#Netz

Das Netz ist die Nachricht

Wir gebrauchen Technologien nicht einfach, wie wir wollen. Sie schreiben mit an unseren Gedanken. Sie konstruieren Gesellschaft, und nicht umgekehrt. Das heißt aber auch, dass wir nicht einfach die Gesellschaft betrachten können, um zu begreifen was ein Medium macht.

von , 30.3.19

»The Medium is the Message« behauptete der kanadische Kommunikationswissenschaftler Marshall McLuhan im Jahr 1964. Das sorgte damals für einige Aufregung. Denn das bedeutet, dass wir Technologien nicht einfach gebrauchen, wie wir wollen. Sie schreiben mit an unseren Gedanken. Sie konstruieren Gesellschaft, und nicht umgekehrt. Das heißt aber auch, dass wir nicht einfach die Gesellschaft betrachten können, um zu begreifen was ein Medium macht. Besonders Soziologen und empirische Sozialforscher hatten für diese These überhaupt nichts übrig. Sagt sie doch nicht weniger, als dass uns empirische Daten über die Gesellschaft und ihren Mediengebrauch meistens in die Irre führen. Daher hält sich besonders unter Soziologen bis heute hartnäckig die Ansicht, McLuhan hätte einfach Unsinn behauptet und seine These hätte nie gegolten oder würde ab sofort nicht mehr gelten.

Das letzte Mal, dass ich das gehört habe, war bei einem Vortrag des Münchner Kommunikationswissenschaftlers Christoph Neuberger in Berlin. »Marshall McLuhan – sie kennen alle dieses berühmte Diktum: das Medium ist die Botschaft – gilt nicht mehr.« (min. 32:45). Statt dessen behauptet er mit dem Soziologen Manuel Castells, dass von nun an die Eigenschaften der Botschaft die Eigenschaften des Mediums formen. Von nun an wäre die Welt der Sozialforscher wieder heil. Wir müssten nur den LeutenDaten auf Maul schauen, um zu sehen, was die Lage ist. Vorbei die düstere Zeit, als Medienwissenschaftler wie Friedrich Kittler behaupten konnten: »Medien bestimmen unsere Lage«.

Es gibt aber doch ein paar Indizien, dass Neuberger nicht Recht hat, was sein Urteil über das Netz und die Nachrichten angeht. Dass also auch im Netz und nach wie vor gilt: das Medium ist die Botschaft. Schauen wir uns einige Beispiele an.

Jede und jeder kennt das Unternehmen Google. Nicht alle wissen, warum es groß wurde. Darauf gibt es eine kurze Antwort. Weil sie begriffen haben, dass das Netz die Nachricht ist. Und nicht andersherum. Der Suchalgorithmus, den Sergei Brin und Larry Page 1996 programmierten, ging nämlich im Gegensatz zu den meisten anderen Ansätzen seiner Zeit davon aus, dass sich das beste Resultat für eine Suchanfrage finden lässt, indem man Links verfolgt. Und nicht, indem Menschen versuchen, die Güte und Bedeutung einer Nachricht einzuschätzen. Was aus dieser praktischen Umsetzung von McLuhans These im Netz wurde, wissen wir.

Es gibt sogar in Deutschland einige Leute, die aus McLuhan praktischen Nutzen ziehen, leider, und zwar wahrscheinlich, ohne ihn zu kennen. Wir kennen alle die leidige Praxis der Vorratsdatenspeicherung, zu der unsere Staaten in wohlmeinender Fürsorge unsere Kommunikationsdienstleister nötigen. Wer einen genaueren Blick auf die Daten wirft, die dort gespeichert sind, sieht, dass die Wahl zwischen Nachricht oder Netzwerk hier sehr eindeutig ausfällt. Nachrichten werden nicht gespeichert, denn sie tragen zum Fahndungserfolg so gut wie nichts bei. Polizei und Dienste benötigen erst einmal nichts weiter außer den sogenannten Verbindungsdaten. Auch hier gilt, »the medium is the message«. Oder wie ein weniger zimperlicher Vertreter der amerikanischen Überwachungspraxis formuliert: »We kill people based on metadata.«

McLuhans Satz betrifft nicht nur übergeordnete Strukturen, sondern auch die Form und die Inhalte, die sie hervorbringen. Dafür lassen sich eine ganze Menge Beispiele finden. Ich will hier nur zwei herausgreifen, weil sie in letzter Zeit viel diskutiert wurden: Verschwörungstheorien und Fake-News.

Es ist wohl wahr, dass das Gerede von Verschwörungstheorien eine recht alte Sache ist. Die große Konjunktur, die sie in letzter Zeit haben, hängt aber nicht nur mit Geheimdiensten zusammen, wie einige ihre Anhänger gern behaupten, sondern auch mit ihrer narrativen Form. Sie bildet das Netzwerk eins zu eins ab. Konspiratorische Erzählungen setzen sich aus vielen kleinen Elementen zusammen, die sich verstreut in den Tiefen des Internets finden. Zwischen den Motiven und Elementen bilden sich narrative Verknüpfungen heraus, und alle sind dazu aufgefordert, dabei mitzumachen. Verschwörungstheorien sind, um es genau zu sagen, die ideale narrative Form in Netzwerken. Mit dem Inhalt, also auch mit dem Wahrheitsgehalt, hat die Erzählform nichts zu tun. Sie verhält sich zur Realität kontingent, wie man sagt. Es ist weder notwendig, noch unmöglich, dass etwas davon wahr ist.

Genau das gleiche gilt übrigens für die Fake-News. Dort zeigt sich noch deutlicher, wie sich nicht Nachrichten ihre Netze aussuchen, sondern umgekehrt das Netz die Nachrichten macht. Der Zweck der meisten Fake-News liegt schlicht und einfach darin, viral zu gehen, wie man früher sagte. Also möglichst oft weitergeleitet, geteilt und geliked zu werden. Dass sich da hysterisch aufgeladene Brocken am besten eignen, hat nichts mit der politischem Unwillen zu tun, aber viel mit den Eigengesetzlichkeiten der Netzwerke. Dass es daneben auch noch politisch gewollte Fake-News und Verschwörungstheorien gibt, würde McLuhan vermutlich als eine Anpassungserscheinung erklären.

Dass manche Soziologen die Verhältnisse im Netz als verwirrend, seltsam beschleunigt oder zu komplex wahrnehmen, wundert nicht. Wenn man die Lages von einer derart gestrigen Empirie her betrachtet, erscheint es tatsächlich als eine Höllenmaschine. Natürlich hat das auch politische Folgen. Man wird den Eindruck nicht los, dass sich einige der letzten netzpolitischen Gesetzesinitativen darauf zurückführen lassen. Wer glaubt, dass das Netz ein bloßes Werkzeug ist, sieht nur die falschen Nachrichten.

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