#Bildzeitung

60 Jahre Bildzeitung: Manipulation als Markenkern

von and , 21.6.12

1. In jedem bundesdeutschen Briefkasten, der sich nicht wehrt, wird am 23. Juni 2012 eine Bildzeitung stecken. BILD drängt sich allen auf. Ein trefflicheres Symbol seines Charakters hätte das Springer-Blatt anlässlich seines 60. Geburtstages nicht wählen können. Weil das Publikum BILD davon läuft – 5,5 Millionen verkaufte Exemplare (1985), 4,2 Millionen (2000), 2,7 Millionen (heute) -, läuft sie ihm jetzt nach.

2. BILD feiert – sich. Der Trubel, mit dem sich die gedruckte Stimme des Volkes in diesen Tagen inszeniert, erinnert an den organisierten Jubel in Volksdemokratien. Wer ständig die politische Demokratie mit ihren schwierigen Entscheidungsprozessen als Zirkus und sich selbst als den wahren Repräsentanten des Volkes darstellt, der kann nicht anders. Er muss Tribünen bauen, um zu demonstrieren, dass alle Gutwilligen auf seiner Seite sind. Sein höchstes Ziel ist dabei, altbekannte Gegner als neue Anhänger vorführen zu können. So darf ein ehemaliger Spiegel-Chef in einer BILD-Serie die Geschichte von BILD erzählen. BILD: „Stefan Aust, der frühere Chefredakteur des SPIEGEL, schreibt über die BILD-Erfolgsstory“.

3. Die Volks-Vollversorgungs-Auflage der Geburtstags-BILD müsste statistisch gesehen bei 41 Millionen Exemplaren liegen. Eine Anzeigenseite kostet – laut Branchenberichten – vier Millionen Euro brutto, die halbe Seite 2,2 Millionen. Gigantomanie und Tonnenideologie waren stets ein Kennzeichen von Volks-Propagandisten; dass sie sich ihre Inszenierungen von anderen bezahlen lassen auch.

4. BILD will keine Stimme in demokratischen Debatten sein, sie erhebt sich – wie jeder Populist mit Machtwillen und Geltungssucht – über das ‚Parteiengezänk‘. Publizistisch und politisch steht das Springer-Blatt Pate für Blockaden der Verständigung und der Toleranz, es fördert stattdessen Ressentiments und soziale Rücksichtslosigkeit. Die demokratische Kultur, die sich in Deutschland herausbilden konnte, hat sich nicht wegen, sondern nur neben und trotz BILD entwickelt.

5. Statt auf kritische Argumente setzt BILD auf Empörung und Wut. Sie wertet Personen, Organisationen, Nationen, Religionen ab, schlachtet Unglück aus, diffamiert politische Gegner. Deutschlands Prominenz wertet BILD auf in Imagekampagnen, bei Festen und Geburtstagsfeiern und verleiht der BILD-Praxis des Ressentiments Wirkung und Weihen. Prominente lassen sich einspannen, einige aus Angst, von BILD niedergemacht, andere in der Hoffnung hochgejubelt zu werden.

6. BILD tritt mit dem Anspruch auf, den werktäglichen Bericht zur Lage der Nation zu liefern und dem Volk zu sagen, was es fühlt und denkt. Der Trick: Entweder fühlt der Leser sich angesprochen und zutreffend dargestellt. Oder ihm wird nahegelegt zu glauben, das Volk, das sind die anderen. Dank dieses Tricks kann BILD so ziemlich alles behaupten, was nicht völlig abwegig ist. Indem BILD sich anmaßt, die Gefühle des (deutschen) Volkes auszudrücken, erhebt sie sich zugleich in die Rolle des Richters, der verkündet, wo das Volk ein gutes und wo es ein schlechtes Gefühl hat. BILD öffnet sich auf diese Weise Tür und Tor für Manipulationen. Genau dafür wurde sie berühmt, Manipulation ist ihr Markenkern.

Der Text ist eine Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Otto Brenner-Stiftung

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.