#Berlin

Hilfe

von , 30.1.16

24 Stunden in meinem Doppelleben als Mitglied eines Willkommensbündnisses in einem Ortsteil Spandaus und als Leiter einer temporären Unterkunft. Montag Abend, Treffen des Willkommensbündnisses, auf der Tagesordnung stehen die Planung von Willkommensaktionen sowie der Besuch verschiedener Bezirks- und Bundespolitiker. Der Plan, Geflüchtete mit Aktionen willkommen zu heißen scheitert trotzt oder gerade wegen stundenlanger Diskussion auch an der Kleinteiligkeit des Angebots (Umnähen nicht passender Kleidung, Konversationskurs Englisch), dafür steht aber recht bald die Mängelliste, die dem Bezirksbürgermeister unbedingt übergeben und mit ihm besprochen werden soll: Die Kleiderkammer eines Erstaufnahmelagers im Bezirk ist chaotisch, auch dessen Kinderbetreuung funktioniere nicht optimal. Die Runde beschließt, für jedes der ortsansässigen Heime Vertreter zu bestimmen, die die tatsächlichen oder vermeintlichen Interessen der Geflüchteten beim Ortstermin zur Sprache bringen. Von den Betreibern selbst ist außer mir kein Vertreter anwesend.

Am nächsten Tag besucht der Flüchtling Merza (alle Namen geändert) unsere Einrichtung, er lebt in einer Notunterkunft in der Nähe, spricht perfekt Farsi und Deutsch und erhält von uns eine Liste von Rechtsanwälten, die kostenlos beraten. Begleitet wird er von Michaela, einer Ehrenamtlichen aus Spandau. Ohne weitere Umschweife beschreibt Michaela ungefragt die Umstände in Merzas Turnhalle, in der 200 Personen in Doppelbetten leben, als unzumutbar, den Betreiber als unfähig und beschwert sich, dass der Heimleiter nicht auf ihre dringend geäußerte Bitte, bestimmte Mitarbeiter umgehend zu entlassen, hört. Michaela hat inzwischen Hausverbot in der Notunterkunft.

Letzte Szene: Im Bezirk hat ein Integrationsverein alle Betreiber geladen, die mit dem Thema Willkommensklassen befasst sind, zu Gast sind Vertreter des Schulamtes sowie der Schulsenatsverwaltung und es geht um die Vereinfachung und Beschleunigung der Einschulung. Wie üblich stellen sich zunächst alle vor. Eine Notunterkunft wird vertreten durch eine Ehrenamtliche, und auch sie hat wenig Gutes über „ihre“ Einrichtung zu erzählen. Ob sie die Einrichtung tatsächlich vertritt, oder sich eher engagierte Anwältin der Geflüchteten versteht, oder ganz eigene Interessen hat, wird an diesem Abend nicht in Frage gestellt.

Warum ist das so? Und muss das so sein? Bei der Gründung des Willkommensbündnisses dachte ich noch, es ginge um die Bildung ganz eigener Strukturen. Die von Trägern im Auftrag des Senats betriebenen Unterkünfte haben den Auftrag und den Anspruch einer Notversorgung, hier könnte und müsste man ergänzen: Gründung von Treffpunkten in eigenen Räumen, Veranstaltungen, Aufbau von Deutschkursen, Sportevents und Willkommensfeiern. Mein Bündnis aber verliert sich über die folgenden Wochen schnell in bürokratischem Kleinklein, der Aufbau einer Internetseite und eines E Mail Verteilers nimmt großen Raum ein. Eigene Angebote, Räume und Veranstaltungen traut man sich nicht zu, also nimmt man sich das, was da ist: Die Hallen, Räume und Strukturen der Betreiber. Der Konflikt ist damit vorprogrammiert. Im täglichen Zusammenspiel ist es jetzt wie mit den Kleiderspenden, gut gemeint ist nicht immer gut und manchmal wünscht man sich als Betreiber, lieber einmal für 1.000 Euro einkaufen gehen zu können, als tagelang aus Koffern Strickjacken, schlecht gewaschene Unterhosen und Karottenjeans auszusortieren. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge beispielsweise haben nicht selten gute Sachen an und besitzen Smartphones. Ihre Armut besteht darin, dass sie keine Eltern und keine Zuversicht haben – sie brauchen aber keine 30 Jahre alte Unterwäsche. Auch in anderen Bereichen schätzen Ehrenamtliche den Bedarf oft falsch ein, meinen es aber gut. Statt Einladungen zu Essen oder Basteln, wo Dolmetscher und Begleiter organisiert werden müssen, benötigen Flüchtlinge dringend Ärzte und Rechtsanwälte, die regelmäßig fachkundig zur Verfügung stehen.

Die melden sich zum Glück auch und sind unglaublich hilfreich, auch sie kommen über das Willkommensbündnis, nehmen in der Regel aber nicht an dessen abendlichen Treffen Teil. Als Verantwortlicher für meine Unterkunft habe ich schnell zu unterscheiden gelernt zwischen substantieller und, um es freundlich auszudrücken, ergänzender Hilfe. Substantiell, weil von uns als Betreiber nicht leistbar, sind Ärzte, die die Flüchtlinge in Augenschein nehmen und unsere Mitarbeiter damit von Verantwortung entlasten, die sie nicht tragen können. Bereits drei Wochen nach Einrichtung der Notunterkunft betreut ein Netzwerk aus ehrenamtlich tätigen Ärzten jeden Neuankömmling und gibt Empfehlungen für die weitere Behandlung. Auch Rechtsanwälte, die sowohl die Geflüchteten als auch uns, z.B. als Begleiter bei Behördengängen, beraten, sind hilfreich, darüber hinaus geht es um Unterstützung in Bildung, Jobvermittlung und Wohnungssuche. Ergänzende Angebote lehne ich zurzeit ab, denn die Wahrnehmung dieser Angebote setzt eine große logistische Leistung voraus: Räume, Bastelmaterial und Dolmetscher müssten zur Verfügung stehen.

Werden Angebote jetzt aber abgelehnt, Kleidung wieder zurückgegeben oder Zugang zur Einrichtung aus organisatorischen Gründen verwehrt, ist die Verstimmung groß und der Grundstein für ein schlechtes Verhältnis zwischen Ehrenamtlichem und Betreiber gelegt.

Die Szene der organisierten und unorganisierten Ehrenamtlichen ist schillernd. Da gibt die Anpacker, aber treffender muss man sagen Anpackerinnen. Denn es sind häufig Frauen, die entweder nicht oder halbtags im Berufsleben stehen und viel Zeit in Einrichtungen bei Deutschkursen, in der Kinderbetreuung oder anderen wichtigen Diensten verbringen. Sie begleiten Flüchtlinge zum Amt, machen Arzttermine und besorgen, nach Möglichkeit, Wohnungen. Die Anpackerinnen trifft man nicht in Diskussionsrunden, dafür fehlt die Zeit.

Darüber hinaus gibt es Vereine, die Übersetzer, Integrationslotsen und andere Hilfen effizient organisieren und zur Verfügung stellen, sie sind nicht selten tragende Säulen in den Bezirken. Hilfreich in Spandau ist zum Beispiel ein örtlicher Sportverein, der sein Angebot allen Flüchtlingen öffnet, Versicherungsfragen selbstständig klärt und in wichtigen Fragen des Ausübens ehrenamtlicher Arbeit, wie zum Beispiel der Notwendigkeit von Führungszeugnissen im Umgang mit Kindern und Jugendlichen, Erfahrung hat. Dieses Engagement wird nicht nur das Leben der neuen Vereinsmitglieder verändern, sondern langfristig auch den Verein. Hier werden gesellschaftliche Herausforderungen im Kleinen angenommen, ohne Erfolgsgarantie, aber mit viel Mut.

Auf der anderen Seite gibt es diejenigen, die selbst wahrgenommen werden wollen und die, man muss es so sagen, Hilfe suchen. Ihre Angebote sind häufig kombiniert mit einem hohen Eigenbedarf an Zuwendung. Wird die Hilfe zur Hilfe zurückgewiesen, weil Ressourcen schlicht fehlen, wird aus dieser Zurückweisung häufig Gegnerschaft.

Dieser Ehrenamtsszene stehen Betreiber gegenüber, deren Gesamtschau nicht weniger different ist: Das sind zunächst die großen Träger der freien Wohlfahrtspflege, zunehmend betreiben auch kleiner Sozialvereine und –unternehmen Unterkünfte für Geflüchtete. Aber auch Caterer und Sicherheitsfirmen werden vom Senat beauftragt, einige Betreiber stehen nun im Ruch der Geschäftemacherei mit der Not hilfebedürftiger Menschen. Und tatsächlich ist der Betrieb einer Unterkunft unter Umständen mit Gewinn möglich. Aber nicht nur für Betreiber entstehen neue Geschäftsmodelle, Kundensegmente und Märkte. Auch Möbelausstatter, Immobilienverwalter, Handwerksbetriebe, Caterer, Sicherheitsunternehmen und Bildungsinstitute kommen mit der Akquise von Personal kaum noch hinterher, die Auftragslage ist gut wie nie. Vom Goldrausch ist die Rede, ein deutsches Konjunkturprogramm ist es mindestens.

Die Wahrheit ist wahrscheinlich, wie in jedem Geschäft, vielschichtig. Unbestreitbare Tatsache ist aber, dass Professionalität im Management, und dazu gehört auch die Absicherung stabiler wirtschaftlicher Verhältnisse, Voraussetzung dafür ist, dass ein Auftrag vernünftig ausgeführt wird. Das gilt für jeden Klempner, Bäcker oder Zahnarzt ebenso wie für den Betreiber einer Notunterkunft. Diese Branche trifft nun frontal auf Menschen, die wirtschaftliche Infrastrukturen nicht als Möglichkeit sehen, sondern für die die Begriffe „helfen“ und „Geld“ einander schlicht ausschließen. Die Antwort auf eine schriftliche Anfrage der Berliner Abgeordneten Claudia Hämmerling (Grüne) vom 21. Dezember 2015 (Titel: Das Geschäft mit den Flüchtlingen) gibt einen Einblick in die illustre Betreiberschar.

Die Mutter aller Konflikte ist möglicherweise der Zustand des vergangenen Jahres am LaGeSo, der nicht nur unwürdig, sondern gefährlich war. Hier erkannten Ehrenamtliche von „Moabit hilft“ die Notwendigkeit, Flüchtlinge vor offiziellen Strukturen zu beschützen und gerieten so in diese merkwürdige Zwitterposition, das LaGeSo in seiner Arbeit zu unterstützen und gleichzeitig zu bekämpfen. Die daraus zwangsläufig resultierende Haltung scheint sich in Berlin fortzusetzen, oder sie ergibt sich möglicherweise aus den immer gleichen Umständen immer wieder neu. Der Betreiber einer Halle mit 200 Geflüchteten hat schlicht keine Chance, wirklich würdige Umstände herzustellen, egal wie viel Hilfe und Geld er zur Verfügung hätte. Er hat sich aber in der Regel dafür entschieden, es so gut wie möglich zu machen.

Was tun?

Ehrenamtliche sollten sich die Mühe machen, den offiziellen und tatsächlich oft mangelhaften Strukturen alternative Angebote für Geflüchtete zu machen. Geflüchtete müssen jetzt in die Sportvereine, auf die Straßenfeste und in die Kirchengemeinden (ja, Muslime besuchen sehr gerne Veranstaltungen christlicher Kirchengemeinden, zum Beispiel Weihnachtsfeiern und St. Martins Umzüge, sie gehören zu meinen schönsten Erlebnissen).

Betreiber müssen den Dialog mit Ehrenamtlichen führen und aushalten – und dabei ehrlich sein, auch wenn es manchmal weh tut. Beide müssen miteinander reden, nicht übereinander.

Betreiber und Auftraggeber von Unterkünften sollten finanziellen Rahmenbedingungen jeder einzelnen Einrichtung offenlegen, damit Spekulationen über Profite gar nicht erst aufkommen.

Und eine Gruppe Ehrenamtlicher, vielleicht die wichtigste, dürfen wir nicht vergessen: Es sind die Geflüchteten selbst, die helfen wollen und dankbar sind für jeden Anlass, ihre Unterkunft mit gutem Grund für ein paar Stunden zu verlassen. Wir brauchen diejenigen, die schon ein halbes Jahr oder länger hier sind, Englisch und etwas Deutsch sprechen. Sie teilen die Erfahrungen der Neuankömmlinge, sind aber schon entscheidende Schritte weiter, kennen die Behörden und wissen, wo es gute Deutschkurse gibt. Sie bilden eine Brücke zwischen Geflüchteten und Sozialarbeitern. Die Turnhallen sind voller Menschen, die darauf warten, endlich um Hilfe gebeten zu werden.

 

 


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