#Craig Mussin

Aufmerksamkeit ist die stärkste Droge unserer Zeit

von , 10.11.15

Wie oft schauen Sie auf Ihr Smartphone? Wissen Sie nicht? Kein Problem. Es gibt mittlerweile Apps, die Ihnen sagen, wie oft sie es benutzen. Aber wollen Sie das wirklich wissen?

Denn was würde die App offenbaren? Wahrscheinlich wären Sie geschockt. Alle 30 Minuten, alle 15 Minuten oder doch schon alle fünf Minuten Handybenutzung? Oft jedenfalls. Es gibt ja auch immer etwas nachzusehen. Die neuen WhatsApp-Nachrichten, die E-Mails, die Facebook-Nachrichten und Fotos, die Tweets bei Twitter, die Fotos bei Instagram.

Ist dieser Kommunikationsbedarf nun normal? Ist das einfach Resultat veränderter Kommunikationsgewohnheiten? Müssen wir uns Gedanken machen?

Nun, das Neue ist immer zunächst aufregend. Am Anfang lässt man das Smartphone kaum los. Aber wenn es zur Dauereinrichtung wird, ungeduldig darauf zu warten, dass die nächste Whats-App Nachricht oder die nächste Mitteilung bei Twitter aufleuchtet, dann sollten wir uns Gedanken machen.

Wir sollten uns gewiss keine Gedanken deshalb machen, weil wir Angst haben, die Kontrolle in der digitalen Welt zu verlieren. Technische Möglichkeiten bedeuten niemals einen Automatismus. Was wir aus den digitalen Möglichkeiten machen, liegt immer noch an uns.

Nein, Digitalisierungsängste sollten uns nicht sorgen. Was uns vielmehr sorgen sollte, ist unsere Aufmerksamkeitssehnsucht.

Aufmerksamkeitssehnsucht, das klingt kritisch, das klingt nach Narzissmusvorwurf. Aber ist es nicht so? Sind wir süchtig nach Aufmerksamkeit? Warum postet jemand bei Instagram Fotos von sich? Was ist seine Botschaft? Seine Botschaft ist doch: Das bin ich, schaut mich an!

Aber zur Aufmerksamkeit gehören auch immer mindestens zwei. Jener, der Aufmerksamkeit sucht, muss sie auch finden, sonst lässt er es.

Aufmerksamkeit beziehungsweise Öffentlichkeit zu haben, ist im Zeitalter digitaler Kommunikation wirklich nicht schwer. Aufmerksamkeit bekommt man, wenn man sie sucht. Egal, ob man sein neustes Outfit den Followern bei Instagram präsentiert, egal ob man krude Hass-Postings bei Facebook tätigt, oder ein Bild von sich am Badesee postet, irgendwer findet sich, der sich das ansieht und liked.

Es gibt aber noch einen dritten Aspekt, der in Bezug zur Aufmerksamkeitssehnsucht nicht ignoriert werden darf. Und dieser dritte Teil, ist das, was am Stärksten beunruhigt.

Denn der Inhalt des Präsentierten ist oft sehr banal. Warum finden wir es millionenfach lobenswert, wenn Kim Kardashian uns mal wieder ein neues Foto ihres Hinterteils präsentiert? Warum bekommt bei Facebook ein neues Profilbild einer Person oft mehr Likes als ein guter Online-Artikel? Klar, es ist einfacher ein Foto von seinem Po zu machen, als einen klugen Text zu schreiben. Aber ersteres muss ja auch jemand noch gut finden. Und das ist eben der Fall. Unsere Aufmerksamkeitssehnsucht ist sehr körperlich. Man kann auch von einer Schönheitssehnsucht sprechen. Aufmerksamkeitssehnsucht ist ästhetisch. Das bedeutet aber nicht nur eine Hegemonie des visuell Schönen, sondern es bedeutet auch, dass die Aufmerksamkeit selbst ästhetischen Wert erlangt. Aufmerksamkeit wird so etwas, was bislang nur der Galeriebesucher vor dem imposanten Gemälde hatte; Aufmerksamkeit wird zum Erlebnis des Erhabenen.

Aber was ist die richtige Antwort auf die Aufmerksamkeitssehnsucht? Laufen lassen und hoffen, dass die Mehrheit irgendwann selbst merkt, dass es ziemlich einfältig und auf Dauer ziemlich ermüdend ist, ständig Selfies von sich zu posten? Oder brauchen wir Aufklärungskampagnen gegen Narzissmus? Müssen wir wieder verstärkt Gesellschaftskritik betreiben? Und brauchen wir neue Formen von Sichtbarkeit, wie durch neue Formate politischer Beteiligung – etwa durch Town Hall Meetings oder mehr Leserartikel?

Wahrscheinlich sollten wir über alles davon nachdenken. Dabei sollte im Blick behalten werden, dass Teilnahme in der Öffentlichkeit nicht nur weiter möglich ist, sondern eben auch in konstruktiven Formen ermöglicht wird. Kritik an der Aufmerksamkeitssucht soll nämlich nicht zu einer Apathie und einem Rückzug aus der Öffentlichkeit führen. Öffentlichkeit und damit auch die Möglichkeit Aufmerksamkeit zu erlangen, wird es weiter geben. Und die Öffentlichkeit braucht die Bürger, die in ihr auftreten. Aber nicht jede Form der Aufmerksamkeitssuche ist gut für die Öffentlichkeit und gut für die Menschen.

Das Individuum als Ego-viduum jedenfalls, welchem es nur um Sichtbarkeit für sich selbst geht, tut sich mit seiner Aufmerksamkeitssucht keinen Gefallen. Es verliert sich in seiner Sucht, die niemals befriedigt werden kann, da die Sucht mit ihrer Befriedigung wächst. Das Ego-viduum braucht daher eine Suchttherapie. Und gewiss gibt es viele Therapiemittel, wovon das stärkste Mittel aber die Ironie ist.

Kürzlich haben diese Nancy und Craig Musson bewiesen, als sie die Selfies ihrer Tochter Emily nachgestellt haben und ins Netz stellten. Und ihre Imitation wurde ein viraler Erfolg im Internet. Emily fand die Aktion ihrer Eltern aber gar nicht witzig und kommentierte ihrerseits zurück: „Meine Eltern sind wohl auf Drogen oder so.“

Es bleibt der jungen Emily eigentlich nur noch zu sagen: Liebe Emily, nicht deine Eltern sind auf Drogen, sondern du meine Liebe, und zwar auf der stärksten Droge unserer Zeit: Du bist auf Aufmerksamkeitssehnsucht. Mach lieber mal eine Entziehungskur!

 

Der Autor hat Anfang der Woche die Studie „Bürgerbeteiligung im Fernsehen – Town Hall Meetings als neues TV-Format?“ bei der Otto-Brenner-Stiftung veröffentlicht. 

 


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