von Holm Friebe, 29.10.16
Was sind das für Zeiten? An einer ehedem linken Feste, der Berliner Volksbühne, wird die Wagenburg geschlossen gegen jegliche Erneuerung, Reaktivisten tragen Transparente herum auf denen steht „VOLKSBÜHNE STRUKTUREN ERHALTEN!“ Konservativer Progressivismus. Gleichzeitig läuft auf Netflix die Serie „Chef’s Table“, in der in hochavanciertem Kamerastil Avantgarde-Starköche weltweit abgefeiert werden, die sich vom modernistischen Regime der französisch-zentralistischen Nouvelle Cuisine verabschiedet haben, auch die Ökologie längst als Hygienefaktor hinter sich gelassen haben und sich ostentativ rückbesinnen auf ihre ethnischen Wurzeln in Brasilien, Chile, Taiwan oder der Schweiz.
Frugale Gerichte und regionale Rezepte werden handwerklich überhöht und zu emblematischen Schlüsselwerken erklärt: wichtige Stationen auf dem Weg der Identitätsfindung des Chefkochs, der damit exemplarisch für uns alle steht wie dermaleinst der identitätssuchende Künstler. Avantgardistischer Konservatismus. Die identitäre Bewegung bzw. AfD-sympathisierende Querfront hätte ihre Freude daran, würde sie sich für Sterneküche interessieren.
Alles ist durcheinander geraten. Schon 2000 schrieb der schlaue Konservative David Brooks süffisant – wie zuvor nur der schlaue Konservative Tom Wolfe über das Bauhaus – über den Lebensstil der „Bourgeoise Bohemiens“, der neuen, mit allen Wassern der Alternativkultur gewaschen Elite in den USA, sie lehnten klassische Statussymbole als obszön ab, ihre neuen Statussymbole seien das Profane, Alltägliche, die „einfachen Dinge“, die sie mit Kennerschaft und professionellem Anspruch zu neuen Statussymbolen überhöhten:
„Der neue Verhaltenskodex (…) ermuntert zu bestimmten Ausgaben, die als tugendhaft gelten, und entwertet andere, die als vulgär oder elitär erachtet werden. Diese Regeln definieren damit neu, was es heißt, ein kultivierter Mensch zu sein. (…) Jeder, der sich an diese Regeln hält, kann vier oder fünf Millionen im Jahr ausgeben und dabei noch demonstrieren, wie wenig ihm materielle Dinge bedeuten.“ Um es am konkreten Beispiel festzumachen: „Ebenso wird es gern gesehen, wenn man Hunderte von Dollar für Wanderschuhe ausgibt, als vulgär gilt hingegen, denselben Betrag für Lacklederschuhe aufzuwenden. (…) Nur eine bemitleidenswerte Person würde für mehrere hundert Dollar Kaviar kaufen, jemand mit Verstand hingegen könnte es fertig bringen, für den selben Betrag Gartenerde zu erstehen – bei Gartenerde sollte man nie sparen.“
In Deutschland hat Manufactum diesen Trend zur progressiven Rückbesinnung auf die Tradition schon lange vor Brooks erfolgreich besetzt. In Neukölln, Williamsburg und Portland sind es die Holzfäller-Hipster, die mit ihren eigenen Labels immer neue Verästelungen hervorbringen. Lange Zeit habe ich gewartet auf eine Satire, die die Paradoxien dieser „Konservativen Revolution“ (Armin Mohler) bzw. dieses „Reactionary Modernism“ (Jeffrey Herf) so aufschlüsselt, dass man wie vom Blitz der Erkenntnis getroffen laut auflacht. Jetzt gibt es sie, fotografisch ein perfektes Pastiche von „Chef’s Table“, textlich ein uber-sinnlicher Prank auf die Hipster-Rückbesinnung zum Archaischen:
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