#Barack Obama

Leadership à la Obama: Wie die deutsche Politik von Obama lernen kann und wie nicht

von , 16.1.09

Wenn eins vom „Zukunftskonvent“ der SPD in Erinnerung bleiben wird, dann die dunkle Vorahnung, dass Hubertus Heil nicht der letzte deutsche Politiker sein wird, der sich in Zukunft mehr oder minder schamlos bei Barack Obama bedienen wird. Ende Mai hatte sich der SPD-Generalsekretär im Nürnberger Congress Center bemüht, die Delegierten in Stimmung zu bringen: „Sprecht mir nach: Yes we can!“ Zeugen berichten, in der Halle hätte es leise zurückgeschallt „Yeswecan“. Im Fernsehen jedenfalls war gar nichts zu hören. Heil probierte es nochmal: „YES WE CAN!“ Die Antwort, kaum lauter als zuvor. Schnell spielte die Veranstaltungsregie die Einmarsch-Musik für die hinter der Bühne wartende Gesine Schwan ein. Ein peinlicher Moment, der sich 2009 wiederholen könnte. Denn Thorsten Schäfer-Gümbel ist nur der Anfang. Nicht nur Beobachter, auch Akteure der Bundespolitik befürchten hinter vorgehaltener Hand, dass sich die Parteien 2009 gegenseitig darin überbieten werden, Obamas Kampagne plump zu kopieren.

Der Wahlsieg des demokratischen Präsidentschaftskandidaten hat viele Facetten. Er sagt nicht nur etwas über das vielleicht größte Polittalent der letzten Jahrzehnte aus, sondern auch über die Bilanz der Bush-Regierung und die Bedürfnisse der Massen, die ihm – nicht nur in den USA – gefolgt sind. Schon hier wird deutlich, dass wir es mit einem singulären Phänomen zu tun haben, das sich nicht kopieren lässt. Wahlkämpfe finden nicht im luftleeren Raum statt, sondern vor dem Hintergrund länderspezifischer Strukturen und Traditionen. So spielen zum Beispiel auch in Deutschland Persönlichkeits- und Sympathiewerte eine große Rolle, doch ist der Spitzenkandidat inhaltlich und organisatorisch viel stärker von seiner Partei abhängig im präsidialen Regierungssystem der USA.

Für die deutsche Politik relevant indes ist die Tatsache, dass es den Demokraten gelang, die große Inszenierung und die Grassroots, perfekte Planung und gelebte Demokratie in Einklang miteinander zu bringen. Ein zeitgemäßes, der gesellschaftlichen Differenzierung und Mediatisierung der Politik angemessenes Kommunikationsmanagement muss nicht auf Kosten der Glaubwürdigkeit gehen.

Dieser Befund ist kaum zu überschätzen. Denn just jene Professionalisierung der Kommunikationsarbeit und Einbindung von externen Beratern, ohne die auch Obamas Kampagne nicht denkbar gewesen wäre, ist der deutschen Politik in den letzten Jahren weniger gut bekommen. Eine Kluft zwischen oben und unten, zwischen Politprofis und der Basis, hat sich aufgetan. Und sie scheint sich zu vertiefen, je mehr die Parteien – im Wahlkampf wie im politischen Alltag – ihre Öffentlichkeitsarbeit der Berliner „Mode- Ereignis- und Stimmungsdemokratie” (Gunther Hofmann) anpassen. Nicht nur die GRÜNEN, deren Bundesvorstand 2006 ein von einer Kommunikationsagentur entworfenes neues Partei-Logo von der Parteitagsmehrheit um die Ohren gehauen bekam, haben dies leidvoll erfahren. Vermehrt, vielfach ausschließlich, erfahren selbst Mitglieder von Entwicklungen ihrer Partei, Programmen und Strategien das erste Mal in der Presse. Reformen wurden – siehe „Agenda 2010“ oder „Rente mit 67“ – handstreichartig und im Hauruckverfahren durchgepeitscht, der innerparteiliche Dialog blieb da schon mal auf der Strecke. Dabei laufen Basta-Politik und Wahlkampf-Inszenierungen der klassischen Vorstellung, dass es sich bei demokratischer Politik um einen aktiven Prozess handelt, auf den jeder Einzelne Einfluss haben kann, zuwider. Frustrationen sind die Folge. Der Mitgliederschwund der großen Parteien spricht eine klare Sprache.

Beobachter haben die kampagnenpolitische Aufrüstung bei den letzten Wahlen, die bombastischen Inszenierungen und Personality-Shows, gerne als Folge einer vermeintlichen „Amerikanisierung“ der deutschen Politik interpretiert. Der US-Präsidentschaftswahlkampf galt als Werbeschlacht, die Heerscharen von Managern, Meinungsforschern und Marketingexperten Arbeit gab, vor allem aber die in Europa verbreitete Kritik zu bestätigen schien, dass die jüngere Historie der US-Demokratie im Wesentlichen eine Verfallsgeschichte sei. Die Politik habe sich gänzlich dem Diktat von Schlagzeilen und Demoskopie unterworfen. Die Authentizität des politischen Personals, Inhalte und das deliberative Element von Politik gingen dabei verloren. Mit Obama hat sich dies geändert. Obwohl sein Wahlkampf, sowohl was den Einsatz von Geld als auch den Professionalisierungsgrad angeht, alles je da gewesene übertraf, heißt es vom ehemaligen Jungsenator aus Illinois schon heute zu recht, dass er die US-Demokratie verändert hat. Er mobilisierte die Grassroots, integrierte Bevölkerungsschichten in den politischen Prozess, die für die Politik verloren schienen, und schuf eine soziale Bewegung, die Möglichkeiten der Identifikation und Teilhabe bot und verschiedensten Bevölkerungsgruppen Motive dafür lieferte, Teil eines gemeinsamen Projekts zu werden.

Eng damit verknüpft ist ein zeitgemäßes und konsequent umgesetztes Verständnis dessen, was politische Führung („Leadership“) in Demokratien des 21. Jahrhundert ausmacht. Anders als in Deutschland, wo Führung und Demokratie historisch bedingt lange als Antagonismen verstanden wurden, nimmt Leadership im öffentlich-politischen Diskurs der USA traditionell eine zentrale Stellung ein. Deutlich wurde dies bereits im Rennen um die Präsidentschaftskandidatur. Während Hillary Clinton damit warb, dass sie die Erfahrung aufbringe, um das mächtigste Land der Erde zu führen („experience to lead“), konterte Obama, dass nur er aufgrund seiner Distanz zum Establishment einen grundlegenden Wandel herbeiführen könne („leading change“), dessen Akteur jedoch nicht er alleine, sondern das ganze Land sein würde („Yes, WE can“). Obamas Erfolg beruhte also auf der Erkenntnis, dass politische Führung nicht einseitig im Sinne hierarchischer Top-Down-Prozesse zu verstehen ist, sondern aus zwei interdependenten Akteuren besteht: Dem Führenden (Leader) auf der einen Seite und seinen potentiellen Anhängern (Follower) auf der anderen. Erst der imaginäre Pakt, den beide schließen, macht den Führenden zum Führenden und die Anhänger zu Anhängern. Ein Leader in demokratischen Systemen gewinnt seine Follower also nicht ein für alle Mal, sondern hat diese ständig von seiner Führungsleistung zu überzeugen und zu mobilisieren.

Obama beachtete ferner eine zweite Grundregel von politischer Führung, nämlich dass Führungsstil und Inhalt keine in Stein gemeißelten Determinanten sind, sondern wandelbar und der jeweiligen Anhängerschaft angepasst sein müssen. Aus „Yes we can“ wurde nach der ergatterten Nominierung „What I will do“. Mit Brot- und Butterthemen wie Steuerpolitik, Gesundheitswesen und Reform der Erziehungs- und Sozialsysteme appellierte Obama im Duell gegen John McCain an das Eigeninteresse der wechselwählenden Mittelschicht. Der ursprüngliche Außenseiter hatte erkannt, dass seine glühendsten Anhänger allein nicht für einen Wahlsieg ausreichen würden, sondern er diejenigen, Wähler, „die ihn nicht lieben überzeugen muss, dass er sie liebt.“ Diese Regel stammt ursprünglich von Bill Clinton, und sie ist vor allem für die deutsche Sozialdemokratie relevant. So werden SPD-Chef Franz Müntefering und Bundesgeschäftsführer Kajo Wasserhövel ihr Ziel, dass Willy Brandt-Haus wieder „kampagnenfähiger“ zu machen, unzweifelhaft erreichen. Über die Mobilisierung der eigenen Truppen hinaus, besteht die eigentliche Herausforderung jedoch darin, Wählerschichten jenseits der (erodierenden) SPD-Kernwählerschaft zu mobilisieren.

Obama hat erkannt, dass sich gesellschaftliche Beteiligungsansprüche in den letzten Jahrzehnten massiv verändert haben und sich politische Partizipation längst nicht mehr auf die Akzeptanz von Entscheidungen einer Elite reduziert, sondern immer mehr auf Teilhabe ausgerichtet ist. In dem Bewusstsein, dass dies nicht zuletzt mit der Informationsrevolution durch das Internet zu tun hat, entwickelte Obamas Online-Wahlkampfteam „Tripple O“ (Obama’s Online Operation) eine ausgeklügelte Kommunikationsstrategie, die, wenn es um den Umgang mit den klassischen Massenmedien ging, nichts dem Zufall überließ, während sie im WWW mit großer Konsequenz neue Wege beschritt. Erinnert man sich an die enormen Ressourcen, die seine innerparteiliche Konkurrentin Hillary Clinton in die Vorwahlen einbrachte (und die von Obama nur durch über das Internet eingeworbene Kleinspenden übertrumpft werden konnten), so ist es nicht übertrieben zu behaupten, dass der nächste US-Präsident ohne das Internet heute ein anderer wäre.

Jeder Bürger, der Obama während des Wahlkampfs eine Frage über seine Website oder Internetanwendungen wie twitter.com schickte, erhielt binnen Tagen eine Antwort. Über dreieinhalb Millionen Menschen sind mittlerweile mit Obama über das Netzwerk facebook vernetzt. Auch wenn solche Zahlen für sich genommen wenig aussagen, stets war die Nutzung des Internets mehr als ein Wahlkampf-Gag. Einiges deutet darauf hin, dass auch die Regierung Obamas in ihrer Kommunikation verstärkt auf Transparenz, Interaktivität und nutzergenerierte Inhalte setzen wird, wie sie my.barackobama.com oder change.gov, die virtuelle Plattform Obamas Übergangsteams, auszeichneten. Sein Erfolg ist somit zugleich Chiffre für veränderte gesellschaftliche Mitsprache- und Beteiligungsansprüche, denen auch die deutschen Parteien Rechnung tragen müssen. Angesichts ihrer nachlassenden Bindungskraft, schwindender Mitgliederzahlen und volatiler Wahlergebnisse ist für sie ein den gesellschaftlichen und technologischen Differenzierungen angemessener Dialog essentiell. Hier bietet das Internet enormes Potenzial. Als Kanal für flexibilisierte Beteiligungsformen kommt es den veränderten Verhältnissen einer Gesellschaft entgegen, die sich zunehmend außerhalb traditioneller politischer Strukturen organisiert und statt der Gemeinschaftserfahrung „Ortsverein“ individuell angepasste und themenorientierte Gestaltungsmöglichkeiten sucht.

Dies setzt die Fähigkeit voraus, potenzielle Wählergruppen zu identifizieren und sie online wie offline direkt und mit eigens auf sie zugeschnittenen Informationen und „Mitmach-Angeboten“ ansprechen zu können. Zwar gehören Blogs, spezielle Themenseiten und soziale Software auch hierzulande mittlerweile zum selbstverständlichen Bestandteil der Kampagnenführung. Auch bemühen sich die deutschen Parteien verstärkt, Informationen über ihre Anhänger zu sammeln und zielgruppengerechte Angebote zu zimmern. Doch werden von allen Parteien nach wie vor immense Potentiale unberücksichtigt gelassen. Das hat mit Datenschutzbestimmungen, mangelnden Ressourcen, vor allem aber mit der Angst vor Kontrollverlust zu tun. Denn im Internet wird weitaus horizontaler kommuniziert, als es den Parteistrategen bislang recht ist. Schon hier wird deutlich, dass das Netz sowohl eine Ressource als auch ein Risiko für politische Organisationen darstellt. Beteiligung über das Internet kann jedoch nur funktionieren, wenn politische Organisationen kommunikativ wie substanziell auf einen gewissen Teil der Kontrolle verzichten und wenn sie die Vermittlung von Politik tatsächlich um den Aspekt des Zuhörens erweitern. Obama hat dies berücksichtigt und das Internet nicht nur als Verlautbarungsinstrument genutzt sondern dafür, seine politische Vorhaben im kommunikativen Austausch zu erarbeiten und zu begründen. Außerdem (und dies ist die zentrale Lehre für den deutschen Wahlkampf, bei dem die Parteien wieder mit allerlei technischem Schnickschnack aufwarten werden) war ihm die Präsenz im Internet weder Selbstzweck noch Allheilmittel, sondern Bestandteil einer beispiellosen, auch klassische „Tür-zu-Tür“-Strategien umfassenden Mobilisierungsanstrengung, mit der er auch weniger technikaffine Bevölkerungsschichten erreichte.

Das ändert nichts daran, dass die deutschen Parteien im Wahlkampf und darüber hinaus differenzierter und dialogorientierter kommunizieren müssen. Ein Hauptgrund für den Erfolg der LINKEN besteht darin, dass Gerade Oskar Lafontaine und Gregor Gysi dem Volk nicht nur nach dem Mund reden, sondern selbigem auf das sprichwörtliche „Maul schauen“. Deshalb schlagen auch Dämonisierungskampagnen gegen die LINKE in der Regel fehl, weil viele Wähler der Partei zu Gute halten, ihnen wenigstens Gehör zu schenken. Wollen sie ihre gesellschaftliche Verankerung sichern und ihre Gestaltungskraft bewahren, müssen die Parteien schon während der Themenfindung den Dialog mit verschiedenen Öffentlichkeiten suchen – auch, aber nicht nur über das Internet. Darüber hinaus werden sie nicht umhin kommen, ihre Organisationskulturen nachhaltig zu verändern und jenen neuen Partizipationsbedürfnissen Rechnung zu getragen, die auf die (auch temporäre) Mitwirkung an konkreten politischen Projekten ausgerichtet sind.

Die Herausforderung besteht darin, die Authentizität des politischen Personals und des politischen Prozesses zu wahren und mit medientauglichen und dialogorientierten Kommunikationsstrategien in Einklang zu bringen. In einem Führungsverständnis, das der eigenen Anhängerschaft sowie zeitgemäßer und genuiner Kommunikation eine zentrale Rolle einräumt, besteht die zentrale Lektion des „Jahrhundert-Wahlkampfes“ Barack Obamas.

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