von Wolfgang Michal, 4.4.12
Die Süddeutsche Zeitung veröffentlicht das Grass-Gedicht heute im Feuilleton. Es heißt: „Was gesagt werden muss“ und klingt eher wie ein leicht verschwurbelter Leitartikel. Es geht um einen möglichen Angriff Israels auf Iran, um deutsche U-Boot-Lieferungen an Israel und die mangelnde Kontrolle von Atommächten in politischen Erdbebengebieten. Grass wollte mit seinem Gedicht eine ‚Schweigemauer’ niederreißen – doch verschwiegen wurde in dieser Sache eigentlich nichts. Die Meldungen über deutsche U-Boot-Lieferungen und israelische Planspiele reichten aber nicht aus, um einen ‚Aufmerksamkeitsschock’ zu erzeugen. Dafür braucht es einen Profi wie Günter Grass.
Und sofort fing die Medienmaschine an zu rattern. Spiegel Online („Dichter im Abseits“), FAZ („Was Grass uns sagen will“) und BILD („Wirbel um Gedicht“) marschierten vorneweg. Frank Schirrmacher erklärte das Grass-Gedicht zum Ikea-Regal, das man mit einem Schraubenzieher (sic!) auseinandernehmen müsse, um an seinen deutschnational müffelnden Gehalt zu kommen.
Am vorhersehbarsten äußerte sich freilich – nach Josef Joffe und Michael Wolffsohn – der Chef-Polemiker der Welt, Henryk M. Broder. Er sieht im Grass-Gedicht „das verbale Vorspiel zu einem Tabubruch“ und versteigt sich zu dem dummen Spruch: „Grass hatte schon immer ein Problem mit Juden“.
Gott sei Dank gibt es auch moderate Stimmen – wie den israelischen Historiker und Journalisten Tom Segev. Er reagierte auf den neuen „Wirbel“ gelassen. Im Deutschlandradio Kultur sagte er:
„Ich habe manchmal den Eindruck, dass er (Grass) das Bedürfnis hat, zu Unrecht angegriffen zu werden. Und das passiert ihm jetzt wieder. Aber wirklich zu Unrecht … Er ist kein Antisemit, er ist nicht antiisraelisch, er ist auf keinen Fall gegen Israel in irgendeiner Weise. Er kritisiert die Politik der israelischen Regierung. Es hat sich noch in keinem Land jemand gefunden, der die israelische Regierung heftiger kritisiert als Israelis selber, und die sind auch nicht antisemitisch oder antiisraelisch. Im Gegenteil ist es oft so, dass Kritik an Israel ein Zeichen von Freundschaft und Unterstützung sein kann.“
P.S. Wer sich über die Hintergründe des Grass-Gedichts – etwa die erwähnten U-Boot-Lieferungen an Israel – informieren möchte, kann dies u.a. hier tun.