#Andrew Keen

Andrew Keen im zweiten Telekom-Frühling

von , 7.11.08

Möchte man gerne zu einer Veranstaltung von jemandem gehen, den Markus Beckedahl drüben bei netzpolitik.org mit folgenden Worten einführt:

Das Geschäftsmodell von Andrew Keen ist, kulturelle Entwicklungen durch das Internet einfach planlos zu kritisieren, darüber Pamphlete zu verfassen und als Kritiker auf Konferenzen eingeladen zu werden. Dafür gibt es einen Markt …

Sicher nicht.

Will man zu einer Veranstaltung mit einem humorlosen Eiferer gehen, der im nationalen US-Fernsehen erklärt, Web 2.0 sei schlimmer als die Nazis?

Schon gar nicht.

Man hätte sich Andrew Keens Vortrag „Die Stunde der Stümper“ am Donnerstagabend eigentlich komplett schenken können – wäre nicht ausgerechnet die Deutsche Telekom Ausrichterin dieser Inszenierung gewesen. Sie hatte Keen eingeladen, um mal ein bisschen Leben in ihren neuen, auf Jugendhippness getrimmten Flagshipstore in Berlin Mitte zu bringen.

Vor gut einem Jahr hat Keen sein Buch „The Cult of The Amateur“ in den Vereinigten Staaten veröffentlicht. Mit der Ausschlachtung dieses Werkes ist er nun in der deutschen Provinz angekommen – dem Telekomshop „4010“. Keen durfte dort noch einmal polemisieren, „der radiakale Individualismus“ des Internets zerstöre „alle Formen der kulturellen Autorität“. Das Internet zersetze das bewährte Ökosystem der Massenmediengesellschaft. Das Web 2.0 sei eine Tragödie, free content eine Katastrophe. Google habe menschliche Informationsarbeit obsolet gemacht.

Keen: “Google has disintermediated the human being.”

Keen gefiel sich in der Rolle eines Hasspredigers. Er redete sich derart in Rage, dass er auf jede Zuschauerfrage gefühlt 20 Minuten antworten musste. Seine Thesen mögen 2006 eine gewisse Berechtigung gehabt haben. 2008 haben sie angesichts ihrer Pauschalität nahezu jede Relevanz verloren.

Zurecht monierte sein Publikum, die derzeitige Entwicklung müsse als Übergangsphase gesehen werden – vom Rausch des Möglichen hin zu einer Kultur der neuen Institutionen: Das von Keen geforderte Web 3.0 der Experten sei längst im Entstehen begriffen. Doch neben seinen wenigen konstruktiven Momenten gefiel sich Keen vor allem als Fundamentalkritiker.

Keen ist im Grunde der Neil Postman des Web 2.0. Als sich in den 80er Jahren kein deutscher Intellektueller fand, der mit einfachen Thesen die Fernsehkritik der 60er Jahre aktualisierte, lud der Buchhandel kurzerhand Neil Postman ein – und machte ihn zu einem hierzulande tonangebenden Exponenten einer populären, aber unreflektiert normativen Medienkritik.

Die Deutsche Telekom – genauer gesagt, einer ihrer vielen PR-Agenturen – hat versucht, Keen hier ähnlich einzusetzen. Statt sich mit einer differenzierten Online-Kritik auseinanderzusetzen und ihr eine Plattform zu geben, flog sie lieber den Phrasendrescher aus Amerika ein. So fällt der Keen-Auftritt letztlich auf die Deutsche Telekom selbst zurück. Sie leistet sich eine zweifelhaft geschmackvoll ausgestattete „Event-Location“ in Mitte – und bespielt diesen Ort mit einem eifernden Polemiker mit gestrigen Thesen. Im Ergebnis fügen sich so die etwas bemühte Hip-Einrichtung des Ladens und der etwas zu banale Vortrag zu einem Gesamteindruck zusammen.

Schade, so gelingt die Imagewende nicht.

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