Wirtschaftsunion: Griechenland sollte ausscheiden müssen

von , 8.2.10

1. Unter den Mittelmeeranrainern demonstriert Griechenland am überzeugendsten, dass die Anreizmechanismen für regelkonformes Verhalten sowie die Sanktionsmechanismen für regelwidriges Verhalten der Mitgliedstaaten in der Europäischen Währungsunion höchst ineffektiv sind. Das Ausmaß der negativen Externalitäten eines drohenden Staatsbankrotts, mit denen Griechenland – und in ähnlicher Spur Italien, Spanien, Portugal – die Gemeinschaft der Euro-Zone belasten, hat die Grenze erreicht, die ein Nachdenken über die Möglichkeiten einer Abkoppelung der gemeinsamen Währung von der permanent vertragswidrigen wirtschafts- und finanzpolitischen Leistung eines Mitgliedstaates – oder auch mehrerer – dringend erforderlich macht. Man muß das bisher Undenkbare denken: das Ausscheiden aus der Wirtschaftsunion, also den freiwilligen Austritt sowie den unfreiwilligen Ausschluß.

2. Im Vertrag von Maastricht findet sich diesbezüglich keine Regelung. So schreibt der Vertrag nicht vor, dass die Erfüllung der Eintrittsbedingungen auch die Voraussetzung für das dauerhafte Verbleiben in der Wirtschaftsunion bildet und also, im Umkehrschluß, die Nichterfüllung zum Ausscheiden aus der Wirtschaftsunion führt. Deshalb ist allgemein die Meinung verbreitet, dass ein Ausscheiden aus der Wirtschaftsunion rechtlich ausgeschlossen sei.

3. Diese Ansicht muß man nicht teilen, man sollte ihr sogar widersprechen. Denn ein Ausscheiden aus der Euro-Zone hieße lediglich, dass für den betreffenden Mitgliedstaat die gemeinsame Geldpolitik nicht mehr Anwendung findet. Das Land verliert also nicht seinen Status als Mitglied der EU. Die Wirtschaftsunion selbst ist keine eigenständige Organisation, sondern stellt lediglich eine gemeinsame Politik der Europäischen Zentralbank dar. Das Land wird dann einfach in den Status der „Mitgliedstaaten mit Ausnahmeregelung“ zurückversetzt, also der Staaten, die die Konvergenzkriterien als Voraussetzung für die Einführung des Euro nicht erfüllen (Art. 139 des AEU-Vertrags [PDF]). Dazu gehören momentan z. B. Dänemark, Großbritannien und Schweden.

4. Kann ein Mitgliedstaat den Austritt aus der Euro-Zone freiwillig vollziehen? Darüber sagt der Maastricht-Vertrag nichts, schließt ihn demgemäß also auch nicht ausdrücklich aus. Der gescheiterte Verfassungsvertrag sah in Art. I 12 vor, dass ein Mitgliedstaat im Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten der EU durch Ermächtigung der EU „gesetzgeberisch“ tätig werden kann. Das impliziert die Möglichkeit, die Beteiligung an der gemeinsamen Geldpolitik zu suspendieren und eine eigene Währung erneut einzuführen. Der nunmehr geltende Vertrag von Lissabon hat diese Regelung übernommen (Art. 2 Abs. 1 AEUV).

5. Griechenland wird einen freiwilligen und mit den anderen EU-Mitgliedstaaten einstimmig zu beschließenden Austritt aus der Euro-Zone vermutlich nicht vornehmen wollen. Vielmehr vertraut es wohl – und nicht zu Unrecht – auf die Nichtbeachtung bzw. das Unterlaufen der „No-bail-out-Klausel“ durch manche politischen Funktionsträger und Regierungen in der EU (einschließlich und besonders Deutschlands) und also auf die solidarische Hilfe der Wirtschaftsunion-Mitglieder. Dabei war es dezidiert die Intention des No-bail-out, dass die Wirtschaftsunion keine transferzahlungsorientierte Haftungsgemeinschaft darstellt. Eine solche wäre für die Stabilität der gesamten Euro-Zone fatal. Denn abgesehen davon, dass eine Transfer-Haftungsunion gegen Geist und Buchstaben der Wirtschaftsunion verstößt und das Moral Hazard unionsweit salonfähig macht, schwächt sie die gesamte EU in ihrer Stabilität, wenn sie sich nicht im Bereich der gemeinsamen Geldpolitik eines Mitglieds entledigt, das die Stabilitätskriterien extrem und notorisch verletzt und zudem einem drohenden Staatsbankrott entgegensieht.

Der Fall Griechenland zeigt exemplarisch, dass und in welcher Weise Hilfe immer neue Hilfsbedürftigkeit erzeugt, weil die für Griechenland unumgängliche grundlegende Renovierung seiner gesellschaftlichen Infrastruktur (Korruption, Steuerhinterziehung, Statistiktäuschungen usw.), seiner formellen und informellen Institutionen (aufgeblähter Öffentlicher Dienst, sklerotischer Arbeitsmarkt, Korporatismus usw.) einschließlich seiner wirtschafts- und finanzpolitischen Leistung (Überschuldung, hohes Zahlungsbilanzdefizit, geringe Wettbewerbsfähigkeit usw.) nicht erfolgt. Hinzu kommt, dass Hilfe für Griechenland über Transferzahlungen von Mitgliedstaaten zur Vermeidung eines Staatsbankrotts geradezu eine Einladung für andere Unionsmitglieder darstellt, es Griechenland gleichzutun. Die No-bail-out-Regel als Haftung ausschließendes Ordnungsprinzip des Maastricht-Vertrages impliziert, dass jedes Mitgliedsland seine individuelle Konkursfähigkeit behält und also selbst verantwortlich ist für die Wahl und potentielle Abwicklung eines Staateninsolvenzverfahrens außerhalb der Euro-Zone.

6. Deshalb stellt sich die Frage nach dem – unfreiwilligen – Ausschluß Griechenlands aus der Euro-Zone als ultima ratio der Sanktionsmöglichkeiten. Der Ausschluß impliziert, dass der frühere Beschluß des Europäischen Rates zur Aufnahme Griechenlands in die Gruppe der „Mitgliedstaaten ohne Ausnahmeregelung“, also in die Euro-Zone, wieder rückgängig gemacht werden kann. Der Beschluß wurde auf Basis der Feststellung des Rates getroffen, dass Griechenland die Konvergenzkriterien erfüllt hätte und somit den Ausnahmeregelungen nicht mehr unterliegen müßte.

Es geht also um die Frage, ob eine Annullierung dieses Ratsbeschlusses möglich ist, der ja die Erfüllung der Konvergenzkriterien durch Griechenland seinerzeit explizit festgestellt und damit die Ausnahmeregelung außer Kraft gesetzt hat (Art. 140 AEUV). Ohne Zweifel ist für die Rechtmäßigkeit dieses Beschlusses vonnöten, dass Griechenland die Kriterien tatsächlich erfüllt hatte. Bekanntlich war dies, wie sich später herausstellte, nicht der Fall, weil Griechenland die Statistiken gefälscht und also den Rat vorsätzlich getäuscht hatte. Insofern war der Ratsbeschluß nichtig. Allerdings erscheint es wegen Fristablaufs (Art. 263 AEUV) zunächst nicht mehr möglich, diesen Nichtigkeitsgrund für die Annullierung des Ratsbeschlusses heranzuziehen. Aber Griechenland hat bis in die jüngste Zeit seine Praxis der Statistikfälschungen, der Täuschungen und der signifikanten Nichteinhaltung der Stabilitätskriterien fortgesetzt.

Damit signalisiert das Land in expressiver Weise seine offensichtlich dauerhafte Nichtbereitschaft zur Befolgung der die Wirtschaftsunion tragenden Rechtsregeln. Auf dieser Tatsachenbasis stellt sich dann erneut die Frage nach der Rückversetzung Griechenlands in den Zustand eines „Mitgliedstaates mit Ausnahmeregelung“ auf der Basis eines contrarius actus, also eines Beschlusses, der nicht den alten Ratsbeschluß aufhebt, sondern ex nunc für Griechenland die Mitgliedschaft mit Ausnahmeregelung neu beschließt.

7. Der mögliche Einwand, dies sei wegen der „Unumkehrbarkeit“ des Übergangs der Gemeinschaft zur dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion (Protokoll 15 zum Maastricht-Vertrag) nicht mehr möglich, geht ins Leere, denn mit der Suspension eines Mitglieds von den EWU-Regeln wird ja nicht der kollektive Integrationsweg der Gemeinschaft berührt, sondern nur die Beteiligung eines einzelnen Mitgliedstaates. Unabhängig davon gilt es anzuzweifeln, ob angesichts der historischen Erfahrungen mit gescheiterten staatenübergreifenden Währungsunionen (Lateinische, Skandinavische, Deutsch-österreichische Münzunion und andere) die vertragliche Kodifizierung einer dem Ewigkeitsgedanken verhafteten „Unumkehrbarkeit“ eines speziellen ökonomisch-politischen Integrationsprozesses überhaupt als sinnvoll angesehen werden kann: Unumkehrbarkeit exkludiert die Chance des Lernens aus institutionellen Fehlern des organisierten Integrationsprozesses.

8. Insgesamt zeigt sich, dass der Vertrag über die Europäische Union ebenso wie der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union zum Ausscheiden eines Mitglieds aus der Euro-Zone nichts aussagt. Dies kann man als Regelungslücke ansehen, die angesichts der genannten ineffektiven Sanktionsmechanismen, die der Vertrag vorsieht, durch die Notwendigkeit der Kodifizierung zusätzlicher Sanktionsarrangements auszufüllen wäre. Hier könnte und sollte man, wie mancherorts aus der Jurisprudenz vorgeschlagen wird, auf ein allen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsames allgemeines Rechtsprinzip aus dem Gesellschaftsrecht rekurrieren: Ein Gesellschafter, der vorsätzlich dauerhaft Obstruktion betreibt, wird ausgeschlossen. Hingewiesen wird zudem auf das Völkerrecht, denn das Völkervertragsrecht sieht im Falle einer gravierenden Vertragsverletzung durch eine Vertragspartei die Suspendierung oder Beendigung des Vertrags vor.

Dieser Beitrag erscheint als Crossposting via Wirtschaftliche Freiheit – Ordnungspolitischer Blog.

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