#Demokraten

Das wunderbar Schreckliche

von , 10.9.15

Die gute Nachricht zuerst: Donald Trump wird nicht der nächste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika sein. In seiner liberalen Heimatstadt New York wird der für seine rassistischen Ausfälle berüchtigte Multimilliardär gar ausgebuht, als er zum Viertelfinalspiel der Williams-Schwestern bei den US Open erscheint. Die schlechte Nachricht: Landesweit sieht es anders aus. Trump führt seit Wochen das Feld der republikanischen Kandidaten an, die Konkurrenz wirkt hilflos.

Doch wenn nächstes Jahr im November 130 Millionen Amerikaner ihre Stimme abgeben, wird derjenige gewinnen, der dann eine Mehrheit hinter sich versammelt. Davon ist Trump weit entfernt. Sein Scheitern sollte selbstverständlich sein. Nicht selbstverständlich ist freilich, dass dies überhaupt erwähnt werden muss.

Noch im Frühling schien es undenkbar, dass ein erratischer Veranstalter von Schönheitswettbewerben ins Weiße Haus einziehen könnte. Wer wollte sich die Geschicke der letzten Supermacht in den Händen eines cholerischen Reality-TV Stars vorstellen? Das politische US-Amerika jedenfalls fühlt sich von Trump drangsaliert wie Schüler vom ekelhaften Bully auf dem Schulhof; die heimliche Hoffnung der Republikaner bestand darin, er werde sich alsbald selbst demontieren. Doch wäre morgen Wahltag, so das Ergebnis einer Umfrage von SurveyUSA, würde Trump Hillary Clinton schlagen. Aufs ganze Land gerechnet ist er seinen republikanischen Konkurrenten knapp 30% voraus, wie CNN am 4. September meldet. Trump schart längst nicht nur Tea-Party Anhänger um sich, sondern auch eine wachsende Anzahl derjenigen, die sich als Moderate bezeichnen, und sogar Evangelikale – und dass, obwohl er Mühe hat, auch nur einen Vers aus der Bibel zu zitieren, eigentlich ein politisches Todesurteil in den Staaten.

Von außen betrachtet wirkt Trumps raketenhafter Aufstieg zum Hoffnungsträger der konservativen Basis ebenso skurril wie Trump selbst, vor allem aber – auf den ersten Blick – überraschend. Noch im Frühling war Trump ein steinreicher Unternehmer, dessen Anspruch darin bestand, sich möglichst viele bauliche Denkmäler zu setzen, die alle seinen Namen tragen. Er ist auch nicht der erste Geschäftsmann, der sich die Schlüssel zum Oval Office kaufen will. Anfang der 90er versuchte es der IT-Mogul Ross Perot, zuletzt der Pizza-Unternehmer Hermann Cain. Beide scheiterten ebenso grandios wie sie ihre Kampagne bestritten hatten.

Trump hat deutlich bessere Chancen. Er ist gefährlich, nicht nur, weil er glaubhaft versichern kann, finanziell unabhängig zu sein: Die USA sind nach wie vor das Land der freiheitsliebenden Individualisten, wo Politiker schon deswegen einen miserablen Ruf haben, weil ohne großzügige Spenden privater Gönner im Hintergrund nicht einmal das Amt des Sheriffs zu gewinnen ist. Krösus Trump kann überall verkünden, ausschließlich mit seinen eigenen Dollars zu hantieren. Dieser Faktor ist wichtiger denn je, seit 2010 die Super-PAC Regelung eingeführt wurde: Lobbygruppen dürfen nun unbegrenzt Spenden annehmen, solange sie diese nicht direkt an Kandidaten weiterleiten – was in der Praxis nicht zu kontrollieren ist.

Trump hat für seinen großen Auftritt das Jahr gewählt, in dem das republikanische Anwärterfeld mehr Teilnehmer aufweist als eine Football-Mannschaft – 17 Aspiranten streiten sich um die Nominierungskrone. Deswegen könnte dieses Mal schon eine minimale Mehrheit reichen, als Sieger vom Platz zu gehen – dieses Szenario kommt Trump entgegen. Instinktiv hat er sich in diesem Feld der Unübersichtlichkeit die Rolle der Rampensau gesichert, die kein Blatt vor den Mund und keine Rücksicht auf nichts und niemanden nimmt. Political Correctness? Fehlanzeige. Trump entblödet sich nicht, noch immer Obamas Geburtsurkunde anzuzweifeln.

„The Donald“ ist ein Clown, natürlich. Allerdings nicht irgendein harmloser Spaßmacher, der Kinder zum Lachen bringt. Trump erinnert an Pennywise, den teuflischen Clown aus Stephen Kings Horrorschocker Es. Pennywise ist geradezu grotesk clownesk, die rote Nase, die aufgerissenen Augen, die seltsame Frisur und die Ballons, es ist alles vorhanden. Und im nächsten Augenblick verwandelt sich der tollpatschige Narr, nimmt die Gestalt der größten Angst seines Gegenübers an. Trump agiert genauso: Er warnt davor, dass das Land der unbegrenzten Möglichkeiten der Welle illegaler Einwanderer nicht mehr Herr werde (Trump spricht von 34 Millionen, offiziellen Schätzungen zufolge sind gut 11 Millionen nicht Registrierte im Land). Er warnt vor Mexiko, von wo Drogen, Verbrechen und Vergewaltiger ins Land gespült würden. Die Infrastruktur ist kaputt, die Steuer zu hoch, der Arbeitsmarkt eine Katastrophe (Trump behauptet, beinahe 20% der Amerikaner seien ohne Job). Die Welt ist eine einzige Bedrohung, gegen die es sich zu rüsten gilt.

Dass ein solcher Angstmacher auf der politischen Bühne den Ton angibt – und dies möglicherweise noch bis in den nächsten Frühling hinein – sagt mehr über die USA aus als über Trump. Der schreit derweil weiterhin in jedes Mikrofon in Reichweite, was sich die anderen Kandidaten der Grand Old Party nicht zu sagen trauen – wobei sie wissen, dass ein Teil ihrer Wählerschaft so denkt, ein anderer Teil hiervon jedoch vergrault würde. Das ist auch der Grund, warum sich die Konkurrenz so ziert, eine rote Linie zu ziehen. Das Kalkül ist so schlicht wie zynisch: Die von Trump entworfenen Horrorszenarien unwidersprochen zu lassen, bedeutet, sie mitzuvertreten, ohne darauf festgenagelt zu werden. So erklärt sich Rand Pauls Schizophrenie. Für den Libertären ist Trump ein „Desaster“, das er dennoch unterstützen würde, sollte sich letzterer wider Erwarten am Ende durchsetzen. Vielleicht springt ja für Paul ein Platz auf dem Ticket heraus. Auch könnte Trump – ein Schreckensszenario für die Konservativen – irgendwann als unabhängiger Kandidat wieder auftauchen, lange nachdem sein Stern bei der Partei Reagans verblasst ist. Zuzutrauen wäre es dem exzellent vernetzten Egomanen ohne weiteres, obwohl er vor wenigen Tagen ein Treuegelübde unterzeichnet hat. In Trumps Augen freilich zählt das nicht viel. Stichwort zählen: Wenn am Ende abgerechnet wird, wer ins Weiße Haus einzieht, zählt jede Stimme – und Trumps Egotrip könnte die Republikaner die Präsidentschaft kosten.

Trump gibt derweil weiterhin den Wendehals mit Schockfrisur. Bei seinem ersten Anlauf um die Nominierung im Jahr 2000 zielte er auf die Unterstützung der Reform Party ab, später nannte er sich Demokrat, heute ist er Republikaner. Er ist mal für, mal gegen Abtreibung, mal für, mal gegen das Recht, Waffen zu tragen (festgehalten im Zweiten Zusatzartikel zur Verfassung, und vielen Amerikanern bis heute heilig). Von Obamas Krankenversicherungsgesetz hält er gar nichts, verspricht aber lediglich, es durch „something terrific“ zu ersetzen. Terrific kann im Englischen „wunderbar“ heißen, aber auch „schrecklich“.

Einzig beim Thema Einwanderung weiß jeder, wo Trump steht: Er will eine Mauer an der Grenze zu Mexiko bauen, die er – ganz Geschäftsmann – von den Mexikanern bezahlen lassen will. Alle 11 Millionen Illegalen im Land sollen abgeschoben werden – und alle heißt: auch deren in den USA geborene Kinder, also amerikanische Staatsbürger. Das ist eindeutig gesetzeswidrig, wie die Aktion als Ganzes nicht nur absurd, sondern auch sündhaft teuer (und von den Steuerzahlern zu tragen) wäre. Doch das spielt alles keine Rolle, Trump zapft die Ängste der Durchschnittsamerikaner an. Mit deren Lebensrealität hat der New Yorker Immobilienmogul so viel zu tun wie Paris Hilton mit derjenigen der Liftboys der Hotelkette, die ihren Namen trägt.

Trump ist ein begnadeter Populist, und er kennt keine Hemmungen. Deswegen wird er von vielen Amerikanern nicht als der Rassist angesehen, der er ist, sondern als authentischer Anführer, und vor allem: nicht als Politiker. Ein doppelter Trugschluss. Denn Trumps Authentizität beschränkt sich darauf, alles andere außer der eigenen Meinung (inklusive der Realität) zu ignorieren, und diese Meinung auch noch wöchentlich zu ändern. Und natürlich hat er politische Ambitionen, es geht schließlich um das mächtigste Amt der Welt.

Viele Deutsche schauen wieder einmal fassungslos über den Atlantik. Was ist in die Amis gefahren? Dabei sollten wir uns fragen: Wären wir gegen jemanden wie Trump gefeit? Tatsächlich sind wir nicht so verschieden von den Amerikanern, wie wir (gerne) denken (wollen). Wenn diese umgekehrt auf Deutschland schauen, sehen sie die Alternative für Deutschland in den Landesparlamenten von Brandenburg, Sachsen und Thüringen sitzen, seit 2015 auch in den Stadtparlamenten von Bremen und Hamburg. Deren stellvertretender Vorsitzender Alexander Gauland schmückt sich mit dem „Nimbus des Tabubrechers“ und schürt „fleißig diffuse Ängste in der Bevölkerung, ein bekanntes Erfolgsrezept neuer Parteien,“ wie der Deutschlandfunk im April berichtet. Auf die Frage, ob es ihn störe, wenn Ausländerfeinde ihm zustimmten, sagt Gauland im FAZ-Interview im Juni, das dürfe einen nicht stören. Typisch für Deutschland: Mit Bernd Lucke erklärt uns ein Professor die Welt. Typisch USA: Trump ist alles außer ein Professor. Jenseits davon sind die Unterschiede überschaubar.

 


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