#Investigativer Journalismus

Hacks 4 Democracy: Wenn die Daten nicht zu uns kommen, kommen wir zu ihnen!

von , 20.4.10

„Ich hab Daten,“ sagte einer. Fünf, sechs junge Männer versammeln sich um einen Laptop. Einer hat gerade unzählige Bundestagsreden analysiert, um sie grafisch darzustellen. Wir sind mitten drin in einem für deutsche Verhältnisse sehr neuen Ereignis – einem Hackday für die Demokratie. Es geht hier nicht um die Sicherheitslücken von Regierungs-Websites, sondern darum, bestehende Daten deutlich besser nutzbar zu machen, zum Beispiel in visueller Form. „Die Idee ist ganz simpel, man nimmt sich ein Wochenende Zeit, und bringt kreative Leute zusammen“, sagt Organisator Daniel Dietrich vom Verein Open Data Network. Programmierer, Software-Entwickler, Interface-Designer, Wissenschaftler und Journalisten setzen sich zusammen, um ihre aktuellen Projekte vorzustellen, Datenquellen zu erschließen und ein paar Prototypen zu entwickeln.

In den USA und Großbritannien ist man da schon weiter, US-Präsident Obama machte die Transparenz zur Chefsache, die anonymisierte Fassung nahezu jedes Regierungsdokuments landet auf data.gov. Was zwei Vorteile hat: Man muss Regierungs-Websites nicht bis in die letzte Ecke durchsuchen, sondern hat eine zentrale Anlaufstelle für alles. Zweiter Vorteil: Die Daten liegen gleich in einer auswertbaren Form vor – PDFs sind nämlich für Menschen anständig lesbar, Rechner können damit weniger anfangen. In Großbritannien spielte der Guardian mit der „Free our Data“-Kampagne eine erhebliche Rolle. Seit Ende Januar 2010 findet man unter data.gov.uk alle britischen Daten.

Daten werden Grass-Roots aufbereitet

So lange es hierzulande noch nicht so praktische Seiten gibt, helfen sich die Data-Hacker mit Umwegen, wie sich auf den einzelnen Präsentationen des Hack Days schnell zeigt. Er beginnt in der Kalkscheune, unmittelbar nach der re:publica. Er ist offen angelegt, die Teilnehmer stellen nach Bar-Camp-Prinzip ihre Themen vor, jeder hat maximal zehn Minuten Zeit, anschließend stellen die anderen in Raum ihre Fragen, geben Anregungen. Der erste Tag ist den Präsentationen gewidmet, etwa 60 Menschen sind dabei.

Das Zentralverzeichnis aller verfügbaren Daten soll nun offenedaten.de werden, das am Samstag online ging. Hier kann jeder auf statistische Seiten verweisen und beschreiben, welche Daten enthalten sind. Wenn Hacker bestehende Daten besser aufbereitet oder erweitert haben, können sie auf der Seite ebenfalls drauf hinweisen. „In anderen Ländern gibt es solche Zentralregister auch von staatlicher Seite, hierzulande wäre das wahrscheinlich mit umfangreicher Bürokratie verbunden. Insofern machen wir das jetzt mal als Grass-Roots“, sagt der Informatik-Student Friedrich Lindenberg, der es entwickelt hat.

Informationsfreiheitsgesetze lüften Geheimnisse

Eine Seite, die in den letzten Jahren extrem viel zur Transparenz über EU-Agrarsubventionen beitrug, stellte Mitgründer Jack Thurston vor: farmsubsidy.org listet sämtliche Agrarsubventionen nach Empfänger auf – sie machen über die Hälfte des gesamten EU-Haushalts aus. Gefördert werden aber oft nicht kleine Betriebe, die sich kaum halten können, sondern deren mächtige Konkurrenz. In Belgien zum Beispiel bekam eine Zuckerraffinerie allein im Jahr 2006 über 90 Millionen Euro als Exportsubvention. Jahrelang waren die Zahlen extrem gut gehütete Geheimnisse der einzelnen Regierungen, erst die von Journalisten aufgebaute Seite und nach und nach verabschiedete Informationsfreiheitsgesetze brachten die Tatsachen ans Licht. Auf der Seite lassen sich inzwischen für jedes EU-Land die Subventionsempfänger aufrufen, nach Name oder Ort sortiert.

Hyperlokal und sehr spannend ist frankfurt-gestalten.de, hinter dem Christian Kreutz steht. Die Daten stammen aus dem System der Stadt Frankfurt, und beziehen sich auf die unterste Ebene, die Bezirksverordnetenversammlung. Bürger bekommen mit, was in ihrem Stadtteil und ihrer Straße passiert und können auf einer Karte selbst Vorschläge eintragen.

Im Vergleich ist Open Data in Deutschland eine Leerstelle

Im Vergleich zu den USA und Großbritannien sahen die Veranstalter des Hackdays in Deutschland eine „Leerstelle“, wie Daniel Dietrich sagt. Er ist seit September 2009 Vorsitzender des Open Data Network. „Man muss nicht Vereinsmitglied sein, um sich im größeren Netzwerk zu engagieren“, stellt Dietrich klar. Dass die Zeit allmählich reif für das Thema wird, zeigt sich auch darin, dass bei der Gründungsversammlung des Vereins die Vertreter aller größeren Parteien kamen – ohne eine Einladung bekommen zu haben. Auch mit dem Hackday ließ sich der Verein von Vorbildern inspirieren: Die Sunlight Foundation in den USA und Rewired State haben mit Hackdays gezeigt, was möglich ist. Fortgesetzt wird der Hackday übrigens im „Open Democracy Camp“, das im Mai in Berlin stattfindet.

Am zweiten, eher handlungsorientierten Tag saßen rund dreißig Menschen in wechselnden Konstellationen um die Tische einer Büroetage, am Abend wurden die Ergebnisse präsentiert. Viele davon sind zwar noch sehr vorläufig, aber sie zeigen in eine klare Richtung: Man kann aus den bestehenden Daten sehr viel schlauer werden, wenn man nur die richtigen Leute ranlässt.

Beeindruckende interaktive Visualisierungen

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Zum Beispiel hat der offenedaten.de-Entwickler Friedrich Lindenberg Wordle-Clouds aus der Summe der Reden der letzten Bundestagsperiode erstellt. An sich nichts Wildes, aber die Vorarbeit war erheblich, denn die Protokolle mussten alle ausgelesen und umgewandelt werden, worum sich der Informatikstudent Stefan Wehrmeyer mit seinem Projekt bundestagger.de bereits gekümmert hatte. Auf den Tagclouds konnte man beispielsweise sehen, dass in der Wahlperiode 2005 bis 2009 die Oppositionsparteien oft von „fragen“ oder „sagen“ sprachen, die Union oft von „wichtig“ und „Deutschland“, die SPD wiederum sehr oft von „gut“, und auch oft von „arbeiten“, „Menschen“ und „reichen“. Randnotiz: Wären die Parteinamen nicht vorher von der Analyse ausgenommen worden, wäre bei der FDP-Fraktion mit Abstand das häufigste Wort „FDP“ gewesen.

Eine ziemlich beeindruckende Anwendung zeigte Stefan Wehrmeyer. Begeistert von einer Karten-Anwendung der britischen Organisation mySociety, schrieb er eine berlinbezogene Anwendung für Google Maps. Mapnificent war ursprünglich dafür gedacht, alle Orte innerhalb Berlins zu zeigen, die man mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in einer bestimmten Zeit erreichen kann. Doch Wehrmeyer machte hier nicht Halt, sondern baute weitere Funktionen ein: Sämtliche statistische Karten der Stadt Berlin lassen sich als weitere Schichten über Google Maps legen. Zum Beispiel die Arbeitslosenzahlen und Hauptschul-Empfehlungen für Schulabgänger. Mehrere Karten kombiniert bringen knackig visualisiert schnell interessante Zusammenhänge an den Tag. Doch Wehrmeyer nahm sich auch noch die Detaildaten über die Konjunkturpaket-II-Gelder vor. Jeder Empfänger hat einen anklickbaren Punkt auf der Karte, eine räumliche Konzentration von viel Geld ist auf der Karte mit rötliche Hintergrund dargestellt. „So etwas hätte Berlin von Anfang an machen sollen. Es ist eine sehr transparente Maßnahme, wenn man zeigt, wohin das Geld fließt“, sagt Wehrmeyer. Auch die Konjunkturpaket-Schicht lässt sich mit den anderen Karten kombinieren, die Phantasie oder der Spürsinn der Benutzer sind nun gefordert. Auf dem Hackday stellte Wehrmeyer eine erste Version vor, jetzt ist sie als Betaversion auch online verfügbar. In Zukunft sollen Nutzer selbst Einträge machen können, Interessierte dürfen den Quellcode verwenden und ihre eigenen Anwendungen bauen.

Für Bürger und Journalisten

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Urs Kleinert arbeitete an einer Visualisierung sämtlicher EU-Agrarsubventionen, die Deutschland erhalten hatte. Die Daten kamen von farmsubsidy.org, dargestellt sind sie nach Bundesländern. Die gesamte Subventionsmenge ist als Block dargestellt, jedes Bundesland bekommt einen rechteckigen Anteil nach seiner Summe. Die Echtzeit-Anwendung soll noch auf Landkreise und Städte erweitert werden, und funktioniert als reines HTML ohne Flash oder Bitmaps. So lassen sich einfach weitere Daten einbinden, zum Beispiel Verlinkungen zu den Subventionsempfängern oder einfach statistische Daten des betreffenden Landkreises, wie Einwohnerzahl oder Anteil der Beschäftigten in der Landwirtschaft.

Die Essenz eines solchen Hackdays ist klar: Statt der nicht so motivierten Bürokraten kann man auch Leute ranlassen, die ganz konkret an Bürger und Journalisten denken.

Der Hackday demonstriert eine ganze Reihe von Sachen: Da draußen gibt es eine Menge sehr kompetenter Menschen, die ihre Fähigkeiten von sich aus anbieten. Diese Menschen sind keine Feinde von Regierungen, auf jeden Fall aber die Freunde von engagierten Bürgern. Sie können dabei helfen, einen Datenwust anschaulich zu machen und schlauer draus zu werden. Und tatsächlich kann man in ziemlich kurzer Zeit etwas praktisch Anwendbares und Anschauliches produzieren. Unsere Regierungen und Bürokraten sollten das als eine Chance verstehen. Und speziell Redaktionen sollten sich mit solchen Entwicklern zusammentun, weil man mit „Data Driven Journalism“ Themen ganz anders aufziehen kann, und zu ganz neuen, oft investigativen Geschichten findet.

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