von Tobias Endler, 23.4.15
„Kriegsgegner, Besatzungsmacht, Leitbild, großer Bruder: Im Verhältnis Deutschlands zu den USA spiegeln sich die vergangenen 75 Jahre,“ schreibt Michael Klonovsky in seinem Kommentar „Way of Life“ vor zwei Wochen im Focus. Diese Einschätzung ist nur natürlich; sie entspricht wiederum unserem „way of life“: Dem Bedürfnis, die eigene gestalterische Rolle als ebenso prägend wie die des Gegenübers einzustufen. Leider ist diese Einschätzung nicht nur sehr verbreitet, sondern auch falsch. Nicht die Realität der deutsch-amerikanischen Beziehungen spiegelt sich, sondern Deutschland sich selbst. Genauer: Unsere Vorstellung vom transatlantischen Verhältnis der vergangenen Jahrzehnte. Unsere Vorstellung davon, aus welchen Motivationen heraus beide Seiten jeweils agiert haben. Mit der Wirklichkeit allerdings hat das nicht viel zu tun.
Absolut richtig liegt der Autor hingegen, wenn er darauf setzt, dass sich die „deutsch-amerikanische Familiarität“ in Zukunft abkühlen wird. Doch machen wir uns nichts vor: Diese Familientherapie wird weh tun, und gerade, als wir uns endlich doch auf den Weg in die Praxis machen wollen, stehen in den USA ja schon die nächsten Wahlen an – und dieses Mal wird sicherlich alles anders werden, oder? Wieder falsch. Sollte die haushohe Favoritin bei den Demokraten, Hillary Clinton, das Rennen machen, haben wir es mit einer Präsidentin zu tun, die es auch während der Finanzkrise stets vermieden hat, die Wall Street allzu harsch zu kritisieren. Die zu ihrer Zeit als Außenministerin noch sehr viel energischer – sprich: militärischer – in Libyen eingegriffen hätte, wenn ihr Obama nicht in den Arm gefallen wäre. Die schließlich die treibende Kraft hinter der Truppenaufstockung in Afghanistan und der Verlängerung der Stationierung von US-Soldaten im Irak war. Später setzte sich Clinton vehement für die Bewaffnung syrischer Rebellen ein. Sie war es auch, die bereits 2011 verkündete, das 21. Jahrhundert werde „Amerikas pazifisches Jahrhundert“ sein: Unter dem Familienoberhaupt Clinton fänden China und Indien immer ein offenes Ohr, Deutschland könnte leicht die Rolle des Stiefkinds zufallen.
Zudem ist längst nicht ausgemacht, ob die Amerikaner die Demokratische Partei nach zwei Amtszeiten erneut an die Macht wählen. Die Geschichte jedenfalls spricht eher dafür, dass wir es erneut mit einem Republikaner (hier ist die männliche Form mit Bedacht gewählt) zu tun bekommen. Die US-Konservativen sind uns generell suspekt, und doch wussten wir bei George W. Bush wenigstens noch, woran wir sind: „Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns,“ hatte Bush in bester Cowboy-Manier den globalen Kampf gegen den Terror ausgerufen. Obama hingegen hat die Diskrepanz zwischen hochfliegender Rhetorik und knallharter Interessenpolitik auf die Spitze getrieben.
Barack Obama, Hillary Clinton, Jeb Bush, Scott Walker – wir sollten über all der Wahrsagerei nicht aus den Augen verlieren, dass kein US-Präsident an den Eckpfeilern der Außenpolitik rütteln wird. An erster Stelle steht die Erhaltung amerikanischer Hegemonie mindestens in der westlichen Hemisphäre: Stichwort militärische Überlegenheit. Amerika ist bereit, mit anderen zusammenzuarbeiten, um dieses Ziel zu erreichen, eine Verpflichtung besteht nicht. Bei Bedarf handelt die Supermacht alleine (Unilateralismus). Das geht umso besser, je geringer die Abhängigkeit von anderen ist, und Abhängigkeit misst sich in Barrel. Amerika hat unter Obama das Fracking mehr denn je vorangetrieben, und keiner der Anwärter auf das Oval Office weicht von dieser Linie ab. Schließlich besteht der Anspruch Amerikas fort, weltweit präemptiv aufzutreten, soll heißen: Im Konfliktfall dem Gegner zuvorzukommen und diesen auszuschalten, bevor er einem gefährlich werden kann: Stichwort Drohnenkrieg.
Wir Deutschen täten gut daran, uns zu emanzipieren: Von unserer eigenen Vorstellung der transatlantischen Familie. Nur so können wir langfristig auf Augenhöhe mit den Amerikanern agieren. Eigenständig, aber bezogen – der Traum eines jeden Therapeuten.
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