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Kabel-TV: Kräftemessen mit ARD und ZDF

von , 30.6.12

Vor kurzem haben die öffentlich-rechtlichen Sender ARD, ZDF und ARTE die Verträge mit den Kabelnetzbetreibern zum 31. Dezember 2012 gekündigt.

Schon jetzt sind die meisten Kabel-TV-Kunden in Sachen Programmvielfalt gegenüber Inhabern von Satellitenschlüsseln und Digitalempfängern benachteiligt, konnten aber bisher immerhin darauf hoffen, trotz aller Auseinandersetzungen wenigstens ein Basisangebot (”Das Erste”, ZDF, dritte Programme, ARTE, Phoenix, 3sat etc., jeweils in Standardauflösung, “SD”) zu behalten. Das ZDF beantwortete noch im Mai Zuschaueranfragen nach den zehn neuen öffentlich-rechtlichen HD-Programmen so:

Es liegt im Entscheidungsbereich der Netzbetreiber, ob sie diese HD-Angebote von ZDF und ARD einspeisen oder nicht, verpflichtet sind sie lediglich für die Einspeisung der SD-Angebote.

Grundlage dieser Einschätzung: Die “must carry”-Regelungen in § 52 des aktuellen Rundfunkstaatsvertrags (pdf-Download) und der 14 Landesmedienanstalten, die für ihren jeweiligen Bereich die Einspeisung bestimmter bundesweiter, regionaler und lokaler Radio- und TV-Programme vorschreiben – übrigens nicht nur öffentlich-rechtlicher, sondern auch privater wie RTL, ProSieben, Sat.1 und Vox. Diese Vorschrift erschien mir bisher wie in Stein gemeißelt und nicht relativierbar – auch der Deutschen Presse-Agentur, die am 25. Juni schrieb:

Wer jetzt allerdings befürchtet, er müsse damit künftig auf die „Tagesschau“ oder das „Aktuelle Sportstudio“ verzichten, kann beruhigt werden. Der Rundfunkstaatsvertrag sichert über eine sogenannte „must carry“-Regel zu, das die wesentlichen Angebote von ARD und ZDF über Kabel verbreitet werden müssen...

 

Heißt “must carry” auch “must pay”?

Soweit die Theorie. Im Streit um die Einspeisevergütungen wird diese Pflicht aber inzwischen von den Kabelnetzbetreibern und der Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK, das gemeinsame Gremium der 14 Landesmedienanstalten) stark relativiert. Bei einem Scheitern der Gespräche ergebe sich aus den “must carry”-Regeln der Bundesländer kein Anspruch der öffentlich-rechtlichen Sender auf kostenlose Verbreitung. “Die Medienanstalten“, so ein ZAK-Sprecher, „werden die Kabelnetzbetreiber nicht anweisen, die öffentlich-rechtlichen Programme einzuspeisen”.

Unitymedia-Geschäftsführer Lutz Schüler erklärte in einem Interview mit der “Welt” unter anderem:

Wir müssen die Sender von ARD und ZDF nicht übertragen, wenn diese keine Kapazitäten bei uns buchen, insbesondere müssen wir nicht jeden kleinen Spartensender der ARD übertragen… eine Lösung, in der die Sender gar nichts mehr zahlen, werden wir nicht akzeptieren.

Ein Sprecher von Kabel Deutschland beantwortete eine Anfrage des Mediendienstes “kress.de” so:

Kapazität im Netz kostet nach unserem Geschäftsmodell Geld und muss bezahlt werden. Wenn die Öffentlich-Rechtlichen künftig keine Einspeiseentgelte bezahlen würden, könnten sie sich auch nicht mehr auf den “must carry”-Status berufen, das heißt Kabel Deutschland könnte grundsätzlich selbst entscheiden, welche öffentlich-rechtlichen Programme künftig eingespeist werden.

Meine E-Mail-Frage an die Pressesprecher von Kabel BW (inzwischen von Unitymedia übernommen) und der baden-württembergischen Landesanstalt für Kommunikation (LFK), ob sie das ähnlich sehen, blieb bis heute unbeantwortet.

 

Vertrag lässt Interpretationsspielraum

Die beiden Knackpunkte des Streits stecken in § 52d des 13. Rundfunkänderungsstaatsvertrags (Hervorhebungen von mir):

Anbieter von Programmen und vergleichbaren Telemedien dürfen durch die Ausgestaltung der Entgelte und Tarife nicht unbillig behindert oder gegenüber gleichartigen Anbietern ohne sachlich gerechtfertigten Grund unterschiedlich behandelt werden. Die Verbreitung von Angeboten nach § 52b Abs. 1 Nr. 1 und 2 oder § 52b Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 1 hat zu angemessenen Bedingungen zu erfolgen. Entgelte und Tarife für Angebote nach § 52b Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 Satz 2 sind offenzulegen. Entgelte und Tarife sind im Rahmen des Telekommunikationsgesetzes so zu gestalten, dass auch regionale und lokale Angebote zu angemessenen und chancengleichen Bedingungen verbreitet werden können.

Wenn öffentlich-rechtliche Sender ab dem 1. Januar 2013 keine Einspeisevergütungen mehr bezahlen (dieses Jahr noch insgesamt 58,5 Millionen Euro), müsste das nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz auch für die Privaten gelten. Hier ist mir jedoch noch nichts von einer Vertragskündigung bekannt. Wenn aber beispielsweise die “ProSiebenSat.1 Media AG” am 1. Januar noch einen gültigen Vertrag mit den beiden großen Kabelnetzbetreibern hat, brav weiterbezahlt und ihre Programme deshalb auch einspeisen darf, dann könnte etwa die ARD trotz “must carry”-Regel nicht verlangen, “Das Erste” ohne Vertrag und gratis einzuspeisen. Das jedenfalls ist die Argumentation der ZAK und der Kabelnetzbetreiber.

Zweiter Streitpunkt: Was sind “angemessene Bedingungen”? ARD, ZDF und ARTE verstehen darunter offensichtlich, dass sie zwar die Multiplexe mit ihrem kompletten Programmbouquet zur Einspeisung bereitstellen, sonst aber keine Kosten übernehmen wollen. Mit diesen Bedingungen können die kleinen regionalen und lokalen Kabelnetzbetreiber wie TeleColumbus oder NetCologne schon seit jeher gut leben – sie haben noch nie Einspeisevergütungen von den Sendern erhalten, sondern generieren ihre Einnahmen ausschließlich von den Kabelkunden und bieten dennoch sogar die zehn neuen HDTV-Sender an.

 

Woanders kassieren die Sender

Zusätzlich können sich die öffentlich-rechtlichen Sender noch darauf berufen, dass anderswo in der Welt – etwa in den USA – das Gegenteil üblich ist: Dort zahlen häufig Kabelnetzbetreiber dafür, dass sie bestimmte Sender einspeisen dürfen. Diese zusätzlichen Kosten werden durch höhere Monatsgebühren für einzelne Programmpakete von den Endkunden wieder eingespielt.

Letzteres verbietet sich bei uns teilweise: Aus bereits mit den Rundfunkgebühren bezahlten öffentlich-rechtlichen Programmen dürfen in Deutschland keine “Pay TV”-Pakete gebastelt werden, auch eine Verschlüsselung wie bei HD+ ist nicht erlaubt.

Der Privatsender RTL konnte dagegen jüngst “Kick-back”-Verträge mit Unitymedia und Kabel Deutschland schließen: RTL bezahlt zwar für die Einspeisung seines HD-Angebots, erhält aber eine Rückvergütung der Kabelfirmen in unbekannter Höhe für dessen gesonderte Vermarktung. Die Kabelkunden bezahlen das also extra und müssen zudem noch technische Einschränkungen (Kopierschutz etc.) in Kauf nehmen.

 

Einigung auf den letzten Drücker?

Für die beiden Kabelgiganten liegen Zukunftswunsch und Interpretation des Begriffs “angemessen” vermutlich irgendwo zwischen den Extremen – selbstverständlich mit Tendenz zur bisher von den öffentlich-rechtlichen Sendern gezahlten Summe. Knapp 59 Millionen Euro sind zwar eher Kleckerkram bei Gesamtumsätzen des Duopols im Milliardenbereich. Es geht aber in Wirklichkeit um mehr: Auch die Privatsender würden gerne auf die Zahlung von Einspeisevergütungen verzichten und warten nun gespannt auf den Ausgang der Auseinandersetzung und dessen Signal- bzw. Präzedenzwirkung.

Adrian von Hammerstein, Vorstandschef der Kabel Deutschland AG, erklärte bereits bei der Bilanzpressekonferenz Mitte Juni, dass man nicht mit einer schnellen Einigung rechne. Traditionell würden solche Verträge erst auf den letzten Drücker, in diesem Fall also vermutlich am 30. Dezember, geschlossen. Wenn Hammersteins Prophezeiung eintrifft, ginge die Sache – optimistisch gesehen – wie das “Hornberger Schießen” aus: Alle Programme bleiben im Kabel, vielleicht gibt es sogar ein paar zusätzlich, die Sender zahlen weniger als bisher oder gar nichts, die Kabelkunden dafür künftig mehr und die Kabelfirmen hätten unter’m Strich keine Einbußen.

 

Umstieg auf Satellit oder IPTV

Bei pessimistischer Sicht der Dinge könnte spätestens am 30. Dezember aber auch klar werden, dass es keine Einigung gibt und die Netzbetreiber ab 1. Januar zahlreiche Programme ausspeisen. Dann bliebe den Kabelkunden nur noch gut ein Tag Zeit, sich einen neuen Empfangsweg für ARD, ZDF und Co. zu suchen, was für viele Haushalte schwer bis unmöglich sein kann. Das einfach zu empfangende DVB-T ist leider mangels Anzahl und Übertragungsqualität der Programme (kein HD möglich) keine echte Alternative.

Für sehr wahrscheinlich halte ich dieses Szenario nicht – es hätte vermutlich Massenkündigungen zur Folge und Kabel-TV wäre weitgehend erledigt. Vielleicht haben aber auch einige Kabelkunden schon vor dem Dezember die Nase voll vom Gezerre, wollen nicht bis zum letzten Moment auf einen ungewissen Ausgang oder Gebührenerhöhungen warten, kündigen Ihren Anschluss und steigen – sofern möglich – auf digitalen Satellitenempfang oder IPTV um.

Crosspost

Siehe auch meinen Beitrag “So droht dem Fernsehen der Tod”

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