#Clausewitz

“Ein unbefahrenes Meer voll Klippen”: Trump mit Clausewitz lesen

von , 13.6.18

Innerhalb weniger Tage langjährige Verbündete abzukanzeln, um einen bis dato erklärten Feind, dem man noch ein halbes Jahr zuvor mit Vernichtung gedroht hatte, aufs Tableau der internationalen Diplomatie zu heben – welchen Sinn ergibt das? Müßig der Versuch, jeder einzelnen von Trumps Entscheidungen eine Logik abzuringen, oder gar sein Handeln vorherzusagen. Der US-Präsident ist kein Großmeister des politischen Schachs; er selbst gibt offen zu, nach seinem Bauchgefühl vorzugehen, „that’s what I do.“ Womöglich denkt er selbst in derart schicksalhaften Situationen wie jüngst in Kanada und nun in Singapur stets nur zehn Minuten voraus. Das heißt aber nicht, dass sein Verhalten unerklärlich bleiben muss.

Für den Mann, der scheinbar nur im Augenblick lebt, lässt sich ein Leitfaden aus der Geschichte heranziehen, der manches aufschlüsselt: Vom Kriege, geschrieben vom preußischen Militärstrategen Carl von Clausewitz, posthum 1832 veröffentlicht und bis heute an US-amerikanischen Militärakademien gelehrt. Man darf getrost annehmen, dass Trump von diesem Klassiker taktischer Kriegsführung nie gehört hat. Doch handelt er getreu dem bekanntesten Zitat aus dem Werk: „Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.“ Krieg ist heute längst nicht mehr nur die Schlacht am Boden, er setzt lange vor dem Abschuss der ersten Rakete ein in den brutalen Auseinandersetzungen auf den globalen Handelsplätzen, in Form von Sanktionen, entzogener Entwicklungshilfe, finanzpolitischer Isolation.

Die Welt ist für Trump ein Nullsummenspiel

Gleich zu Beginn schreibt Clausewitz: „Der Krieg ist nichts als ein erweiterter Zweikampf.“ Trump würde das unterschreiben, die Welt ist für ihn ein Nullsummenspiel, im Geschäftsleben wie in der Politik: gewinnt der eine, muss der andere verlieren. Sodann stellt Clausewitz eine Achse aus Zweck, Ziel und Mittel auf, um die Natur kriegerischer Konflikte zu illustrieren. Jeder Krieg hat demnach den Zweck, „den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen“. Massiv Druck machen, vor und in der Auseinandersetzung, dieses Prinzip beschreibt Trump bereits in seinem Buch The Art of the Deal, und er hat es nahtlos auf sein Politikerleben übertragen. Das Ziel des Krieges ist es, den Gegner wehrlos zu machen, und zwar anhand verschiedener Strategien. Hierzu zählt die Vernichtung gegnerischer Streitkräfte – man erinnert sich an Trumps Drohung, Nordkorea zu zerstören und den Islamischen Staat in Grund und Boden zu bomben –, aber auch das Entziehen der Versorgungsbasis (etwa wenn Trump mit dem amerikanischen Rückzug aus der NATO oder dem Zusammenstreichen der Entwicklungshilfe auf dem afrikanischen Kontinent droht), darüber hinaus Propaganda: Trumps Kriegserklärung an die Medien schon in seiner ersten Pressekonferenz und nicht enden wollende Twittertiraden passen ins Bild. Schließlich nennt Clausewitz die Unterstützung oppositioneller Kräfte im Ausland, um dort für Instabilität zu sorgen: Trump macht aus seiner Unterstützung für antieuropäische Bewegungen keinen Hehl, gratuliert den Briten zum Brexit und hält offenbar große Stücke auf Orbán.

Um das gesetzte Ziel zu erreichen, ist jedes Mittel recht, wobei Clausewitz einschränkend ein „Primat der Politik“ postuliert, also der Krieg der Politik immer untergeordnet bleiben müsse und diese nicht ersetzen dürfe. Mit anderen Worten: Das Sagen im Krieg hat die politische Führung, nicht das Militär. Ein schwacher Trost für den Ernstfall einer tatsächlichen kriegerischen Auseinandersetzung, von der zu hoffen bleibt, dass sie mit dem Gipfeltreffen von Trump und Kim zunächst gebannt ist: In den USA ist der Präsident kraft seines Amtes auch oberster Befehlshaber der Streitkräfte.

Schon vor knapp zweihundert Jahren erkannte Clausewitz das größte Risiko von allen, wenn es zum Konflikt kommt: Unkalkulierbare Ereignisse, den Zufall und das Überraschende. Der Stratege spricht von „Friktionen“, die jede noch so besonnene und umsichtige Vorausplanung zunichtemachen. Die wenigsten würden dem US-Präsidenten Besonnenheit oder gar Umsicht zuschreiben wollen, sodass man sich fragen muss, wie es ihm gelingen soll, sich im „Nebel des Krieges“ zurechtzufinden, den Clausewitz beschreibt. Weggefährten wie Trumps Wirtschaftsberater Kudlow und Navarro, und vor allem sein Sicherheitsberater John Bolton machen die Sache nur schlimmer.

„Jeder Krieg“, schreibt Clausewitz im siebten Kapitel seines Buches, ist „ein unbefahrenes Meer voll Klippen“, die es in dunkler Nacht zu umschiffen gelte. Man wünscht dem US-Präsidenten um seiner selbst und der Welt willen eine ruhige Hand: Clausewitz‘ Referenzrahmen waren die Napoleonischen Kriege. Ein globales, potenziell atomares Konfliktszenario unter Beteiligung der Vereinigten Staaten und ostasiatischer Mächte dürfte außerhalb seiner Vorstellungskraft gelegen haben.


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