#Bildungsstreik

Bildungsstreik 2009: “Finde ich richtig, streike aber nicht.”

von , 17.11.09

Das lose Aktionsbündnis „Bildungsstreik 2009“ versucht derzeit, wie bereits im Juni, deutschlandweit Studenten auf die Straße zu bekommen, um gegen Mängel im Bildungssystem zu demonstrieren. „Wir machen weiter“ so das Motto. „Trotz großer Aufmerksamkeit und kleinen Zugeständnissen hat sich nichts geändert – unsere zentralen Forderungen wurden nicht erfüllt“, heißt es im aktuellen Aufruf.

Eine richtige Feststellung. Nur kurz wurde der Studentenprotest von den Mainstream-Medien erwähnt, dann geriet er in Vergessenheit. Bundestag und einige Landtage debattierten darüber, dann legte man das Thema zu den Akten. Opel, Schweinegrippe und vor allem die Bundestagswahl verdrängten die Forderungen. Doch um welch Forderungen geht es eigentlich?

Im Kern lassen sie sich in drei Punkten zusammenfassen:

  1. Die Abschaffung von Bildungsgebühren (Kindergarten bis Universität)
  2. Weniger Einfluss der Wirtschaft auf die Lehre
  3. Selbstbestimmtes Lernen, das über reines Auswendiglernen hinausgeht.

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Umfrageergebnisse StudiVZ: "Finde ich richtig, streike aber nicht"

Umfrageergebnisse StudiVZ: "Finde ich richtig, streike aber nicht." (Klicken für Großansicht)

Einer Umfrage im StudiVZ nach (nicht repräsentativ, Stand 16.11.) unterstützt der größte Teil der Studierenden die Forderungen, macht jedoch selbst nicht beim Streik mit. Ein Umstand, der von politischen Kräften sowie den Leitmedien wohl bereitwillig aufgegriffen werden wird. „Seht hier, das fordern doch nur wenige, der Rest ist einverstanden!“

Die Wahrheit sieht anders aus. Dass sich verhältnismäßig wenig Studierende am Protest beteiligen, ist selbst eine Folge der vergangenen Reformen. Beispiel Studiengebühren: Diejenigen, die durch Gebühren vom Studium abgehalten wurden, sind nun natürlich keine Studenten – und somit kein Teil von Studentenprotesten. Sie sind darauf angewiesen, dass andere für sie demonstrieren.

Ein weiteres Hindernis ist der Leistungsdruck: Viele Prüfungen und verstärktes Aussieben führen dazu, dass bei den Studierenden das Gefühl weit verbreitet ist, keine Zeit für Protest zu haben. Es überwiegt die Angst, persönliche Nachteile zu erlangen, aufgrund von Fehlzeiten oder sogar dem politischem Engagement selbst, welches zwar von vielen Dozenten unterstützt wird, aber eben nicht von allen. So kommt es, dass viele Studenten zwar die Forderungen gutheißen, sich jedoch an scharfen Protestformen nicht beteiligen, sie teilweise nicht einmal gutheißen.

Sollen Mängel im Bildungssystem jedoch auf die politische Tagesordnung, müssen sich viele Studenten und Unterstützer zusammen finden. Der Zeitpunkt wäre günstig. In vielen Staaten gibt es derzeit ähnliche Aktionen. In Deutschland kommt hinzu, dass der neuen Regierung viel daran liegen wird, sich in der Gesellschaft zu etablieren. Nicht zuletzt steht am 10. Dezember eine Kultusministerkonferenz an. In diesen Zeitraum brauchen die politischen Studenten zumindest einen Teilerfolg.

Andernfalls werden die aktuellen Proteste, wie schon im Sommer, einfach ausgesessen. Danach wird es schwer sein, noch einmal genügend Studenten zu mobilisieren. Die Änderungen am Bildungssystem hätten dann – beabsichtigt oder nicht – neben einer schwierigen Bildungssituation noch einen anderen Effekt: Sie hätten die Studenten Deutschlands als kritisch-politische Stimme auf lange Zeit ruhig gestellt. Wenn nicht einmal für eigene Interessen genug Leute zu mobilisieren sind, wird es erst recht keine großen Demonstrationen von oder mit Studenten bei anderen gesellschaftlichen Themen geben.

Traditionell sind Studenten, gerade in Deutschland, eine Stimme, die sich kritisch mit der Gesellschaft auseinandersetzt. Dies könnte verloren gehen: Credit Points statt gesellschaftlichem Diskurs. „Wenn ich groß bin, werde ich auch mal Humankapital!“, titelten einige der demonstrierenden Studenten in Österreich. Scheitern die Proteste, werden die Studenten in Deutschland dafür gar nicht mehr erst groß werden müssen…

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