von Christian Stahl, 11.8.13
So gut wie alle Hollywood-Filme beruhen auf derselben Drehbuchphilosophie: der Heldenreise. Sie geht davon aus, dass wir Menschen immer schon und für alle Zeiten die immer gleiche Story hören wollen. Sehr verkürzt geht sie so: Ein Held oder eine Heldin, der/die eigentlich ganz zufrieden ist, hört plötzlich einen Lockruf, bricht auf, trifft auf einen Mentor, der ihn oder sie in die Unterwelt bittet, wo dann die Höllenfahrt beginnt. Drachen, Monster, Todesangst: unsere Heldin überwindet alles, die Hölle wird zum Abenteuer, an dessen Ende ein Elixier wartet, nach dessen Genuss Held oder Heldin als Herr/in der zwei Welten zurückkehren können, weil sie nun sehen, was kein anderer sieht.
Dieses Grundmuster gibt es in Homers Odyssee, in so unterschiedlichen Blockbustern wie Terminator, Schweigen der Lämmer, Titanic und Avatar. Nach diesem Grundmuster funktioniert auch die ZDF-Serie „Auf der Flucht“.
Und hierin liegt eines der Hauptprobleme der gut gemeinten ZDF-Idee, sich dem Schicksal von Flüchtlingen mit Mitteln des Mainstreams zu nähern.
Nicht der Mainstream ist das Problem, auch nicht der trashige Stil, den das Format mit sich bringt. Beides sollte erlaubt sein, wenn es um Aufmerksamkeit für das Elend von Flüchtlingen geht, die Hunderttausende namenlosen Toten, die in Europa entweder als „Problem“ oder „Gefahr“ gesehen werden, oder beides. Ihnen ein Gesicht zu geben, eine Stimme, egal wie, wäre preisverdächtig und mutig. Aber das ZDF macht das Gegenteil.
Statt die Flüchtlinge zu Helden der „ungewöhnlichen Reise“ zu machen, werden sie wieder nur zu Objekten degradiert, sie werden dramaturgisch notwendiger Teil der Gefahr, die auf der fragwürdigen ZDF-Heldenreise in „die Ursprungsländer von Asylsuchenden in Deutschland“ lauert. Die Hubschrauber-Kamera fliegt über die Köpfe von Tausenden Flüchtlingen hinweg, die deutsche blonde Protagonistin heult in Großaufnahme. Die Flüchtlinge bleiben anonym. Stattdessen widmet sich das ZDF ausführlich dem Leid der seltsamen Heldenschar, was streng nach Hollywoodregeln richtig, aber im konkreten Fall unerträglich bis zynisch ist. Allein die Auswahl der sechs „Helden“ lässt einen erschauern.
Da ist das blonde Klischee-Model Mirja du Mont, die vermutlich bei jedem Integrationstest durchfallen würde, aber sicher ist, „dass die in der Türkei einfach anders denken“. Ihr assistieren Ex-Nazi Kevin Müller, dem die NPD zu demokratisch war, Sarrazin-Fan Katrin Weiland, die wie alle Sarrazin-Fans behauptet, der Mann habe doch Recht, ohne sagen zu können, womit. Die Alibi-Türkin Songül Cetinkaya, natürlich eine Sozialarbeiterin. Und die beiden „Flüchtlingsversteher“ der Serie, Bundeswehrsoldat Johannes Clair und Ex-Böhse-Onkelz-Sänger Stephan Weidner.
Laut ZDF stellen die Sechs einen Querschnitt unserer Gesellschaft dar.
Klar. Und, welcher Typ sind Sie?
Der zweite, meines Erachtens unverzeihliche Fehler des Projekts ist, dass es verspricht, was es nicht halten kann. Die ZDF-Promis sind keine Sekunde lang „auf der Flucht“. Sie sind nie in Gefahr, niemals in Todesangst – wie auch? – und immer von der Kamera begleitet.
Die sechs Protagonisten werden nicht zu Flüchtlingen, sie werden zu umsorgten Star-Touristen einer peinlichen Flüchtlings-Safari. Zoobesuch im Elend dieser Welt.
Es ist bezeichnend, dass ihr Serien-Mentor, der renommierte Journalist Daniel Gerlach, ihnen zuerst die Handys – oh Schreck! – und danach erst die Pässe abnimmt, was niemanden zu schocken scheint.
Das ZDF will uns die Serie als Dokumentation verkaufen, in Wirklichkeit ist es Fiktion. Jeder Drehort, jeder Flüchtling, jeder Moment ist gescriptet, sorgsam überlegt, streng nach der Heldenreise konstruiert. Das Flüchtlingsheim, in dem einige der Pseudo-Flüchtlinge übernachten, ist ein Luxushotel im Vergleich zu den menschenunwürdigen Notunterkünften, die ich in den letzten Jahren gesehen habe; die Bootstour auf dem Mittelmeer, bei dem einer der Helden kotzen muss, ein Wochenendausflug. Auch die immer wieder eingespielten kurzen Nachrichten-Clips, die sekundenlang die echte Flüchtlingswelt zeigen, ändern nichts am Gesamteindruck: Flucht ist ein Abenteuerurlaub und Deutschland das Paradies.
Das haben sie beim ZDF nicht gewollt, da bin ich mir sicher, als sie das preisgekrönte australische TV-Format Go back to where you came from einfach kopierten. (Selbst die Trailer sind identisch aufgebaut.) Auch die Anwesenheit von Daniel Gerlach, Mitherausgeber des sehr guten Middle-East-Magazins Zenith, gibt der Serie einen Hauch von Seriosität.
Gerlach ist es dann auch, der die einzigen sinnvollen Sätze zur Serie beisteuert und mit dem Stereotyp aufräumt, alle Flüchtlinge seien arme Schlucker, die sich in Lebensgefahr begäben, nur, um unsere Sozialsysteme auszubeuten. Gerlach erklärt (endlich!), dass die meisten Menschen auf der Flucht gut ausgebildet sind, schlicht ein lebenswertes Leben führen wollen, und dass von den 45 Millionen Flüchtlingen weltweit maximal 2 Prozent Asyl gewährt wird. Gerlach gibt denen, um die es in der Serie angeblich geht, ein kleines Stück Würde zurück. In einem 3-Minuten-Clip in der ZDF Mediathek.
Der Rest ist Trash, zynisches Tränentheater und gefährliche Fiktion.
Ob das Abschalten der Serie, wie es eine Online-Petition fordert, sinnvoll wäre, weiß ich nicht. Aber ich würde mich dafür engagieren, den Herren aus der ZDF-Chefetage von meinen GEZ-Gebühren ein Praktikum in einem der Flüchtlingscamps und Elendsviertel dieser Welt zu finanzieren. Freetown in Sierra Leone, Shatila im Libanon, Khayelitsha in Cape Town. Und falls ihnen von dort die Flucht gelingt und sie diese überleben, dürfen sie auch gerne auf ZDFneo davon berichten. Zur besten Sendezeit.
Christian Stahl betreibt stahlmedien.com und bloggt auf sagwas.net. Er hat 6 Jahre lang an einem Film über eine Flüchtlingsfamilie in Berlin gearbeitet und einige Zeit in den palästinensischen Flüchtlingslagern im Libanon verbracht.