von Björn Sievers, 16.11.09
Am Samstag habe ich das Vergnügen, auf der DJV-Tagung “Besser Online” mit den Kollegen Albrecht Ude und Lars Reppesgaard sowie dem Suchmaschinenentwickler Wolfgang Sander-Beuermann über Google und die Medien zu diskutieren. Der Titel des Eröffnungspodiums, das Peter Jebsen moderiert: “Google sei bei uns!?” Ich sammle dann an dieser Stelle schon mal ein paar steile Thesen Argumente.
Die Leitfrage des Panels – so steht es im Programm – lautet: “Ist die von dem Unternehmen (Google, Anm. des Bloggers) bereitgestellte Infrastruktur ein Segen für Onliner oder sollte man Google mit Vorsicht genießen?” Also los.
Google ist ein Segen für Journalisten
Der Journalist und der Internetnutzer in mir liebt Google. Die Suche ist toll, der E-Mail-Dienst unübertroffen, der Google Reader mein gelebter Traum seit Jahren, Google Docs immer wieder sehr praktisch. Alls in allem kann ich allein mit der Bookmarkverwaltung nichts anfangen, da gibt es mit Delicious wahrlich etwas besseres. Und Flickr hat Google mit Picasa bei weitem nicht erreicht. Ergo: Für vieles, was Journalisten so tun, ist Google praktisch. Die Suche ist ein unverzichtbares Instrument für die Recherche.
Der Bürger in mir ist gleichwohl besorgt. Denn Google sammelt sehr, sehr viele Daten. Und Google sitzt in den USA, meine Daten damit auch. Gleichzeitig ist die US-Regierung (noch stärker als die deutsche) in den vergangenen Jahren immer hungriger nach Daten geworden. Ziehe ich daraus Konsequenzen: nicht wirklich. Ich rede mir ein, dass ich ja von einem Tag auf den anderen die Finger von Google lassen könnte, wohl wissend, dass mir das mit jedem Tag, an dem ich diese wundervollen Dienste nutze, schwerer fiele.
Google ist ein Segen für Online-Medien
Für alle Produzenten von Internetinhalten (also nicht nur für Journalisten) ist Google ein Traum. Dem durchschnittlichen deutschen Nachrichtenportal spült Google zwischen 30 und 60 Prozent der Zugriffe auf die Seite. Würden die Verlage und Sender Google nun ausschließen (was mithilfe der robots.txt auch ohne ausgefeiltere Programmierkenntnisse ziemlich einfach ist), ihre Portale würden deutlich schrumpfen. Weniger Seitenabrufe bedeuten weniger ausgelieferte Werbung, bedeuten weniger Einnahmen, bedeuten weniger Geld für Journalismus, bedeuten kleinere Redaktionen, bedeuten weniger Journalismus.
Und trotzdem führen Medienmanager und Verleger eine rege Debatte über Google. Die Argumentation: Google verdiene mit den Inhalten der Verlage Geld, weil neben den Suchergebnissen Werbung angezeigt wird. Und in der Tat: Google ist eigentlich ein Werbekonzern, der einen ungesund großen Teil des Online-Werbemarktes erobert hat. Einer der jüngeren Beiträge zu diesem Thema kommt von einem Dinosaurier der Branche: Rupert Murdoch – das ist der 78-Jährige, der vom australischen Regionalverleger zum wohl wichtigsten Medienmenschen der Welt wurde und der sich vor einiger Zeit mit dem “Wall Street Journal” die renommierteste Wirtschaftszeitung mindestens der USA einverleibt hat – möchte Google ausschließen, hat er vor ein paar Tagen gesagt.
Das klingt – auf den ersten Blick – nach ökonomischer Selbstaufgabe und kommt doch nicht überraschend. Schließlich ist Murdoch der Verleger, der mit dem “Wall Street Journal” ein – nach allem was man so hört – erfolgreiches Paid-Content-Modell sein eigen nennt. Die Wirtschaftszeitung verdient im Internet mit journalistischen Inhalten Geld, und zwar weil die Leser für die Inhalte bezahlen. Leute wie Mathias Döpfner denken deshalb wohl an Murdoch, wenn sie, wie der Springer-Chef vor ein paar Tagen auf dem “Monaco Media Forum” im Streitgespräch mit US-Blog-Verlegerin Ariana Huffington, vehement Bezahlinhalte auch für ihre eigenen Häuser propagieren.
Auf den zweiten Blick fällt auf, dass Murdoch mit seinem Vorstoß einen Paradigmenwechsel einleiten könnte. Was passiert, wenn Microsoft Murdochs News Corp. dafür bezahlen würde, die Inhalte mit der eigenen Suchmaschine Bing indizieren zu dürfen, der Medienkonzern Google aber ausgeschlossen würde? Das könnte Google in Bedrängnis bringen – und zum Umdenken zwingen, schreibt US-Blogger Michael Arrington, der eine These des Chefs der Suchmaschie Mahalo, Jason Calacanis, aufgreift (Jeff Jarvis ist da anderer Meinung). Möglicherweise hat es schon ein Treffen großer Verlage mit Bing gegeben, um eine gemeinsame Aktion gegen Google vorzubereiten. (Nachzulesen auch bei Holger Schmidt.)
Einen ersten Hinweis auf einen möglichen Paradigmenwechsel im Suchmarkt (wir erinnern uns: Google indexiert, schaltet Werbung neben Suchergebnissen und leitet den Traffic weiter) haben jüngst die Vereinbarungen von Twitter mit Google und Microsoft bzw. Bing geliefert: Twitter wird den Suchmaschinen seine Inhalte zur Verfügung stellen, damit diese sie indizieren können. Und vermutlich zahlen beide Konzerne dafür. Denn die Entwicklung zum Live-Web hat sie in jüngster Vergangenheit ein wenig alt aussehen lassen (alt hier im Sinn von 1998).
Google zerfleddert Journalismus
Google trägt einen erheblichen Anteil daran, dass Medien die Klammer um ihre Inhalte verlieren. Eine Zeitung ist eine solche Klammer um Inhalte (das neue “Handelsblatt” ist sogar geheftet), das macht den Charme dieses Produkts ja gerade aus. In der frühen Phase der Entwicklung von Medien im Netz haben AOL und Yahoo ihr Geschäftsmodell darauf aufgebaut, dem Nutzer einen Ort zu bauen, an dem er alles findet: seine Mails, seine Freunde, seine Nachrichten. Dieses Modell ist tot (AOL fast vergessen und Yahoo nicht eben in bester Verfassung), und das ist auch eine Folge der Googelisierung unserer Internetnutzung. In jüngster Zeit tragen auch Facebook und Twitter dazu bei.
FOCUS-Online-Chefredakteur Jochen Wegner hat diese Entwicklung vor einiger Zeit in einem Interview mit dem “Kress Report” so zusammengefasst:
“Die Online-Medien wechseln derzeit in einen neuen Aggregatzustand, sie sind nicht mehr in einer festen Klammer gebunden sondern werden gleichsam flüssig – unsere Inhalte fließen in Einzelteilen durchs Netz, Medienmarken gewinnen damit als Absender eine ganz neue Bedeutung.”
Das hat auch für den Journalismus Konsequenzen: Es zählt nicht mehr das Gesamtprodukt. In einer Zeitung kann ja auch mal ein schwacher Artikel stehen, der schadet nicht unmittelbar dem Gesamtprodukt. Im Netz müssen Medien mit jedem Stück, das dort draußen weitergereicht wird oder über Suchmaschinen zu finden ist, ihr Markenversprechen einlösen.
Die Google-Informationsgesellschaft ist (auch) vorindustriell
Wir lebten einst in einer hochspezialisierten Gesellschaft. Für jede Aufgabe gab es jemanden, der sie erledigte für uns. Und wir bezahlten dafür. Wir haben das Reisebüro dafür bezahlt, uns einen Urlaub zu buchen, den Buchhändler, uns ein Buch zu bestellen – und den Zeitungsverlag dafür, uns Nachrichten und Reportagen zu bündeln, auf Papier zu drucken und dieses zu unserem Briefkasten oder wenigstens unserem Kiosk zu transportieren.
Und heute? Ein Reisebüro habe ich seit mehr als fünf Jahren nicht mehr betreten. Ferienhäuser findet Google für mich, Flug und Mietwagen buche ich auch übers Netz. Auch wenn ich hin und wieder noch in eine Buchhandlung gehe – vor allem in die Kleine ein paar Straßen weiter, weil ich so kleine Buchhandlungen einfach mag -, der größte Teil meines Bücherbudgets landet bei Amazon. Seit Jahren. Mein Verhältnis zu Zeitungen ist ähnlich, wie das zu Buchhandlungen: Ich liebe sie, aber den größten Teil meines Medienbudgets (hier im Sinn von Aufmerksamkeit) schenke ich dem Netz. Twitter, Blogs und all den Dingen, die mein Google Reader für mich zusammenhält. RSS und nicht ein Verlag oder eine Redaktion ist die Klammer meiner kleinen Medienwelt.
Und deshalb ist das Google-Zeitalter auch vorindustriell: Wir machen wieder viel mehr selbst. Das geht sogar soweit, dass Handarbeit sich wieder lohnen kann. Mit dem Netz gibt es einen weltweiten Markt für Nischenprodukte, die es niemals in die Regale von Ladengeschäften schaffen würden.
Google ist eine Chance für Journalismus in der Nische
Journalisten können sich ihre Nische suchen und dort selbst Verleger werden. Das geht schon kostenlos bei einem Bloghoster; und selbst wenn es ein bisschen professioneller aussehen und selbstgehostet sein soll, beläuft sich die Investitionssumme auf weniger als 100 Euro im Jahr (die eigene Arbeitszeit, der Internetanschluss und das Netbook, das wir eh alle haben, nicht mitgerechnet). Für die Distribution der Inhalte sorgt Google. Und Twitter. Und Facebook. Refinanzierungsmodell: Werbung.
Wie das funktionieren kann, erklärt zum Beispiel Sascha Pallenberg, der Macher von netbooknews.de in diesem Video:
Dass das mit einem IT-Thema relativ einfach und mit Reportagen aus Nepal eher schwierig ist, ist einer der Haken, den die Sache noch hat. Doch was sollen wir machen. Google ist. Vor allem die deutschen Internetnutzer wollen fast nur Google. Die pessimistische Sicht lautet: Damit müssen wir leben. Der Optimist denkt: Darauf kann ich aufbauen. Mir ist aufbauen lieber.
Hab ich was vergessen? Bestimmt.
Diesen Text hat Björn Sievers für sein Blog Bjoern-Sievers.de geschrieben. Wir übernehmen ihn mit freundlicher Erlaubnis des Autors.