#Auflage

Der Konflikt-Fetisch der Medien

von , 8.3.13

Egal, ob man eine Zeitung aufschlägt, das Radio anmacht oder auf eine News-Sendung im TV zappt – eines sticht einem sofort ins Auge: die Omnipräsenz von Konflikten, Auseinandersetzungen und Anfeindungen. Mord und Totschlag, Betrug oder zumindest Ungerechtigkeiten – die Medien sind voll davon.

Eine üble Welt muss das sein, die da draussen stattfindet, im eigenen Land, im eigenen Kanton, ja gar vor der eigenen Haustüre. Nichts scheint mehr in Ordnung, die Menschen verkommen, und sowieso ist alles grundschlecht.

Ist dem wirklich so? Oder tragen nicht auch die Medien selber zu eben diesem Weltbild bei, indem sie arbeiten, wie sie arbeiten?

«Ihr müsst immer auch einen Konflikt finden, irgendwas, das nicht stimmt, einen Kritiker oder sonst was Faules» – so wird es jungen Medienschaffenden beigebracht; das ist die Maxime vieler Dozenten an der Schweizer Journalistenschule. Und das nicht (nur) bei Themen, die an und für sich schon Konfliktpotenzial haben:

  • Eine Reportage über den Alltag eines Maroni-Verkäufers? Gute Idee, aber an sich langweilig. Ein Konflikt muss her, irgendein Kritikpunkt. Vielleicht von verärgerten Detaillisten, denen der Maroni-Verkäufer den Tagesumsatz im Winter vermiest. Oder vielleicht liesse sich herausfinden, was so ein Kilo Kastanien im Ankauf kostet, um die Preise des Maroni-Verkäufers als Wucher zu entlarven. Und der Konflikt wäre perfekt.
  • Ein Artikel über ein Tunnelprojekt, das nach 30 Jahren endlich abgeschlossen wird? Klingt ganz passabel, aber der kritische Ansatz fehlt. Vielleicht lassen sich Anwohner finden, die dagegen sind, oder zumindest einer der Gegner, der zu Beginn des Bauvorhabens lautstark dagegen protestiert hat. Auch wenn es 30 Jahre zurück liegt, irgendwer liesse sich da bestimmt finden. Und der Konflikt wäre perfekt.
  • Ein Porträt über eine Frau, die aus der Karibik in die Schweiz gezogen ist und hier Karriere macht? Nette Idee, aber das reicht nicht. Ist doch verdächtig, dass jemand von der Wärme in die Kälte kommt und behauptet, nicht zu frieren. Da steckt was anderes dahinter, und überhaupt stimmt wohl die Hälfte davon nicht, was sie aus ihrer Heimat erzählt. Da gibt es bestimmt jemanden, der das wahre Gesicht dieser Frau kennt und entlarven kann. Und der Konflikt wäre perfekt.

«Good news are no news» lautet die Devise. Doch wieso eigentlich? Wer hat diese Maxime aufgestellt, und was genau will man damit bezwecken?

Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Es gibt durchaus Themen, die kontrovers behandelt werden können und auch müssen. Wenn Missstände da sind, die aufgezeigt werden müssen. Bei politischen Debatten, wo jedes Pro und Kontra in sich schon einen Konflikt mit sich trägt. Oder bei umstrittenen Projekten, wo der Widerstand da ist und auch öffentlich gemacht wird. In diesen Fällen steht der Konflikt als Motor für einen Diskurs, der geführt werden und von den Medien begleitet und kommentiert werden muss.

Wogegen ich mich wehre, ist der Konflikt um des Konfliktes wegen. Dieses Suchenmüssen nach möglichen kritischen Punkten, nach Gegnern, nach Streit, nach Dissens. Nur um den Lesern zu zeigen, wie unglaublich schlecht die Welt da draußen ist. Oder manchmal wohl eher: wie unglaublich mutig der Autor ist.

«Der Leser will es so», heißt es dann. Konfliktfreie Artikel würden weniger gern gelesen. Ich frage: Ist dem wirklich so? Gibt es nicht auch Medienkonsumenten, die gerne auch «good news» lesen, hören, sehen? Eine spannende Reportage über den Alltag eines Maroni-Verkäufers, die einen bisher unbekannten Blick freigibt. Ein Artikel über das 30-jährige Tunnelprojekt, der aufzeigt, was war, und was heute ist. Oder ein Porträt über die Beweggründe einer Frau, von der warmen Karibik in die kalte Schweiz zu ziehen.

Darf denn die Welt nicht auch einfach mal in Ordnung sein, auch in den Medien? Ich meine: Ja. Sie darf. Und soll sogar, mindestens zwischendurch. Denn letztlich fördert dieser gezwungene Konflikt-Fetisch der Medien gerade den Hunger der Leser, das schlechte Weltbild der Zeitung vom Vortag bestätigen zu wollen. Und dazu möchte ich als Journalistin nicht beitragen – jedenfalls nicht um jeden Preis.
 

Crosspost von das eigenwach bloggt

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