#Ausländer

Alibaba und die 40 Dealer? Warum das Vorurteil des „kriminellen Ausländers“ falsch ist

von , 16.3.15

Immer wieder montags ist es soweit. Dann laufen – immer noch – tausende Menschen durch Dresden und halten ihre Plakate mit der Aufschrift „Alibaba und die 40 Dealer“ in die Höhe. Die klare und unverkennbare Message: „Ausländer sind kriminell!“ Und viel zu oft wird der Vorwurf laut, dass sie auch wesentlich häufiger Straftaten begehen als Deutsche.

Das ist eine Sichtweise, die in der hiesigen Bevölkerung tatsächlich weit verbreitet ist und sich seit Jahren hartnäckig in den Köpfen der Menschen hält – auch bei Menschen, die nicht unbedingt mit Pegida laufen. Bereits 2006 überprüfte beispielsweise die „Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften“ (ALLBUS) die Popularität dieser Aussage in einer breitangelegten Studie und fand heraus, dass lediglich eine Minderheit von 31 Prozent der ostdeutschen und 36 Prozent der westdeutschen Befragten sie ablehnten. Fast die Hälfte der Bevölkerung, nämlich jeweils 45 Prozent in Ost und West, stimmten ihr jedoch damals zu.

Angeheizt wird dieses Misstrauen vor allem von konservativen Populisten und rechten Parteien. Sie schüren diese Angst ganz besonders im Wahlkampf, wenn sie vor „der Gefahr durch den kriminellen Ausländer“ warnen – allen voran die CSU, AfD und NPD. Doch auch einschlägige Medienberichte (beispielsweise der BILD-Zeitung) tragen eine gehörige Mitschuld daran, wenn tausende Pegida-Demonstranten heutzutage mit derartigen Parolen für die sofortige Abschiebung von Einwanderern oder einem Einlassstopp für Neuankömmlinge marschieren.

Doch was ist wirklich dran an der Geschichte? Viel zu oft bekomme ich dieses Argument zu hören, und bisher konnte ich schlecht mit Fakten dagegen argumentieren – weswegen ich ein wenig recherchiert habe.

Wenn es darum geht zu zeigen, dass Ausländer besonders kriminell sind, wird von eben jenen Politikern, Medien und Einwanderungsgegner oft auf offizielle Polizeiberichte verwiesen. Besonders häufig auf die „Polizeiliche Kriminalstatistik“ (PKS), da sie deutschlandweite Zahlen vom Bundeskriminalamt abbildet und aufgrund dessen kaum angezweifelt wird. Wer sich mit ihr beschäftigt, wird schnell fündig und fühlt sich in seiner Annahme bestätigt, dass Ausländer krimineller als Deutsche sind – denn bei falscher Betrachtungsweise unterstreicht sie das tatsächlich. Doch muss man bei derartigen Polizeiberichten ganz genau hinterfragen, wer eigentlich alles als Ausländer gilt.

Bereits hier wird es mit der PKS schwierig. Denn die Behörde beurteilt einen Ausländer nur anhand eines einzigen Merkmals – der nichtdeutschen Staatsangehörigkeit. Das klingt auch erst einmal völlig nachvollziehbar. Allerdings wird dabei die Information, seit wann oder aus welchem Grund sich jemand in Deutschland aufhält, gar nicht beachtet. Konkret heißt das: Die PKS schmeißt die hier lebenden Ausländer mit den Personen in einen Topf, die sich nur zeitweise in Deutschland aufhalten – darunter befinden sich neben Urlaubern und Geschäftsreisenden vor allem aber auch Personen, deren Aufenthalt gesetzlich nicht geregelt ist, sprich Illegale, die allein durch ihre Anwesenheit schon gegen das Gesetz verstoßen. Hinzu kommen aber auch Personen, deren Einreise einzig und allein kriminellen Zwecken dient – wie etwa dem internationalen Menschen- oder Drogenhandel.

Dass diese Gruppen sich allerdings aus völlig unterschiedlichen Motiven in Deutschland aufhalten und komplett andere Lebensperspektiven, Lebensbedingungen sowie einen unterschiedlichen Grad der Integration aufweisen, liegt auf der Hand. Vor einer schnellen Pauschalisierung sollte man insofern wirklich Abstand nehmen. Und das bestätigen auch andere offizielle Stellen: Die fehlende Objektivität der Polizeilichen Kriminalstatistik hat die Bundeszentrale für politische Bildung beispielsweise schon im Jahr 2012 thematisiert. In der Veröffentlichung heißt es unter anderem: „Die Tatsache, dass prozentual mehr durchreisende Ausländer auffällig werden als Sesshafte, verzerrt eine solche Aussage zu Lasten der nichtdeutschen Wohnbevölkerung.“ Das wirft doch ein ganz anderes Licht auf die Sache, oder etwa nicht?

Eine Anfrage beim BKA jedenfalls bestätigte diesen Punkt. Die Antwort einer Pressesprecherin war eindeutig:

Die Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) lassen eine vergleichende Bewertung der Kriminalitätsbelastung von Deutschen und Nichtdeutschen nicht zu. Verschiedene Ausländergruppen wie Touristen, Stationierungsstreitkräfte und sich unerlaubt in Deutschland Aufhaltende, gehen nicht in den Ausländeranteil der Bevölkerungszahl ein. Es wäre insofern irreführend, den Tatverdächtigenanteil der Nichtdeutschen in Relation zum Anteil von Ausländern an der Wohnbevölkerung zu setzen.

 

Aus diesem Grund wird in der PKS auf die Berechnung von Tatverdächtigenbelastungszahlen für Nichtdeutsche verzichtet. Anlass dazu bieten darüber hinaus auch verschiedene Bedingungen, die das Risiko, polizeiauffällig zu werden, für Nichtdeutsche erhöhen, wie zum Beispiel, dass bestimmte Delikte, insbesondere Verstöße gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen, praktisch nur von Nichtdeutschen begangen werden können. Die Erfassung der von Nichtdeutschen verübten Kriminalität führt vor diesem Hintergrund zu einer Überzeichnung in der PKS, die sich nur durch eine Kontrolle der Verzerrungsfaktoren abschätzen lässt.

Wer also mit Phrasen wie „Ausländer sind krimineller als Deutsche“ konfrontiert wird, sollte konkret nachfragen, worauf man sich da eigentlich bezieht. Die offizielle PKS jedenfalls ist schon wegen ihre Methodik nicht geeignet, um dieses Thema hinreichend zu beleuchten.

Und das gilt übrigens für viele weitere Erhebungen – wie im vergangenen Jahr ein Gutachten von Dr. Christian Wallburg feststellte. Er ist Kriminalwissenschaftler an der Universität Münster und hat sich mit diversen Studien zur Jugendkriminalität beschäftigt und sie verglichen. Auch er kommt zu dem Ergebnis, dass sich keine allgemeingültigen Aussagen über die Verbrechensbereitschaft von Jugendlichen, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, treffen lassen.

Alles gesagt? Nicht ganz. Die Kriminalitätsrate unter Ausländern (welche auch immer) hat im Übrigen rein gar nichts mit Deutschen zu tun, die einen Migrationshintergrund haben. Ein Hinweis vor allem an diejenigen, die in Stammtisch-Gesprächen und Facebook-Diskussionen den „südländisch“ aussehenden Halbstarken, der in Deutschland geboren ist und einen Pass besitzt, zum „Ausländer“ erklären. Eine Selbstverständlichkeit eigentlich, aber eine, auf die es sich angesichts der gängigen Debatten um „Ausländerkriminalität“ lohnt hinzuweisen.

 

Dies ist eine überarbeitete Fassung eines auch auf Upgrade.me-Blog erschienenen Textes.

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