edge haben, um die hippe Chefin des Online-Portals nicht zu langweilen – was nichts anderes ist, als ein Euphemismus für SEO-optimierte Texte, deren Schlagzeilen möglichst viele Pageviews erzeugen. Der fiktive “Washington Herald” spielt im weiteren Verlauf der Serie keine Rolle mehr.

Welchen Bedeutungsverlust die traditionellen amerikanischen Qualitätsblätter im Vergleich zu den neuen Onlinemedien hinnehmen mussten, lässt sich schon am Preisschild ablesen, mit dem sie in den letzten Jahren verramscht wurden.

Die New York Times verkaufte kürzlich den Boston Globe für 70 Millionen Dollar, nachdem sie 1993 1.1 Milliarden Dollar für das gleiche Blatt auf den Tisch gelegt hatte. Die 250 Millionen Dollar, die nun Jeff Bezos für die Washington Post überweist, und die vermutlich nur etwa ein Prozent seines geschätzten Vermögens ausmachen, übersteigen mit großer Wahrscheinlichkeit den tatsächlichen Wert der Zeitung.

Die einst zweitwichtigste Zeitung der USA und die bedeutendste Informationsquelle über die mächtigste Regierung der Welt hat aufgehört, in irgendeiner Form noch von wirtschaftlicher Relevanz zu sein. Währenddessen konnte die Huffington Post als Onlinemedium einen Preis von 315 Millionen Dollar erzielen, ganz zu schweigen von den Milliardensummen, die für Dienste wie Instagram gezahlt werden.

Warum also hat Jeff Bezos sich ausgerechnet am garage sale überholter Tageszeitungen beteiligt und nicht in ein “Slugline” – a.k.a. das heißeste neue Online-Portal – investiert?

Die Antwort ist einfach: politische Macht. Man muss sich Jeff Bezos als Geistesverwandten des hintertriebenen Politikers Frank Underwood aus “House of Cards” vorstellen. Beide legen keinen Wert auf schnelle monetäre Gewinne. Im Zentrum ihrer Strategie steht der langfristige Machtgewinn durch Eliminierung aller möglichen Gegner und die Schaffung von “schlafenden” Abhängigkeiten, die im richtigen Moment für die eigenen Interessen ausgespielt werden. Für das eine übergeordnete Ziel des Machtgewinns werden finanzielle Opfer billigend in Kauf genommen.

Frank Underwood beschreibt in der Serie seinen Abscheu für einen Politiker, der den höheren Stellenwert von Macht gegenüber Geld nicht verstanden hat, mit Worten, die auch von Jeff Bezos stammen könnten:

“Such a waste of talent. He chose money over power – in this town, a mistake nearly everyone makes. Money is the McMansion in Sarasota that starts falling apart after 10 years. Power is the old stone building that stands for centuries.”

Genauso könnte man auch Amazons Strategie “Wachstum vor Profitabilität” beschreiben. Jeff Bezos ist nicht an Gewinn interessiert, sondern nur an der äußerst aggressiven Ausweitung von Anteilen in den verschiedensten Märkten. Wer glaubt, Bezos habe die Washington Post gekauft, weil er sich in irgendeiner Weise für die Inhalte von Journalismus erwärme, ist vermutlich auch so naiv, zu glauben, Amazon wäre jemals an einer vielfältigen und literarisch anspruchsvollen Buchkultur gelegen.

Mit kühler, neoliberaler Präzision bastelt Amazon daran, die gesamte Verwertungskette des Buchhandels unter seine Kontrolle zu bringen, von der Betreuung des Autors bis zum Versand und der Zustellung der Bücher. Aber nicht nur der Buchhandel ist durch die gnadenlose Zwangsrabattpolitik Amazons erpresst worden: Inzwischen befindet sich der ganze stationäre Einzelhandel in einem mörderischen Preiskrieg mit dem Online-Händler. Die Waffen Amazons in diesem Preiskrieg: teilweise unmenschliche Arbeitsbedingungen in den Logistikzentren, die Umgehung nationaler Steuergesetze (nicht nur in Europa, sondern auch in den USA) und die Bildung monopolartiger Strukturen wie beispielsweise im Bereich der E-Books, die die Kunden im Kindle-Universum gefangen halten.

All das produziert natürlich jede Menge Gegenwind. Umso wichtiger wird es für Jeff Bezos, die Nähe der Politik zu suchen, um die Gesetzgebung zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Bisher fiel er nicht durch übermäßig große Spenden an Politiker auf. Ausnahme sind die 2.5 Millionen Dollar, die er gemeinsam mit seiner Frau in seinem Heimatstaat Washington (“dem anderen Washington”) für ein Gesetz zur Legalisierung der Homosexuellenehe beisteuerte. Ob die Gründe für die großzügige Spende in einer herzerweichenden E-Mail einer Mitarbeiterin lagen, oder nicht doch auch Kalkül waren, um sich bei den regierenden Demokraten im Bundesstaat Washington für die Ablehnung eines Gesetzes zu bedanken, das die Reichsten des Bundesstaates höher besteuert hätte, bleibt dahingestellt.

Dass aber Amazon im regen Kontakt mit Regierungsstellen steht, wurde spätestens klar, als Amazon vor drei Jahren den Stecker für die Server der Plattform Wikileaks zog, als die Whistleblower zu ungemütlich wurden. In diesem Jahr wurde dann bekannt, dass Amazon über die nächsten 10 Jahre nicht nur cloud computing für den CIA bereitstellt, sondern seine Cloud-Dienste sogar innerhalb der Datenzentren des CIA installiert – ein klarer Bruch mit der bisherigen Linie von Amazon, die sich gegen sogenannte private clouds richtete. Man kann nur erahnen, wie eng die Kooperation mit der NSA ist.

Amerikanische Buchhändler reagierten verbittert und zynisch, als Barak Obama ausgerechnet in einer Lagerhalle Amazons den Versandhändler als vorbildlichen Arbeitsplatzbeschaffer lobte. Und das nur wenige Tage, nachdem mit Hilfe des Department of Justice Preisabsprachen zwischen Apple und den Verlegern gekippt wurden und damit Amazons desaströse Rabattpolitik den staatlichen Segen erhielt.

Wie wird also Jeff Bezos reagieren, wenn seine eigene Zeitung, die Washington Post, die aggressive Expansionspolitik Amazons kritisch unter die Lupe nehmen wird?

Mit großer Wahrscheinlichkeit würde er das tun, was Frank Underwood an seiner Stelle auch tun würde: gar nichts. Er würde die Journalisten ihre Artikel schreiben lassen und der Zeitung weiterhin genügend Geld überweisen, damit sie trotz fehlenden Geschäftsmodells überleben kann. Denn er hat der demokratischen Partei schon allein durch den lebensrettenden Kauf der Washington Post den größten Gefallen getan: Das Mitte-Links-Blatt war trotz des Trommelns für den Irakkrieg schon immer ein wichtiges Sprachrohr der Demokraten, und in den letzten Jahren fungierte es zunehmend als Gegengewicht zum konservativen Politico.

Über die Jahre aber wird Bezos dafür sorgen, dass auch Stimmen in der Washington Post das Wort bekommen, die auf seine libertäre Linie eingeschworen sind. Und während andere Zeitungen sterben, wird die Washington Post neben der New York Times als eine der wenigen bundesweiten Nachrichtenorgane von Relevanz verblieben sein. Bei einem zukünftigen Versuch der gesetzlichen Regulierung irgendeines der vielen Geschäftsfelder Amazons wird es sich als großer strategischer Vorteil herausstellen, mit der Washington Post die öffentliche Meinung zu Gunsten des Versandhändlers beeinflussen zu können.

Durch diese “schlafende” Abhängigkeit entsteht ein Machtzuwachs, der sich in viel mehr Geld auszahlen wird, als in den lächerlichen 250 Millionen Dollar, die Jeff Bezos jetzt in die Washington Post investiert hat. Vielleicht erleben wir irgendwann einen “Washington Post Blackout” als Protest gegen ein Anti-Monopol-Gesetz, das in den editorials der Zeitung als Angriff auf die freie Meinungsäußerung verzerrt wird? Man wird dann auf Bezos’ Kauf der Washington Post als das Erdbeben zurückblicken, dessen Tragweite damals nicht erkannt wurde.
Crosspost von silent listening

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