von Karsten Wenzlaff, 27.3.17
Nancy Pelosi war außer sich vor Freude. „Ein Sieg für die Amerikaner, für Senioren, Menschen mit Behinderungen, Kindern und Veteranen“, verkündete die Vorsitzende der Demokraten im Repräsentantenhaus. Obwohl Trump gestern die Demokraten für sein eigenes Scheitern verantwortlich machte, so war es doch für die Demokraten ein leichter Sieg. Trump wollte so schnell wie möglich sein Obamacara-Repeal-and-Replace-Gesetz verabschieden lassen. Immerhin hatte er im Wahlkampf angekündigt, schon am Tag der Vereidigung als Präsident sich ein entsprechendes Gesetz vorlegen zu lassen. Er machte sich keine Mühe, die Demokraten einzubinden und war somit voll und ganz au die Stimmen der Republikaner im Kongress angewiesen, die ihm augenscheinlich nach 8 Wochen im Amt schon zu einem „Lame Duck“-Präsidenten machten, einem Präsidenten ohne Macht, etwas durchzusetzen Obamacare – der Affordable Health Care Act – wird, wie es Paul Ryan ausdrückte, auf absehbare Zeit gültig bleiben.
Trump hat sehr hoch gepokert. Aber hat er auch verloren, so wie es SPIEGEL-Korrespondent Veit Medick formulierte: „Verkalkuliert wie ein Anfänger“? Die Abstimmung zeigte seinen Anhängern, dass weder Trump noch Vizepräsident Pence uneingeschränkte Unterstützung im Parlament haben, obwohl die Republikaner in beiden Häusern die Mehrheit besitzen. Jessica Glenza vom Guardian beschrieb die Situation der Republikaner so, als ob ein großer Mann sich eine kleine Decke über den Kopf ziehen will – wenn man an einer Seite zieht, dann fehlt an der anderen Seite die Abdeckung. Den moderaten Republikanern war das Gesetz zu radikal, den radikalen Republikanern zu moderat.
Vielen konservativen Kommentatoren schien es ein Zeichen von Stärke, dass Trump den Republikanern ein Ultimatum setzte, entweder dem Gesetz zuzustimmen oder Obamacara bestehen zu lassen. Ryan und Trump blieben kaum noch Zeit. Wenn das Repeal-Gesetz wirklich schon 2018 hätte wirken sollen, dann hätten die amerikanischen Krankheitsversicherungen nicht mehr viel Zeit gehabt, um ihre Beiträge für das Jahr 2018 kalkulieren und diese durch die Regierung freigeben zu lassen. Trump musste handeln – und hatte keine Zeit zu verhandeln.
Es hätte einen anderen Weg geben können – in der Politik gibt es immer einen Weg, wenn man bereit ist, zu verhandeln. Obamas Affordable Care Act gibt dem jeweiligen Gesundheitsminister eine Menge Freiraum, die Funktionsweise der Krankenversicherungsmarktplätze zu verbessern. Tom Price, Trumps Gesundheitsminister, könnte also relativ einfach die von den Republikanern unterstellten Mängel an Obamacare beseitigen, ohne aber die Grundstrukturen der Krankenversicherung zu zerschlagen. Wenn Trump daran gelegen wäre, etwas für die Amerikaner zu tun, dann hätte er dazu alle Möglichkeiten. Allerdings müsste er dann zugeben, dass Obamacare im Kern eigentlich funktioniert. Oder er hätte mit den Demokraten verhandeln müssen. Beides nicht sehr wahrscheinliche Szenarien.
Außerdem, so Matt O’Brien von der Washington Post, war die Rücknahme von Obamacare notwendig, um die geplanten Steuerkürzungen durchzusetzen. „If Republicans had repealed the Affordable Care Act’s $1 trillion worth of taxes before they revised taxes, that’s $1 trillion less they’d have to come up with to make it look like money wasn’t being lost. Now, without those phantom savings, tax restructuring, Speaker of the House Paul D. Ryan (R-Wis.) admitted, will be ‘more difficult.’.” Trump brauchte Trumpcare – und er war bereit, viel politisches Kapital für die Durchsetzung seiner Interessen zu mobilisieren.
Gescheitert ist er dennoch – und wie FiveThirtyEight analysiert, war das Ergebnis nicht knapp, sondern je nach Zählung hätten mehr als 60 republikanische Abgeordnete nicht mit dem Präsidenten gestimmt. Ob Trump seine Drohung, die eigenen Anhänger gegen die republikanischen Abweichler zu mobilisieren, umsetzen kann, bleibt offen. Er unterschätzte beispielsweise die Möglichkeiten des sogenannten Freedom Caucus, also dem Sammelbecken der radikal-libertären Abgeordneten, sich untereinander zu koordinieren. Laut einer Recherche von Politico hatten sich die Abgeordneten gegenseitig zugesichert, keine Änderung an ihrer Stimmabgabe zu machen, ohne einander zu konsultieren – damit verhinderten sie, dass Trump und Ryan sie einzeln einschüchtern konnten.
Man sollte dennoch Trump nicht unterschätzen. Schon jetzt hat Trump für 2020 die Weichen gestellt. Sieben Wochen nach seiner Vereidigung hat er bereits wieder in den Kampagnenmodus geschaltet, hält Rallies und mobilisiert seine Basis.
Das gilt aber auch für seine Gegner. Dazu zählen nicht nur die Demokraten, sondern auch die David und Charles Koch, zwei einflussreiche Milliardäre, deren Spenden die Republikaner immer stärker polarisieren. Die Koch-Brüder stellten einen siebenstelligen Betrag bereit, um allen republikanischen Rebellen Unterstützung in ihren Wahlkämpfen zuzusichern. In einer Umfrage von Politico wurde auch deutlich, dass die Wähler ihre radikalen Republikaner nicht bestrafen würden. Die Anreize, nicht auf Trump, Pence und Ryan zu hören, waren also sehr hoch.
Letztendlich aber kann Trump auch diese Niederlage zu einem Vorteil drehen. Laut einer Studie der Quinnipac Universität waren nur 17 Prozent der registrierten Wähler für Trumpcare, während 56 Prozent sich gegen Trumpcare aussprachen. Die Wähler gingen davon aus, dass Trumpcare weder die Kosten senkt noch den Zugang zur medizinischen Versorgung verbessert.
Trump wird jetzt seine Hände in Unschuld waschen und entweder Paul Ryan, die Demokraten, die moderaten Republikaner oder die radikalen Republikaner dafür verantwortlich machen, dass Obamacare noch eine Weile fortbestehen wird. Genau wie bei allen anderen politischen Niederlagen seiner noch jungen Präsidentschaft wird er probieren, diese in einen Sieg umzudeuten. Leider spricht nichts dafür, dass seine Anhängerschaft das anders sieht.
Die Demokraten bleiben hoffentlich bei ihrer klaren Linie gegen Trump – sie sind aber darauf angewiesen, dass die Republikaner sich bei anderen Projekten ihrer Agenda selbst zerlegen. Das kann auf die Dauer nicht ausreichen. Machen sie sich dabei indes von einer stillen Allianz mit dem „Freedom Caucus“ und den Spendengeldern der Koch-Brüder abhängig, werden sie Mehrheit im amerikanischen Parlament, geschweige denn die Präsidentschaft, auch nicht gewinnen können. Der Abgeordnete Keith Ellison, zugleich der stellvertretende Vorsitzende der Demokratischen Partei, riet deswegen seiner Partei, sich nicht allzu lange zu freuen, sondern sich auf die Mobilisierung von Wählern zu fokussieren. Wenn das gelingt, dann wäre das Scheitern von Trumpcare ein Erfolg auch für die Demokraten.
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