#Citroen DS

Fertig, los –

von , 11.11.08

Immer schnellere Maschinen helfen nicht gegen die moderne Unrast – im Gegenteil…

→ Die “New York Times” nannte es vor ein paar Tagen das Zeitalter der Ungeduld. Abermillionen Menschen sitzen Tag für Tag vor ihren Computern und warten darauf, dass das Betriebssystem endlich fertig gestartet ist. Aber es ist nicht einfach nur Ungeduld, sondern die moderne Version davon. Die Wartezeiten werden kürzer. Dateien laden schneller, Webseiten bauen sich zügig auf. Die kürzeren Wartezeiten mindern aber den Frust nicht, im Gegenteil. Wir werden auch schneller ungeduldig.

Am unangenehmsten ist das Booten. Jeder Rechner braucht heutzutage mindestens eine halbe Minute, bis er gestartet ist. Früher, bei mechanischen Maschinen, wenn sie sehr groß und schwer waren, etwa Turbinen, nahm man hin, dass sie erst nach einer Weile auf Touren kamen. Als die dann Maschinen elektrifiziert wurden, tauchte zum ersten Mal eine Erwartung von Sofortheit auf. Einschalten und los. Gut, Radioröhren mussten erst warmglühen, ehe es aus dem Lautsprecher swingte. Dann aber kam die Elektronik und mit ihr die Verheißung schierer, unmittelbarer Geschwindigkeit.

→ In den Anfangsjahren der digitalen Revolution wurden auch Computer mit denselben Argumenten beworben, mit denen von Propagandisten noch heute Karottenreiben und Schnellkochhilfen angepriesen werden: Zeitersparnis. Alles gehe schneller und verschaffe einem, so die unausgesprochene Hoffnung, mehr Zeit für Das Eigentliche Leben (DEL).

Nun haben einige der großen Unternehmen in der Computerindustrie angekündigt, uns im Lauf der kommenden Monate einige der verplemperten Startsekunden wieder zurückzugeben. Eine neue Generation schnellstartender Rechner soll auf den Markt kommen und die immer kürzere Aufmerksamkeitsbereitschaft, die immer ungeduldigere Ungeduld der potentiellen Kunden bedienen. Es soll mit ihrer Hilfe möglich sein, einen Computer schnell und einfach wie eine Lampe einzuschalten. Plink, an.

→ In den letzten 20 Jahren hat es allerdings zunehmend länger gedauert, bis Computer und elektronische Gerätschaft betriebsbereit sind. Die einzige Möglichkeit, die man heute hat, einen Rechner in sofortiger Bereitschaft zu halten, ist der “Sleep”-Modus. Aber der digitale Schlummer kostet Akkulaufzeit, und ab und zu will das Gerät dann überhaupt nicht mehr aufwachen und man kommt um einen Neustart doch nicht herum.

Mir fiel mein erster Computer¹ ein, den ich vor 30 Jahren hatte. Man schaltete ihn ein und er war an. Plink. Heute warte ich wie Millionen anderer, bis die werte Gerätschaft mal langsam fertig hochgefahren ist. Damals, als ich meinen ersten Computer hatte, fuhr mein Mitbewohner einen uralten Citroen DS. Er war ziemlich billig gewesen, dafür funktionierte der Starter nicht, man musste ihn anschieben. Gelegentlich sprang der Motor an, wenn wir gerade auf einer Straßenbahnkreuzung um die Ecke angelangt waren. Man mußte dann bei diesem Wagen warten, bis die Hydraulik hochgefahren war. Das dauerte. Manchmal kam eine Straßenbahn und konnte nicht weiter. Die Fahrgäste darin sahen einen Wagen mit laufendem Motor auf den Schienen stehen, darin zwei junge Männer, die keine Anstalten machten, wegzufahren. Ich habe früh begonnen, mich für die Herausforderungen des digitalen Zeitalters zu stählen.

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¹ wobei, mein tatsächlicher erster Computer war ein anderer, der war allerdings nicht elektronisch.

Peter Glaser bloggt auf http://blog.stuttgarter-zeitung.de/. Seine Netzkolumne erscheint hier erstmals – und hoffentlich auch zukünftig – auf CARTA. Sie ist hier in seinem Blog nachzulesen.

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