#Finanzmarktkrise

Der Wächterstaat als Wirtschaftsmagnat?

von , 15.1.09

25 Prozent plus eine Aktie an der Commerzbank gehören seit neuestem dem Bund. Bei der Hypo Real Estate (HRE) wird sogar ein Mehrheitseinstieg erwogen – Marktwirtschaft sieht anders aus. Die schwer gebeutelte Deutsche Bank holt sich – über die Post als neuen Großaktionär – indirekt den Staat ins Haus; denn ein Drittel der Post gehört der staatseigenen KfW. Und um ein Haar wären über den 100 Mrd EUR schweren „Deutschlandfonds“ auch Beteiligungen der öffentlichen Hand an privaten Unternehmen ermöglicht worden.

Für Angela Merkel und ihre Mitstreiter in der Großen Koalition gibt es zu einer massiven Ausdehnung der Staatstätigkeit bis auf weiteres keine Alternative. Anders, so das Raisonnement bei Schwarz/Rot, sind die teils drohenden, teils schon eingetretenen Folgen der globalen Wirtschaftskrise nicht in den Griff zu bekommen. Kriegen wir die Krise aber nicht in den Griff, dann drohen ganz andere, gefährliche Verwerfungen: Massenarbeitslosigkeit, Demokratieverdrossenheit, Schmelze des bürgerlichen Grundkonsenses, auf dem unser Gesellschaftssystem basiert. „1929“ ist eine vielzitierte Chiffre in diesen Tagen. Den Kraftakt der Großen Koalition als „Jahrmarktspolitik“ (Nicolaus Fest, BILD-Zeitung v. 14.1.) zu bezeichnen, schiesst insoweit übers Ziel hinaus.

Gleichwohl mutet es schon merkwürdig, ja fast unheimlich an, auf wie wenig Widerstand das Ausgreifen des Staates noch stößt. Zwar findet sich vereinzelt noch ein tapferes Schreiberlein, das die (arg gerupfte) Fahne der Ordnungspolitik à la Erhard, Müller-Armack und v. Hayek hochhält. Aber viel vermögen die letzten Markt-Mohikaner vom Schlage eines Hans D. Barbier nicht mehr auszurichten, wenn nicht nur die Fünf Weisen nach mehr Keynes, sondern auch die Wirtschaftsbeteiligten selber nach absatzstimulierenden Abwrackprämien oder der Auslagerung von Problemkrediten in eine „Bad Bank“ rufen. Der „Neo-Etatismus“ (Udo di Fabio) hat Hochkonjunktur.

Es darf vor diesem Hintergrund nicht verboten sein, einmal in Erinnerung zu rufen, warum umherziehende Jäger und Sammler einst den Naturzustand verlassen und sich zu staatsähnlichen Gemeinschaften zusammengeschlossen haben: Nach Thomas Hobbes bestand die Idee darin, den „Krieg aller gegen alle“ zu beenden, also innere und äußere Sicherheit zu gewähren. John Locke als geistiger Anwalt des englischen Besitzbürgertums stellte auf die Notwendigkeit ab, legitim erworbenes Eigentum durch ein allseits anerkanntes Regelsystem zu schützen. Der Staat soll mithin Wächter sein – „Hüter der Ordnung“, wie die Kanzlerin völlig zu Recht konstatiert. Dass er jedoch zum Wirtschaftsakteur mutiert, der Aktien an vormals privaten Unternehmen erwirbt – davon war zumindest bei den Staatsdenkern der frühen Neuzeit nicht die Rede.

Zugegeben, wir leben im 21. Jahrhundert: Unsere Welt ist komplexer geworden, die Gefahren sind größer. Mit einem Nachtwächterstaat kommen wir nicht über die Runden. Aber den will ja ernsthaft auch keiner. Um so mehr gilt, was der Schweizer Privatbankier Hans Vontobel in seiner Aufsatzsammlung „Der Mensch als das Mass“ vor einigen Jahren notiert hat: „Wir haben zu unserer Selbstverantwortung zurückzufinden“. Selbstverantwortung bedeutet, dass trotz, ja gerade wegen der Krise wieder mehr Menschen, aber auch mehr (subventionsgeschwängerte) Unternehmen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Es bedeutet ein deutlich höheres Maß an bürgerlichem Engagement. Und es bedeutet, dass der Staat, anstatt flächendeckend das Ruder zu übernehmen, auch wieder Freiräume schafft: für mehr Wettbewerb, Initiative und Kreativität. Nur sie sind die Quellen nachhaltigen Wohlstands. Konjunkturprogramme, Rettungsfonds und Aktienübernahmen wären dann zu rechtfertigen, wenn die offene Gesellschaft ohne sie zu erodieren drohte. Aber die Zwillingsschwester der Ordnung ist die Freiheit, auch die wirtschaftliche: Wird sie unterminiert, dann war alles umsonst – und wird alles sehr teuer.

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