#Marktwirtschaft

Brauchen wir mehr Staatsunternehmen?

von , 10.11.08

Von der Krise der Marktwirtschaft ist vielerorts zu lesen – die Finanzkrise hat auch die Idee der freien Marktwirtschaft in Verruf gebracht, schreibt z.B. die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Bert Rürup, Vorsitzender des Sachverständigenrats, verteidigt in der Ausgabe jedoch die „Idee des kontinentaleuropäischen Neoliberalismus, der Sozialen Marktwirtschaft“. Diese Idee bestehe nicht darin, den Kapitalismus abzuschaffen, sondern ihn politisch zu gestalten. Ich teile diese Haltung und möchte sie am Beispiel erläutern, welche Rolle staatliche Unternehmen spielen sollten. Mit dieser Frage war ich in dieser Woche im Rahmen einer Podiumsdiskussion befasst, aber dazu unten mehr. Zunächst will ich noch ein paar allgemeine Gedanken loswerden.

Im Übrigen scheint mir die Krise der Sozialen Marktwirtschaft nicht erst durch die Finanz­krise ausgelöst worden zu sein. Mein Eindruck ist, dass es schon länger mindestens einen Schwelbrand gibt, der jetzt nur durch die Finanzkrise richtig ausgebrochen ist. So ist ja auch der wachsende Erfolg der Linken kein urplötzliches Phänomen – vielmehr scheint die Zustimmung zu stärkerem staatlichen Engagement in allen Lebensbereichen schon seit längerer Zeit stetig wachsend.

Private Freiheitsrechte – das Recht, sich selbst für oder gegen etwas zu entscheiden – sind nicht nur in wirtschaftlichen Bereichen gefährdet, auch in anderen Bereichen unseres Lebens werden Freiheitsrechte zurückgedrängt, z. B. mit dem Argument der Terrorismusbekämpfung oder der inneren Sicherheit. Und das Zurückdrängen persönlicher Freiheitsrechte bedeutet auch ein Aushöhlen des Subsidiaritätsprinzips, auf dem unsere Gesellschaftsordnung (auch) beruht, zumindest theoretisch und prinzipiell, wenn auch nicht immer faktisch. Danach sollten zentrale Institutionen dezentrale nur dann ersetzen, wenn dezentrale Institutionen eine bestimmte Aufgabe nicht zufrieden stellend lösen können. Lokale (bürgernahe) Lösungen vor globalen also, solange letztere nicht wirklich erforderlich sind (wie sicherlich beim Klimaschutz und bei der Regulierung internationaler Finanzmärkte).

Das Subsidiaritätsprinzip impliziert auch, dass privates Handeln und Selbstverantwortung erst einmal staatlichem Eingreifen vorzuziehen sind. Erst wenn der Markt bestimmte Dinge nicht leisten kann, sollte der Staat einspringen. Steuergelder (also Zwangsabgaben) sollten nicht dazu verwendet werden, das zu bezahlen, was der Markt ohnehin erbringen kann.

Ich bin mir nicht sicher, wie verbreitet diese prinzipielle Überzeugung momentan noch ist. Würde man heute fragen, ob Selbstbestimmung nicht Fremdbestimmung vorzuziehen sei, fände diese Aussage vermutlich breite Zustimmung. Fragt man jedoch, ob privates Handeln prinzipiell erst einmal staatlichem vorzuziehen sei, so scheint mir die Zustimmung zu dieser Aussage zu schwinden. Ganz deutlich wurde mir das in dieser Woche, als ich an einer Podiumsdiskussion beim Deutschen Stadtwerkeforum teilnehmen durfte. Deutlicher Tenor vieler Teilnehmer dort war, dass staatlichen Unternehmen zu enge Grenzen in der Expansion gesetzt seien und Kommunen sich nicht nur auf das beschränken sollten, was der Markt nicht leisten kann, sondern auch mit privaten Anbietern auf Wettbewerbsmärkten konkurrieren sollten. Wenn sich irgendwo am Markt Geld verdienen ließe, dann sollte es den Kommunen freistehen, sich dort zu engagieren, um den öffentlichen Haushalt aufzubessern. Es dürfe kein Primat privaten Handelns über staatliches Engagement geben – dies sei purer Neoliberalismus.

Als eben dies wurde dort von Kommunalpolitikern von SPD und CDU auch meine These bezeichnet, dass staatliche Unternehmen private nicht vom Markt verdrängen sollten und Gewinnerzielung auf Märkten keine staatliche Aufgabe sei.

Gerade weil dies kein „Common Sense“ zu sein scheint, möchte ich darauf eingehen, warum viele Ökonomen und auch ich so skeptisch gegenüber staatlichen Unternehmen sind. Der Grund liegt vor allem darin, dass (a) die Bürger als “Zwangseigner” staatlicher Unternehmen im Grunde nicht entscheiden können, ob sie sich an den Risiken staatlicher Unternehmen beteiligen wollen oder nicht, und (b) staatliche Unternehmen zugleich zur Ineffizienz neigen, was das Unternehmensrisiko noch erhöht. Ineffizienz heißt auf Deutsch: Verschwendung von Ressourcen.

Warum aber sind staatliche Unternehmen meist ineffizient? Weil es für die ultimativen Eigentümer (also die Bürger) keine starken Anreize gibt, die Unternehmensführung aufmerksam zu kontrollieren. Der Einzelne hat kaum die Anreize und Möglichkeiten, detailliert das Geschäftsgebahren öffentlicher Unternehmen zu studieren und von diesen mehr Effizienz einzufordern. Dasselbe gilt prinzipiell, wenn auch abgeschwächt, auch für Politiker, an welche die Aufgabe der Kontrolle staatlicher Unternehmen quasi delegiert wird. Denn für Politiker geht es nicht um das eigene Geld. Manchmal fehlt auch die Kompetenz. Dasselbe Problem mangelhafter Aufsicht gibt es zwar auch bei manchen privaten Unternehmen, aber es gibt einen entscheidenden Unterschied: Wenn in einem privaten Unternehmen die Kosten aus dem Ruder laufen und es bankrott geht, dann verlieren die Eigentümer ihr Kapital. Im Prinzip jedenfalls. Jeder kann sich aber frei entscheiden, ob er sich an einem privaten Unternehmen beteiligen möchte oder nicht. Und weil die Eigentümer ihr eigenes Kapital verlieren, haben sie auch Anreize, die Unternehmensführung entsprechend kritisch zu beäugen.

Im Gegensatz dazu kann ich mich nicht entscheiden, ob ich mich an einem staatlichen Unternehmen beteilige oder nicht. Mitgehangen, mitgefangen. Geht das Unternehmen bankrott, zahlen die Steuerzahler die Zeche, oder aber der Leistungskatalog für die Bürger wird an anderer Stelle eingeschränkt. Und weil es im Grunde nicht das eigene Geld ist bzw. die Auswirkungen persönlich kaum spürbar sind, hat auch niemand besonders starke Anreize, die Unternehmensführung intensiv zu kontrollieren. Bürger und Steuerzahler tragen das unternehmerische Risiko und können sich dem nicht entziehen.

Aus dem Grund sollte es im Übrigen auch keine Überlebensgarantie für private Unternehmen geben. Wenn man private Unternehmen systematisch mit staatlichen Geldern vor dem Bankrott rettet, dann kann man sie auch gleich durch Staatsunternehmen ersetzen.

Die mangelnden Kontrollanreize führen bei staatlichen Unternehmen oft zu einem verschwenderischen Umgang mit Ressourcen und einem Ausufern der Kosten. Dies wird dann zum Teil durch Privilegien wettgemacht, z.B. steuerlicher Art, welche dann den Wettbewerb verzerren. Natürlich ist es nicht in jedem Einzelfall so, dass staatliche Unternehmen Kostendisziplin vermissen lassen, aber tendenziell führt die mangelhafte Aufsicht zu ineffizientem Wirtschaften wie die Erfahrung zeigt.

Solange auf den betroffenen Märkten Wettbewerb herrscht, ist alles halb so schlimm, mag man denken, denn dann übt der Wettbewerb ja eine gewisse Disziplin auf das Unternehmen aus. Funktionierender Wettbewerb macht es den Unternehmen schwer, überhöhte Kosten auf die Verbraucher abzuwälzen. Man kann dann ja auch woanders einkaufen.

Das klappt aber nicht, wenn das staatliche Unternehmen auch noch ein Monopol hat oder der Wettbewerb mangelhaft ist. Dann gibt es kaum noch einen Schutz vor überhöhten Preisen aufgrund ausufernder Kosten. Das staatliche Unternehmen macht dann womöglich auch noch satte Gewinne, alles auf Kosten der Verbraucher. Das Wehklagen der Stadtwerke über die ach so strenge Anreizregulierung im Strom- und Gasbereich durch die Bundesnetzagentur kann mich daher auch nicht überzeugen. Eine strenge, politisch unabhängige Preisaufsicht über Monopole, seien sie in privater oder öffentlicher Hand, ist daher unbedingt erforderlich, um den Verbraucher vor Ausbeutung zu schützen.

Auf Wettbewerbsmärkten jedoch haben staatliche Unternehmen eigentlich überhaupt nichts zu suchen. Hier wird den Bürgern ein Risiko aufgebürdet, dem sie sich nicht entziehen können. Auch wenn die Versuchung der Kommunen groß sein mag, sich unternehmerisch zu betätigen, sollten sie die Finger davon lassen und privaten Anbietern den Vortritt lassen. Steuern und andere Zwangsabgaben sollten für die Dinge eingesetzt werden, die der Markt gerade nicht erbringen kann. Anderenfalls fehlt die Legitimation, den Bürgern durch Zwang Mittel zu entziehen (also Steuern zu erheben), um mit diesen Steuergeldern dann Unter­nehmen zu betreiben, die privaten Anbietern Konkurrenz machen.

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