#Erfolg

Die Macht der Freundschaft

von , 4.10.14

Erfolgreiche Unternehmer, Manager, Politiker, Funktionäre setzen häufig auf die Kraft der Freundschaft, der Clique. Was sich bei anderen Leuten auf die Hobbyebene beschränkt, nutzen sie, um gemeinsame wirtschaftliche, politische oder sonstige Ziele umzusetzen. Dabei geht es eben nicht um berufliche Netzwerke, sondern persönliche Kontakte, die weit darüber hinausgehen, und gemeinhin als Seilschaften bezeichnet werden.

Fast jede mächtige Organisation hat als Freundespaar oder als Clique begonnen. Beispielsweise liegt eine der Wurzeln der britischen „Labour Party“in der 1883 gegründeten Gruppe „The Fellowship of the New Life“. Ihr gehörten befreundete Dichter wie Edward Carpenter und John Davidson, die Sexualwissenschaftler Edward Pease und Havelock Ellis sowie die Feministin Edith Lee an. Die vier Freunde Paul Harris, Sylvester Schiele, Gustav Löhr und Hiram Shorey gründeten 1905 in Chicago den ersten „Rotary Club“, dem heute weltweit 1,2 Millionen Mitglieder angehören. 1972 riefen fünf ehemalige IBM-Angestellte, Dietmar Hopp, Hasso Plattner, Hans-Werner Hector, Klaus Tschira und Claus Wellenreuther, in Weinheim die Firma „Systemanalyse und Programmentwicklung GbR“ ins Leben. Der Konzern „SAP SE“ beschäftigt inzwischen rund 65.700 Mitarbeiter in aller Welt. Auch Technologiefirmen wie „Hewlett Packard“, „Apple“ oder „Google“ gingen aus Freundeskreisen hervor.

Hat ein Freundeskreis eine weltweit verzweigte Organisation hervorgebracht, so löst sich die Bedeutung der Clique keineswegs auf. Für den Erhalt und den Erfolg einer großen Volkspartei, eines Weltkonzerns oder einer internationalen Institution wird die Freundschaft-Seilschaft im Gegenteil wichtiger denn je. In der Regel leitet ein eingeschworener Führungszirkel einen großen Apparat. Diesen steuert er wiederum über Teilcliquen, auch Teams oder Arbeitsgruppen genannt. In einer Freundesclique lässt sich bestens arbeiten. Schließlich besteht die Clique, im Unterschied zur sozialen Gruppe oder peer group, aus Personen, die vor allem Cliqueninteressen verfolgen.

Dass zielstrebige Cliquen, Gruppen oder Teams dafür aber nicht allzu groß sein dürfen, wies der britische Anthropologe und Evolutionspsychologe Robin Dunbar nach. Er studierte Unternehmen wie „Gore-Tex“, die Religionsgemeinschaft der Hutterer oder Armee-Einheiten. Dabei entdeckte er, dass Menschen zufriedener und produktiver wurden, sobald sie in kleinen Formationen agieren. Die Begründung für den menschlichen Hang zur Kleingruppe fand Dunbar in den Hirnstrukturen von Primaten. Er fand heraus, dass Affenhirne nicht mehr als 150 verschiedene Personen und deren wichtige Beziehungen zueinander speichern können. Diesen Umstand der limitierten Anzahl wichtiger Beziehungen fasste er in dem Begriff „Dunbar-Zahl“ zusammen. Sie steht also für die Zahl von Menschen, mit denen eine Person gleichzeitig soziale Kontakte pflegen kann. In den meisten Fällen sind dies auch beim Menschen 150 Verbindungen.

Die Schaffung weit kleinerer als 150er Einheiten ist sinnvoll, wenn Menschen sich wohl und motiviert fühlen sollen. In Kleingruppen entsteht Nähe, und Nähe macht glücklich. Im privaten Bereich ist das bekannt: Wer enge Familienbande und enge Freundesbeziehungen pflegt, also Teil einer gesunden Sozialstruktur sein darf, erlebt sich als zufrieden. Diverse Glücksforscher haben über Umfragen und Langzeitstudien ermittelt, dass das Eingebettetsein in eine Gemeinschaft die wesentliche Voraussetzung für ein gesundes und erfülltes Leben darstellt.

Jeffrey Sachs, John Halliwell und Richard Layard verweisen auf die besondere Bedeutung der sozialen Bindungen für das Lebensglück. Die drei Autoren der UN-Glücksberichte von 2012 und von 2013 zeigen, dass das soziale Kapital, also das Potential zwischenmenschlicher Beziehungen, genauso wie Gesundheit, Freiheit und die wahrgenommene Gleichverteilung materieller Güter, weit wichtigere Glückslieferanten darstellen als das individuelle Pro-Kopfeinkommen. Laut dem World Happiness Report der UN von 2012 wirkt sich eine 10-prozentige Steigerung der empfundenen sozialen Bindung viermal stärker auf das persönliche Wohlbefinden aus als eine 30-prozentige Einkommenssteigerung. Die UN-Glücksberichtsautoren schildern außerdem, dass mehr soziales Kapital mit mehr Gesundheit, besserer Bildung und höherem Einkommen einhergeht – das gelte für das Individuum genauso wie für ganze Gesellschaften. Aus Sicht der Glücksforscher ist das soziale Kapital kein Mittel zum Zweck, sondern ein Zweck an sich selbst.

Soziales Kapital lässt sich aber sehr wohl als Mittel zu Zwecken wie Geld- oder Machterwerb einsetzen. Das beweisen die Erfolge von Cliquenwirtschaft. Sozialer Austausch macht nicht bloß glücklich, sondern auch produktiv. Eingefleischte Cliquenwirtschaftler und Cliquenwirtschaftlerinnen schließen sich Freundeskreisen bereits im Kindes-, Schul- oder Studienalter an. Sie treten Alumni-Zirkeln, Vereinen, Verbänden, Parteien, Machtzirkeln oder sonstigen Seilschaften bei. Intuitiv oder strategisch begeben sie sich in Gruppen Gleichgesinnter und verfolgen mit ihnen hochfliegende Pläne.

Damit das in Cliquen gespeicherte soziale Kapital nachhaltig zielführend wirkt, müssen die Teilnehmer jedoch unbedingt Faktoren wie Vertrauen, Regelmäßigkeit, Reziprozität, Regeln, Riten und strikte Geheimhaltung ausbilden. Bei Mafia-Familien, den „Bilderberg-Konferenzen“ oder in einflussreichen Gremien wie der „Group of Thirty“ (G30) und der „Atlantik Brücke“ begegnet man sich immer wieder von Angesicht zu Angesicht. Man telefoniert, skypt oder chattet genau dann nicht mehr, wenn ein Thema wichtig wird. Man bespricht sich persönlich. Man vertraut einander nur, wenn man einander kennen und bei gemeinsam durchlebten Schwierigkeiten und Leichtigkeiten schätzen gelernt hat. Wenn ein Kreis aus internationalen Schwergewichten à la Angela Merkel, Mario Draghi oder Lawrence Summers regelmäßig bei einer „Bilderberg-Konferenz“ oder beim Davoser „Weltwirtschaftsforum“ (WEF) zusammenkommt, können folgenreiche Maßnahmen eingefädelt werden, da die Beteiligten zueinander über Jahre hinweg verlässliche Bande aufgebaut haben.

Anonyme Netzwerke versagen an der Stelle. Sie sind weder dazu geeignet, Vertrauen herzustellen, noch dazu, Menschen emotional zu packen und dauerhaft für eine Sache zu begeistern. Netzwerke animieren und faszinieren nicht. Digitale Netzwerke lassen sich außerdem anzapfen. Es sind gerade nicht die schwachen Beziehungen, die zu Geld, Ruhm und Macht führen, wie Mark Granovetter 1973 in seinem Aufsatz „The Strength of Weak Ties“ postulierte, sondern die „strong ties“, starke, lang bewährte zwischenmenschliche Kontakte.

Erfolgreiche Cliquenwirtschaftler pflegen enge Freundschaften und vernachlässigen flüchtige Bekanntschaften. Die Adressen flüchtiger Bekannter und Unbekannter horten sie in Adressdateien oder in Online-Netzwerken. Doch da liegen sie wie in Eisfächern und werden nur bei Bedarf aufgetaut. Netzwerkkontakte strahlen keine Nestwärme aus. Sie sind auch nicht zuverlässig. Deshalb gehen Cliquenwirtschaftler nicht alltäglich mit ihnen um. Oberflächlichen Bekanntschaften ziehen sie persönliche Vertrauensbeziehungen stets vor. Der Schlüssel zu Macht und Reichtum liegt in der Freundesclique.

Die katholische Kirche, die italienische Mafia und Konzerne wie die Bank Goldman Sachs Group oder das Technologieunternehmen Google Inc. haben sich über Cliquenwirtschaft zu Weltmachtzentren entwickelt. Sie lassen die positiven Aspekte der Gruppendynamik für sich arbeiten. Zugleich sperren sie Außenstehende aus, die somit über gewisse Machenschaften im Dunkeln bleiben. Wie es gelingen kann, via Cliquen und Cliquenwirtschaft mächtig und reich zu werden, kann man von so unterschiedlichen Organisationen wie der katholischen Kirche, der sizilianischen Mafia, Goldman Sachs und Google lernen. Die Cliquentechniken dieser machtbewussten Taktiker lassen sich nicht allein für politische und wirtschaftliche Zwecke nutzen, sondern auch für soziale, ökologische oder rein private Ziele. Wer Cliquenwirtschaft nicht ächtet, sondern sie für sich entdeckt und einsetzt, erhält die Chance, schädliche Geheimniskrämereien aufzudecken und diesen etwas entgegenzusetzen – am besten mithilfe eigener schlagkräftiger Cliquen…

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