#AfD

Die AfD und die Schuld

von , 5.9.16

Das ist ein verhältnismäßig menschenleeres Land. Dessen Regierung hat es in den vergangenen Jahren geschafft, die Zahl der Arbeitslosen deutlich zu verringern, die wirtschaftliche Leistungskraft zu stärken, gleichzeitig keine neuen Schulden aufzunehmen. Das ist kein Paradies; aber es geht voran.

Landesweit gibt´s Fernsehen, Internet, ansehnliche Tageszeitungen, Postdienste, die Bücher ins Haus liefern und vieles andere mehr. Der taz habe ich am Wochenende entnommen, dass die Landesregierung sogar das Niederdeutsch als regionale Sprache in der Schule besonders fördern will. Prima Idee. Das Interview mit dem dortigen Kultusminister Brodkorb ist insofern sehr lesenswert, weil der taz-Frager die Bedeutung der niederdeutschen Sprache angesichts des Kampfes gegen Finanzkapital und Raubtierkapitalismus lächerlich machte. Mensch kann also im Land, wenn er will, ziemlich genau wissen, was in der Welt, aber auch daheim und in der Nachbarschaft los ist.

Verwirrende politische Persönlichkeiten wie einen Söder oder eine Wagenknecht bietet die Landespolitik nicht. Das Dschungelcamp wird nicht dort gedreht, der nächste 007 kommt nicht aus Meck-Pomm. Die Zahl der Moscheen im Land ist höchst überschaubar, die Zahl der Kirchen größer, wenngleich oft nicht besonders gefüllt. Die letzte Burka-Trägerin wurde dort der Fama nach 2003 nachts um Null Uhr auf dem HBF Schwerin gesichtet, als gerade der Nachtzug nach Berlin einlief. Danach war sie weg. Kein Bundesliga-Abstieg hat schmerzende emotionale Schockwellen durchs Land geschickt. Die Erde bebte nicht, von einer Flut ist auch nichts bekannt.

Wie zum Teufel entsteht unter solchen Umständen Schuld? Was im Himmels Willen veranlasst zigtausende Menschen dort eine Partei zu wählen, die

  1. so tut, als stünden  muslimische Einwanderer-Heere zähnefletschend kurz vor der mecklenburgischen Seenplatte;
  2. von sich sagt, sie wolle gar nicht regieren, weil sie in einer Regierung nichts zu sagen hätte und es folglich sein lassen könne;
  3. die überall erzählt, die anderen seien schuld, weil alles den Bach runter gehe.

Normal ist: Wer solchen Blödsinn mit mehr als 1,5 Promille behauptet, kriegt eine Absolution; bei Werten darunter oder gar Nüchternheit ist das nicht möglich.

Also: Was ist los? Die Menschen seien verunsichert, sagen die Wahlforscher. Das sind andere auch, und nicht zu knapp. Die wählen aber keine Partei, die von sich behauptet: Ja, tun kann ich eigentlich nichts.

Menschen fühlten sich unwohl, sie müssten das mal loswerden. Das haben die getan. Und jetzt?

Sie fühlten sich im Land nicht mehr zu Hause. Bei einem Ausländeranteil von 2,1 Prozent der 1, 6 Millionen Mecklenburg-Vorpommern ist das eine äußerst gewagte Behauptung.

Sind es die Flüchtlinge? Die Landeszentrale für politische Bildung meldete (pdf): „Im vergangenen Jahr wurden 23.080 Menschen in Mecklenburg-Vorpommern registriert…… Das Land muss exakt 2,03 Prozent aller Flüchtlinge in Deutschland aufnehmen. Das sieht der ´Königsteiner Schlüssel´ vor, eine Quote, die sich nach Bevölkerungszahl und Steueraufkommen richtet. Zum Vergleich: In Berlin kamen 2015 insgesamt 79.034 Flüchtlinge an.“ Das soll der Grund dafür sein, dass Heimatgefühl und Vertrautheit weg sind! Das ist lachhaft.

Damit wir uns alle sicher sind wegen dessen, über was wir reden! Es ging um eine Landtagswahl, also darum, wer in den anstehenden Jahren für Wachstum, für günstige Arbeitsplatzbedingungen, bessere Verkehrsanbindungen, gute Schule und Ausbildung und ordentliche Landesfinanzen zu sorgen hat. Hat das etwas mit den Einstellungen zu tun, die die Wahlforscher gefunden haben? Nein. Hat es nicht.

Das bedeutet doch folgendes: Eine Partei hat die Landtagswahlen dazu genutzt, um mit einem Zerrbild Stimmen einzusammeln. Wählerinnen und Wähler der AfD sind ihrer Verantwortung für die Zukunft des Landes nicht nachgekommen, sondern haben sich entschieden, mal drauf zu kloppen. Es denen da oben mal richtig zu zeigen, mit dem Wahlhammer. Verantwortung gezeigt haben sie nicht. Das ist nicht ungesetzlich aber dennoch kritikwürdig. Und niemand soll jetzt so tun, als steckten in den AfD-Stimmen verborgen Platin-Splitter, weil diese Wählerinnen und Wähler ja nur unverstanden seien; nicht abgeholt worden seien; unverstanden, weil sich niemand um sie gekümmert habe.

Es gibt genügend Wählerinnen und Wähler, die das nicht getan haben. Wählen gehen bedeutet: Sich sachkundig machen. Sich so gut es geht, Realität anzueignen. Und Verantwortung zu übernehmen für das Stück Erde, auf dem man lebt. Mit Schuld hat all das nichts zu tun.

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.