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5 Dinge, die wir von den VZ-Netzwerken lernen können

von , 14.4.13

schülerVZ macht Ende April die Schotten dicht, studiVZ und meinVZ werden folgen. Das überrascht niemanden, alle Kurven (Nutzerzahlen, Aktivität, Besuche) zeigten seit Jahren von links oben nach rechts unten, und irgendwann wird aus solchen Kurven erfahrungsgemäß eine Nulllinie. Herzstillstand, Exitus, Begräbnis, aus.

Und was sagt uns das? Was verrät uns das über Netzwerke und ihre Nutzer? Warum ist Facebook heute Platzhirsch und VZ nur noch Geweih an der Wand? Hier ein paar Dinge, die wir meiner Meinung nach vom Niedergang der VZ-Netzwerke lernen können.

 

1. Stillstand bringt dich um

Facebook macht alles falsch: Es nervt seine Nutzer wöchentlich mit neuen Features, was links war ist plötzlich rechts, eine Chronik wird eingeführt, obwohl keiner sie will, jetzt wird der Home-Screen von Smartphones gekapert … Die Wahrheit ist: Facebook macht damit alles richtig. Egal wie genervt wir von den ständigen Veränderungen und Aktualisierungen sein mögen: Das ist Innovation! Facebook ruht nie, denn Stillstand ist Rückschritt, und während du still stehst, bewegen sich deine Konkurrenten weiter und hängen dich irgendwann ab. Philipp Roth von allfacebook.de hat das vor einer Weile im Interview schön auf den Punkt gebracht:

Facebook ist ziemlich fix darin, den User mit Innovationen vor den Kopf zu stoßen. Den Mumm muss man auch erst mal haben, gegen den Protest von Millionen Nutzern zum Beispiel die Timeline einfach einzuführen, egal ob uns das gefällt oder nicht. Facebook hat keine Angst vor Innovationen und auch nicht vor Fehlern, die man dabei machen könnte. Denn der größere Fehler wäre, nichts zu tun. Dann bestünde die Gefahr, dass es irgendwann einen Gap zu einem neuen innovativen Anbieter gibt wie damals zwischen Facebook und MySpace.

 

2. Me too genügt nicht

Es gibt viele Foto-Plattformen wie Instagram, alle bieten mehr oder weniger dasselbe – das genügt aber nicht. Es gibt viele Nachrichtendienste wie Whats App, alle bieten mehr oder weniger dasselbe – das genügt aber nicht. Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Und natürlich genügt es nicht, irgendwie dasselbe anzubieten wie Facebook. Das bekommt Google+ zu spüren, das trotz zahlreicher Erfolgsmeldungen seitens Google immer noch ein Nischen-Netzwerk für Netzwerk-Nerds ist. Es fehlt schlicht der Killer-Mehrwert, die eine Wahnsinns-Funktion, die die Nutzer zu Umsteigern werden lässt. Ohne derartigen Mehrwert wird sich Google+ weiter schwer tun und ohne diesen Mehrwert war das Ende der VZ-Netzwerke nur eine Frage der Zeit.

Facebook hat es durch seinen Innovationsgeist immer wieder geschafft, solche Wahnsinns-Funktionen zu erfinden. Während bei studiVZ noch gegruschelt wurde, hat Facebook den Like-Button erfunden, über den Sascha Lobo zu Recht schreibt:

Das Netz atmet social. Selbst Seiten, die sonst nichts haben (und das sind nicht wenige), haben einen Like-Button.

Einen Like-Button, der nicht nur milliardenfach genutzt wird, sondern auch zum Synonym für Social Media wurde, erfindet man aber nicht einfach mal so, und schon gar nicht nach gründlicher Marktforschung und Abwägung aller Chancen und Risiken. Es ist die eine von 100 Innovationen, die geboren wird, wenn man den Mut hat 100 Innovationen zuzulassen und 99 davon wieder wegzuwerfen.

 

3. Ohne Multiplikatoren bekommst du Probleme

studiVZ war ein nettes Netzwerk für den Austausch unter Studenten. Aber außer Studenten, die das Netzwerk ihren Kommilitonen empfahlen, gab es keine Fürsprecher, die die Nutzer mit geballter Macht ins Netzwerk drängten. Solche Fürsprecher können zum Beispiel Unternehmen sein. Wie bitte? Die, die mit ihrer Werbung und ihren Sponsored Posts und ihren Gewinnspielen nerven? Die, die letztlich im Widerspruch zu dem agieren, was so ein Netzwerk eigentlich will, nämlich Menschen persönlich vernetzen? Genau!

Ich weiß noch genau, wie wir von der DATEV-Unternehmenskommunikation uns vor einigen Jahren Facebook und die VZ-Netzwerke parallel angeschaut haben. Welche Plattform bietet uns die besseren Möglichkeiten? Wo können wir als Unternehmen besser agieren, um unsere Zielgruppen zu erreichen? Ergebnis: Auf Facebook war das einfach und effektiv, und zwar kostenlos, bei den VZ-Netzwerken schier ein Ding der Unmöglichkeit, und zwar für teures Geld. Die Folge war eine explosionsartige Zunahme von Unternehmens-Seiten auf Facebook, während es bei VZ ein paar einsame Beispiele gab, die immer wieder als Referenzen herhalten mussten.

vz_ciao

Und was hat das damit zu tun, ob die Nutzer ein Netzwerk attraktiv finden? Ganz einfach: Zum einen wollen sich Menschen in Netzwerken auch mit Marken vernetzen. Für 13 Millionen Facebook-Nutzer ist es keine Last, sondern eine Freude, dass sich sich mit BMW befreunden können. Zum anderen waren und sind Unternehmen gigantische Multiplikatoren, die im Rahmen von Marketing und Kommunikation mit nicht geringen Budgets die Nutzer auf ihre Facebook-Präsenzen aufmerksam machen. Oder anders gesagt: Irgendwann entschieden sich die Unternehmen, das kleine blaue F auf ihre Anzeigen zu drucken – das VZ-Lgo hat man in diesem Kontext nie zu sehen bekommen.

 

4. The winner takes it all

Wenn es mal bergab geht, wenn der Zenit überschritten ist und die Nutzer mit dem Exodus beginnen, haben Plattformen wie studiVZ schnell ein Problem mit der kritischen Masse, die das Manager Magazin wie folgt definiert:

Die kritische Masse bezeichnet die subjektiv wahrgenommene Attraktivität der bereits in einem System, auf einem Marktplatz oder in einer Community vorhandenen Nutzerzahl. Diese Zahl bestimmt den Nutzen, der für ein Neumitglied entsteht, das sich an ein bereits bestehendes Netzwerk anschließen möchte. Hintergrund ist die Überlegung, dass mit der steigenden Nutzerzahl auch die Anzahl der möglichen Transaktions- oder Kommunikationsbeziehungen und damit die Attraktivität eines Netzwerkes steigen.

Mit anderen Worten: Entscheidend für den Erfolg eines Netzwerks ist nicht unbedingt ein hübsches Design, ein toller Service oder der beste Datenschutz (dazu weiter unten mehr), sondern die Anzahl der Nutzer. Denn (Achtung Zungenbrecher): Mit jedem neuen Nutzer steigt der Nutzen für die alten Nutzer – ein Phänomen, das Ökonomen auch als Netzwerkeffekt bezeichnen.

Diesen Effekt gibt es in zwei Ausprägungen: Vom direkten Netzwerkeffekt profitiert man, da man mit jedem neuen Nutzer automatisch eine größere Auswahl hat, mehr Möglichkeiten sich zu vernetzen, Bekannte zu treffen und Kontakte zu knüpfen. Vom indirekten Netzwerkeffekt profitiert man, da eine Plattform mit vielen Nutzern auf kurz oder lang attraktiver ist als eine mit wenigen Nutzern, da zum Beispiel Anbieter von Apps und Zusatzfunktionen bevorzugt für die Viel-Nutzer-Plattformen programmieren werden. Und so kommt es schließlich zum „Winner-takes-it-all“-Effekt, den das Handelsblatt so beschreibt:

Sobald ein Angebot einen deutlichen Vorsprung im Vergleich zu anderen besitzt, steigt die Nutzerzahl rasant an, während die Konkurrenz-Netzwerke massiv an Attraktivität verlieren.

Quod erat demonstrandum.

 

5. Datenschutz und Datensicherheit sind irrelevant

Das mag uns nicht gefallen, ist aber einfach so: Nutzer sozialer Netzwerke legen keinen gesteigerten Wert auf Datenschutz und Datensicherheit. Wenn sie es täten, hätte sich Facebook nie durchsetzen können. Facebook ist weder bekannt für seinen tollen Service noch für seine großartige Usability und ganz sicher nicht dafür, dass man ihm ohne Sorgen seine Daten anvertrauen kann. 1 Milliarde Nutzer weltweit und 25 Millionen Nutzern in Deutschland ist das egal. Für sie überwiegen die Vorteile dieser Plattform. Die VZ-Netzwerke versuchten am Schluss noch als “deutsche Netzwerke” zu punkten, verwiesen auf die hohen Datenschutz-Standards, die hierzulande gelten, und beklagten sich über den US-Konkurrenten, für den der deutsche Datenschutz ungefähr so relevant ist wie der sprichwörtliche Sack Reis in China. Dem durchschnittlichen Social Network-Nutzer geht es offenbar genauso.

Das heißt nicht, dass man alle Bemühungen um Datenschutz und Datensicherheit im Social Web aufgeben sollte. Man muss nur nicht erwarten, dass die Nutzer sie einfordern oder gar zum Entscheidungskriterium machen. Das müssen andere tun …
 

Crosspost von Christian Buggischs Blog. Bildnachweis: miraliki / pixelio.de

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