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Kalter Krieg im Äther: Fox News wird Oppositionssender

von , 8.1.09

Die Kreuzung der 6th Avenue und der 47th Street in New York ist der umkämpfteste Ort im US-Medienbetrieb. Dort residieren die Studios von NBC und MSNBC im mächtigen Sandsteingebirge des Rockefeller Center – und gleich gegenüber liegt in einem Büroturm das Hauptquartier von Fox News. MSNBC-Nachrichtensprecher Keith Olberman kann aus seinem Fenster sogar das Office seines großen Rivalen Bill O’Reilly sehen. Manchmal, erzählt er, „stelle ich mir vor, dass von dort ein bösartiges Heulen zu hören ist”. Die amerikanischen Nachrichtenmedien sind so gespalten wie der US-Senat und das ganze Land. Während auf MSNC Olberman und seine Kollegen Chris Matthews und Rachel Maddow kein Geheimnis aus ihren politischen Ansichten machen (Olberman ließ sich einmal zu dem Satz hinreißen: „Ist der Präsident ein pathologischer Lügner, oder nur unser oberster Idiot?”), läuft auf Fox News das politische Kontrastprogramm. Bill O’Reilly, Sean Hannity und Greta van Susteren verteidigen noch die absurdeste PR-Maßnahme der Bush-Administration als politische Notwehr, und ziehen gegen Liberale, Terroristen und alles Unamerikanische zu Felde. Die anbrechende Obama-Präsidentschaft präsentiert MSNBC mit Weichzeichner-Optik und Geigenklängen („A new era of leaderhip begins”), Fox zeigt Barack Obama neben Hamas-Terroristen und explodierenden Sprengsätzen.

Der 20. Januar ist nicht nur der Tag, an dem ein neuer Präsident und ein neuer Kongress in Amerika antreten, auch im Medienbetrieb findet ein Machtwechsel statt: Aus dem Regierungssender Fox News wird ein Oppositionsmedium. Und der rebellische Anti-Bush-Sender MSNBC wechselt ins Regierungslager.

Die erbitterte Rivalität von MSNBC und Fox News steht für ein neues Zeitalter der US-Mediengeschichte. Das alte Paradigma des amerikanischen Journalismus (“Opinion is free, facts are sacred”), das 100 Jahre gegolten hatte, wird abgelöst durch die Herrschaft des “Commentariat” und der “Punditocracy” – die einflussreiche Kaste der Analysten und Polit-Prediger. Mit dem Motto „Attacke statt Analyse, Konflikt statt Konsens, Rechthaberei statt Faktenhuberei sind die Sender sehr erfolgreich. CNN, MSNBC und Fox News haben einen Marktanteil von 46 Prozent im TV-Nachrichtengeschäft – und die drei großen Sender ABC, NBC und CBS weit hinter sich gelassen. Im Wahlkampf 2008 steigerten Fox News und MSNBC ihre Einschaltquoten im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 101 Prozent bzw. 158 Prozent (Nielsen Media Research).

Das Fernsehen galt in Amerika lange als „National Campfire”, als gemeinsame Wärme- und Lichtquelle, um die herum sich die Gesamtbevölkerung versammelte, um sich Geschichten über das Leben zu erzählen und die weitere Vorgehensweise zu diskutieren – eine moderne Inkarnation des Lagerfeuers, um das sich die Pioniere auf ihrem Treck nach Westen drängten. Heute brennen im Äther viele Tausend Pixel-Lagerfeuer. „Im Zeitalter von Internet und Satelliten-TV gibt es für jede demographische und psychographische Identität ein Angebot“, sagt Johnathan Morris, Politik-Professor an der East Carolina University, der mehrere Studien über “Cable News” verfasst hat.  Die mediale Service-Optimierung habe jedoch gesellschaftliche Konsequenzen. „Die Menschen suchen sich zunehmend Angebote, die ihre bereits existierenden Meinungen und Ansichten über die Welt bestätigen”. Kongnitive Dissonanzen werden immer mehr gemieden. Kein Wunder also, dass eine Studie des Pew Research Centers herausfand, dass die “Zuschauerschaft der Kabelnachrichtensender hochgradig parteiisch” sei. Die Linke sammelt sich um das Lagerfeuer von MSNBC, die Rechte wärmt sich an der Glut von Fox News.

Anchorman, nannte man die TV-Sprecher wie Walter Cronkite oder Tom Brokaw auch, vielleicht, weil sie den Menschen bei der Verortung halfen und ihnen ein wenig Halt gaben. Heute ähneln die Moderatoren eher Animateuren, die die Zuschauer in Schwingung versetzen sollen. Hey! Wow! Take this! Look at that! „Beim Kabelfernsehen geht es um Abwehr von Ablehnung”, meint Phil Griffin, Nachrichtenchef von MSNBC. „95 Prozent der Leute gehen an dir vorbei und du versuchst sie dir zu greifen.” MSNBC und Fox News (und in einem geringeren Maße auch CNN) präsentieren das Weltgeschehen dann auch wie einen Kinofilm, als Kampf zwischen Gut und Böse, Schwarz und Weiß. Die politische Radikalisierung der Sender ist nur eine Folge der Programmplanung mit den Mega-Werten Action und Emotion. Niemand sollte glauben, dass wir es mit Ideologen zu tun haben. Die politische Ausrichtung ist eine rein ökonomische Entscheidung (und man fragt sich, ob  das eigentlich eine gute Nachricht ist). Fox News gab der konservativen Basis während der Clinton-Jahre eine Heimat im TV. Und als sich viele Medien nach dem 11. September und dem Irak-Krieg zu Sprachrohren der Bush-Administration machten, und wieder eine Zielgruppe herrenlos im Äther herum strich, da griff eben MSNBC zu.

Verfolgt man die Berichterstattung über ein politisches Ereignis auf MSNBC und Fox News, entsteht vor allem in den Abendstunden der Eindruck, das TV-Gerät sei womöglich per Kabel mit zwei Paralleldimensionen verbunden. In der Primetime läuft das Commentariat zur Höchstform auf. “Es gibt keine Hinweise”, sagte Sean Hannity kürzlich, “dass Obama in den Korruptionsskandal um den Gouverneur von Illinois verwickelt ist” – und zeigte dann trotzdem fünf Minuten lang Fotos, auf denen die beiden Politiker zusammen zu sehen waren. “Fair and Balanced” lautet das Motto von “Fox News” – das ist keine Selbstironie, sondern eine selbstbewusste Neu-Definition der Begriffe. Bei Fox News (und MSNBC) versteht man unter Balance nicht Ausgewogenheit oder Objektivität, sondern eine Form des Aktivismus. “Fox News” soll laut O’Reilly und Hannity ein Gegengewicht  zum “liberalen Mainstream” bilden, und so in der Gesamtgesellschaft eine Balance herstellen. “Objektitvität” muss man einem Sachverhalt also nicht mehr entgegen bringen, sondern auf der Makro-Ebene aktiv schaffen. “Wir leben in einen Land”, schrieb deshalb der Times-Kolumnist und Nobelpreisträger Paul Krugman vor einiger Zeit, “in dem es so etwas wie eine nicht-politische Wahrheit nicht mehr gibt (…) Die Gläubigen folgen den Verdrehungen und Wendungen ihrer Partei mit einer Loyalität, die das Comintern zufrieden gestellt hätte”.

MSNBC und Fox News sind telemediale Zwillinge. Kulissen, Trailer und Logos sind in den Farben Rot, Blau und Weiß gehalten, als hätte man für das Production Design ein paar Hundert US-Flaggen zerrissen, und mit den patriotischen Partikeln eine Höhle gebaut. Streicher, Posaunen und Orgeln begleiten die Bilder auf beiden Sendern  – ganz so, als würde ein Filmkomponist die Breaking News live in einer Symphonie verarbeiten. Und die Typographie der Titel glitzert auf beiden Sender wie die Eisen-Letter am Jefferson Memorial in Washington D.C. („Information ist die Währung der Demokratie”, steht da übrigens an der Wand). Nach Konsum der Kabel-TV-Sender wünscht man sich, ein moralisch recht fragwürdiges Experiment durchführen zu dürfen, um die Langzeitwirkung der Meinungssender zu untersuchen: Was wäre, wenn man zwei Zwillinge nach der Geburt in zwei aneinander grenzende Räume sperren würde. In einem der Räume würde Fox News laufen, im anderen MSNBC, und nach 18 Jahren öffnete man die Tür. Was würde passieren? Wahrscheinlich ein “Clash of Cultures” – trotz gleicher DNA.

Politologen und Medienwirkungsforscher befürchten durch die Aufteilung des Äthers in ideologisch klar definierte Zonen eine “Polarisierung des Diskurses”. “Wenn man immer nur in seiner Meinung bestätigt wird”, meint Morris, “dann könnte es passieren, dass sich die Stimmung aufschaukelt und die Ansichten immer extremer werden.” Die Werte-Communitys in den isolierten Medien-Räumen verhalten sich wie Sportmannschaften, die sich vor dem Match in einem Kreis versammeln, die Hände aufeinander legt und gegenüber der Umwelt einen Wall aus Körpern und Vereinsfarben errichtet: “Wir sind stark!”, schreien die Spieler dann, “Wir werden gewinnen!” Für Empathie für die Motive und Individualität des Gegners bleibt in diesem binären Sieg-Niederlage-Denken kein Platz.

Die Propaganda der Parteisender ist für den gesellschaftlichen Diskurs womöglich weniger gefährlich als “die erheblichen Unterschiede in Wissen und Bewusstsein von Informationen”, welche das Pew Research Center in einer aktuellen Studie zwischen dem Publikum von Fox News und MSNBC festgestellt hat. Die Tatsache, dass die Republikaner mehr als 150 000 Dollar für die Klamotten von Sarah Palin ausgegeben haben, war 71 Prozent der MSNBC-Zuschauer “stark bewusst”. Im Vergleich konnten sich nur 51 Prozent der Fox News-Zuschauer an den Skandal erinnern. Und dass Colin Powell, der Kriegsheld und ehemalige Außenminister von George W. Bush, vor der Wahl seine Unterstützung für Obama erklärt hatte, wussten ebenfalls 70 Prozent der MSNBC-Zuschauer und nur 54 Prozent der Fox Zuschauer. Demokratie basiert unter anderem darauf, dass die Bürger geteilte Informationen und Erlebnisse haben.” Indem die ideologisch aufgeladenen TV-Nachrichten ihrem Publikum jedoch einige Informationen vorenthalten, und andere Informationen betonen, könnte es im Extremfall zu der Situation kommen, dass sich die Zuschauer von MSNBC und Fox News irgendwann nicht mehr über ein politisches Thema verständigen können – nicht, weil sich die beiden Mannschaften so sehr verabscheuen würden, sondern weil sich die Spieler nicht mehr auf die Regeln des Spiels einigen können, die Länge einer Halbzeit, die erlaubten Mittel, das Ziel. Der Lärm erzeugt Sprachlosigkeit.

Nachtrag: Pews beeindruckender Rückblick auf die Bush-Jahre in zwei Charts:

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Quelle: Bush and Public Opinion

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Der digitale Präsident

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