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Die Sexpartys des Silicon Valley

Es entstehen neue, interaktive Geschäftsmodelle, die die Nutzenden dankend und zahlend annehmen. Auch – oder vielmehr gerade – ohne Intimität und Körpereinsatz florieren die Geschäfte der Silicon Valley-Konzerne.

von , 12.5.20

Im Silicon Valley wurden regelmäßig Orgien gefeiert. Dann legte SARS-CoV-2 derlei Gepflogenheiten lahm. In ihren Labors, geheimen X- oder Visions-Abteilungen überschreiten die Vertreter der Tech-Szene immer wieder gedankliche Grenzen. Ihre körperlichen Grenzen testen sie in Gefährten auf der Straße, auf dem Meer oder im All sowie bei den jährlichen »Burning Man«-Events. Die Grenzen des Körpers, der Keuschheit und des Anstands erproben sie bei exklusiven Sexpartys. Hier loten die Männer allerdings weniger ihre eigenen Grenzen aus als vielmehr die der weiblichen Teilnehmer. Bei ihren sexuellen Grenzüberschreitungen folgen sie strikten Mustern, die so ähnlich für die ganze Industrie gelten. Männliche, weiße, junge, erfolgreiche und wohlhabende Branchenvertreter bestimmen die Einladungslisten für die Partys und welche Varianten von Sex hier zugelassen sind. Die Gastgeber sind in der Regel männlich, genau wie ihre wichtigsten Gäste, darunter Manager, Gründer und Kapitalgeber. In einer Zeit, in der Polyamorie Trend ist, zeigt sich die Tech-Elite Konzepten wie der offenen Beziehung, Gruppensex oder BDSM gegenüber aufgeschlossen. Sie gibt sich experimentierfreudig  – aber nur bis zu einem gewissen Grad

Werden die exklusiven Einladungen zu Sexpartys an wechselnden Orten in und um San Francisco verschickt, folgen sie einem Motto, etwa »Edge of the earth« oder »Bondage«. Das berichtet die Bloomberg-Journalistin Emily Chang in ihrem Buch »Brotopia: Breaking Up the Boys’ Club of Silicon Valley« von 2018. Darin klärt sie zudem darüber auf, dass eingeladene Männer so viele Frauen, wie sie möchten, mitbringen könnten, während eingeladene Frauen nur in Begleitung anderer Frauen, nicht aber von (womöglich szenefremden) Männern, kommen dürften. So entsteht ein Verhältnis zwischen Männern und Frauen von 1 zu 2. Das hat System. Hätten drei Leute miteinander Sex, so sei immer nur ein Mann mit zwei Frauen zugange, schreibt Chang. Ein Dreier mit einer Frau und zwei Männern sei bei den Valley-Orgien genauso tabu wie Sex unter Männern. Nicht tabu sei es jedoch, wenn Ehemänner und Familienväter sich mit irgendwelchen Frauen vergnügten oder Ehepaare für einen Dreier eine Frau hinzuzögen. 

Chang hält fest, dass Sexorgien häufig zwischen Gründer-Teams und deren Haupt-Risikokapitalgebern stattfinden. Anscheinend betreiben die Männer des Silicon Valley ihre Partys so wie ihre Businesses: unter- und füreinander. Frauen sind dabei Nebensache und haben eher dienende Funktion. Viele von Changs Gesprächspartnern, Männer und Frauen, hätten berichtet, dass bei Orgien Geschäfte eingefädelt würden. Es sei also für Männer und Frauen wichtig, daran teilzunehmen. Wer bei Sexpartys fehle, sei schnell außen vor. Doch für Frauen wird diese Körper-Kopf-Business-Vermengung offenbar zur heiklen Gratwanderung. Bei diesen nächtlichen Geschäftsterminen befinden sich die Tech-Frauen meist in der schlechteren Verhandlungsposition, so wie tagsüber auch. Zu den Motto-Orgien werden sie weniger als Geschäftspartnerinnen eingeladen als primär in der Funktion von Lustobjekten für die männlichen Szenemitglieder.

Viele männliche Partygäste hielten den Großteil der anwesenden Frauen sowieso für »founder hounder«, für »Gründer-Jägerinnen«, die nichts anderes wollten, als mit einem Gründer Sex zu haben oder sich ihn als boyfriend oder als Ehemann zu angeln. Das konstatiert Emily Chang in »Brotopia«. Frauen, die von den männlichen Gästen nicht ernst genommen werden, betäube man mit Alkohol oder mit Molly (MDMA). Dadurch könnten die Männer mit ihnen für paar Stunden oder einige Tage am Stück unter Ausschluss der Nicht-Szenewelt Orgien feiern, ohne selbst die Kontrolle abgeben zu müssen. 

Frauen aus der Tech-Szene, die solchen Partys beigewohnt haben, vertrauten der Journalistin Chang an, dass Männer sich untereinander bezüglich der Frauen abgesprochen hätten – mit Folgen für ihre weitere Karrieren. Bei einigen Frauen habe die Teilnahme an einer Orgie dazu geführt, dass sie im beruflichen Umfeld von Fremden sexuell angemacht worden seien. Andere Frauen hätten im Berufsalltag Probleme bekommen. Offenbar sind die männlichen Szenevertreter nicht in der Lage, Rollenmuster oder die »Biologie« im Kopf zu überwinden. Das Schriftstück eines ehemaligen Google-Ingenieurs belegt, dass in der Tech-Szene hanebüchene Stereotypen herumgeistern: »2017 kritisierte James Damore die offene Kultur und die Diversitäts-Bemühungen bei seiner Arbeitgeberin Google. Nachdem er bei Google ein Diversitätsprogramm durchlaufen hatte, notierte Damore: ›Die Verteilung der Präferenzen und Fähigkeiten von Männern und Frauen unterscheidet sich zum Teil aufgrund biologischer Ursachen, und diese Unterschiede können erklären, warum wir Frauen in Technologie und Management nicht im gleichen Ausmaß vertreten sehen.‹ (…). Man sollte seine Bemerkungen nicht zu ernst nehmen, selbst wenn die Google-Geschäftsführung sie ernst genommen und den Mann entlassen hat. Doch was verleitet einen Ingenieur zu einer unbelegten Aussage? Und warum fanden sich dafür erstaunlich viele Unterstützer in der Szene? Damores verunglückte Auskünfte und die Vielzahl von deren Fürsprechern signalisieren, dass es in der Tech-Szene offenbar vielfach für ›normal‹ oder für ›biologisch‹ gehalten wird, dass die Norm männlich ist. Diese Haltung wirkt sich auf die Personalauswahl und diese sich wiederum auf die Ergebnisse der Arbeit in und von Tech-Firmen aus. Dann programmieren hier Männer Code für Männer, und es entstehen Produkte und Services von Männern für Männer.« (Quelle: »Mein fremder Wille« von Gisela Schmalz, Campus Verlag, 2020, S. 103). Auch die Sexorgien im Valley veranstalten Männer für Männer. Diese beleben das Business unter ihnen, aber be- oder verhindern gleichzeitig Geschäftsbeziehungen zwischen Männern und Frauen. Spiele, darunter Rollenspiele, gestehen Männer nur einander zu. Frauen werden aus der Zuschreibung der Unterlegenen nicht nur nicht entlassen, sondern darin eingepfercht. Dabei müssen sich männliche genauso wie weibliche Gründer prostituieren, um an das Geld mächtiger und reicher Kapitalgeber zu gelangen. Versuchen Männer, möglichen Investoren die nötigen Summen für ihre Geschäfte zu entlocken, ist das auch eine Form von Prostitution. Sie wird nur nicht als solche bezeichnet. 

In der Tech-Welt, in der normalerweise alles möglich ist, dürfen während des virusbedingten Shutdowns keine Orgien stattfinden. Das bedeutet nicht, dass die kalifornischen Tech-Manager anderen Menschen Sexpartys, Datings oder Speed Datings vorenthielten. Mit ihren smarten und extra für die Viruskrise (auch eine Kennenlern- und Sex-mit-Fremden-Krise) hochgerüsteten Live-Streaming-, Messaging-, Video-Chat- und Video-Conferencing-Diensten heizen sie das Partyleben an. Während der Pandemie sind Körperkontakte weltweit tabu, selbst die in San Francisco so beliebten Kuschelpartys. Dennoch gelingt es der Tech-Elite, Nähe, Liebe oder Sex suchenden Menschen Befriedigung zu verschaffen. Für Interessierte, oft sortiert nach Altersgruppen, sexuellen Vorlieben oder Hautfarben, schalten Matching-Dienstleister virtuelle Räume frei. Innerhalb strikt definierter Zeitfenster können Menschen hier zu allem virtuell Machbaren zusammenfinden. Für die Veranstaltung »San Francisco Virtual Speed Dating 20s-40s (on zoom)« wird per Eventbrite so geworben: »Mix, meet & mingle with singles from the safety and comfort of your own home! You may be single and stuck at home but that doesn’t mean you can’t meet other singles and have fun! Grab a cocktail and your favorite snacks because we’re bringing a singles party directly to your home.« Wer Zutritt zu den einzelnen 4- bis 6-minütigen Dating-Gesprächen mit bis zu 20 lokalen Singles erhalten will, muss ein Bewerbungsformular ausfüllen und je nach Anmeldetermin einen Preis ab 20 US-Dollar zahlen. 

Das vorläufige Ende der Sexorgien in der Tech-Szene markiert den Anfang der virtuellen Sexpartys für Normalos. Es entstehen neue, interaktive Geschäftsmodelle, die die Nutzenden dankend und zahlend annehmen. Auch – oder vielmehr gerade – ohne Intimität und Körpereinsatz florieren die Geschäfte der Silicon Valley-Konzerne. Deren Managern sowie findigen Online-Dienstleistern gelingt es, ihre sterilen Anwendungen an die berührungshungrige Party Crowd zu verkaufen. Für Frauen und Schwächere haben Online-Partys allerdings einen großen Vorteil gegenüber Live-Sexorgien. Der virtuelle Raum bietet ihnen Schutz, Chancen des Schaltens und Waltens sowie des Rückzugs. Hier behalten sie die Kontrolle und können gewisse Macht ausspielen. Doch das gesamte Spiel dominieren weiterhin die Manager der Tech-Konzerne. Sie stellen die Infrastrukturen für die auf Datenbasis individuell zugeschneiderten Services bereit. Sie setzen die Regeln für das geschlossene Ökosystem, das aus ihnen selbst besteht, den Dienstleitern, die Technologien einsetzen, und den Endkunden. Aus diesem System kommen Letztere weniger leicht heraus, als nach dem Shutdown aus ihren Wohnungen, zumal sie sich den Vorgaben der Tech-Elite freiwillig unterwerfen. Nach der Viruskrise werden die Partys der Tech-Clique weitergehen – im Valley und online. Und die mächtigsten Mitglieder werden die Gästeliste, das Motto und den Zugangspreis vorgeben.

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