Zypries: „Ich bin sehr skeptisch, ob das Leistungsschutzrecht das richtige Mittel ist.“

von , 1.5.11

Helmut Hartung: Frau Zypries, muss das Urheberrecht geändert werden?

Zypries: Skeptisch, ob das Leistungsschutzrecht das richtige Mittel zum Schutz von Presseerzeugnissen im Internet ist (Foto: promedia)

Brigitte Zypries: Angesichts der technischen Entwicklung unterliegt das Urheberrecht einem ständigen Anpassungsdruck. In der letzten Legislaturperiode haben wir mit dem 2. Korb wesentliche Änderungen durchgesetzt, um das Urheberrecht fit zu machen für das digitale Zeitalter.

Doch schon damals war klar, dass es in bestimmten Bereichen weiteren Anpassungsbedarf geben wird. Dazu zählen Regelungen zu vergriffenen und verwaisten Werken, Regelungen im Wissenschaftsbereich – Stichwort „open access“ – und weitere Maßnahmen. Sowohl zu den verwaisten Werken als auch zu einem unabdingbaren Zweitverwertungsrecht („open access“) hat die SPD-Bundestagsfraktion übrigens Gesetzentwürfe eingebracht – hier könnte sehr schnell eine Lösung gefunden werden, wenn die Regierungsfraktionen sich anschließen.

Sehen Sie Bedarf, die Herstellung einer Privatkopie weiter zu reglementieren?

Nein, ich sehe keinen Bedarf. Das geltende Gesetz lässt alle technischen Entwicklungen zu – wie z.B. DRM-Systeme –, so dass die Urheber eine Vergütung für ihr Werk erhalten können.

Welche Rolle muss ein fairer Interessenausgleich zwischen Rechteinhabern und Nutzern beim 3. Korb spielen?

Was die Regierung im 3. Korb plant, wissen wir nicht – der seit Monaten angekündigte Entwurf liegt bisher nicht vor. Unabhängig von den Regelungen im Einzelnen gilt für die SPD auch bei der Reform des 3. Korbs: Es muss einen fairen Interessenausgleich zwischen Rechteinhabern und Nutzern geben – Urheber müssen die Chance auf ein ordentliches Einkommen für ihr Werk und Nutzer müssen den ungehinderten und (kosten)günstigen Zugang zu den (Online-)Angeboten haben.

Im Zusammenhang mit dem 3. Korb soll es ein Leistungsschutzrecht für Printverleger geben. Sehen Sie dazu eine Notwendigkeit?

Das Problem bei der Debatte um ein Leistungsschutzrecht ist meines Erachtens, dass keiner so genau weiß, wie ein solches Schutzrecht aussehen soll. Es kursieren verschiedene Vorschläge und Ideen – angefangen von dem Vorschlag für eine „lex google“ bis hin zum nackten Leistungsschutzrecht.

Was aber genau der Schutzgegenstand sein soll, inwieweit die Urheber davon profitieren und wie ein solches Recht durchgesetzt werden soll, ist unklar. Auch die Regierung hat hier noch keinen konkreten Vorschlag gemacht. Ich bin sehr skeptisch, ob das Leistungsschutzrecht das richtige Mittel ist, um Presseerzeugnisse zu schützen und Verlegern auch im digitalen Zeitalter Einkünfte mit ihren Produkten zu sichern – denn darum geht es – bei aller Unklarheit – offenbar.

Wo sehen Sie den Unterschied zu anderen Trägern von Leistungsschutzrechten?

Zypries: Es stimmt nicht, dass Verleger völlig schutzlos sind. Schon heute haben Verlage bereits einen breiten Schutz, der über die nackten Leistungsschutzrechte anderer Werkvermittler deutlich hinausgeht. Zwar steht das Urheberrecht zunächst einmal dem Urheber, dem Autor zu. Die gängige Praxis zeigt aber, dass sich die Verlage von den Autoren, Journalisten und Fotografen durch Verträge vollumfängliche Nutzungsrechte einräumen lassen und so nahezu vollständig in die Rechtsstellung des Urhebers eintreten. Sie erhalten die gleiche Schutzposition wie der Urheber selbst.

Es geht also bei dem Leistungsschutzrecht nicht darum, den Verlegern ein Minimum an Rechten zuzusprechen, die sie nach derzeitiger Rechtslage sonst nicht hätten, sondern um mehr Rechte für die Verleger.

Wie können generell die Interessen der Verlage besser geschützt werden?

Wichtig ist zunächst, dass die Verlage ordentliche Geschäftsmodelle für das Internet entwickeln. Apple hat vorgemacht, dass man im Internet mit Musik und Literatur Geld verdienen kann. Da müssen weitere Modelle folgen. Denkbar ist auch die steuerliche Gleichbehandlung von Presseerzeugnissen einerseits und digitalen Inhalten sowie elektronischen Dienstleistungen wie E-Books und Online-Zeitungen andererseits bei der Höhe des Mehrwertsteuersatzes.

Für Online-Inhalte gelten die gleichen kultur- und bildungspolitischen Erwägungen wie bei Druckerzeugnissen. Damit würde auf die zunehmende Bedeutung des Internets für die Wissens- und Informationsvermittlung reagiert und es gäbe einen größeren Anreiz für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle von digitalen Angeboten.

Die Presseverleger können außerdem sicher sein, dass sich die SPD dafür einsetzen wird, Rechtsverletzungen im Internet besser zu verfolgen. Dies wäre zum Beispiel durch eine bessere Vermutungsregelung bei der Frage der Urheberschaft möglich.

Wie bewerten Sie die Bemühungen von Verwertungsgesellschaften, Online-Piraten gerichtlich zu verfolgen?

Es ist das gute Recht der Verwertungsgesellschaften oder der Urheber selbst, gegen Rechtsverletzungen im Internet vorzugehen. Problematisch ist allerdings die Abmahnpraxis einiger Anwaltskanzleien. Deshalb haben wir in der letzten Legislaturperiode eingeführt, dass bei einem erstmaligen Verstoß in einem einfach gelagerten Fall mit einer nur unerheblichen Rechtsverletzung nicht mehr als 100 Euro für die Anwaltsgebühr erhoben werden darf.

Die Praxis zeigt, dass dies geholfen hat – es gibt aber leider immer noch zu viele Fälle, in denen Anwaltskanzleien geschäftsmäßig abmahnen. Hier sind meines Erachtens auch die Anwaltskammern aufgerufen, dem Vorgehen einiger schwarzen Schafe einen Riegel vorzuschieben. Im Übrigen sind die Verbraucherberatungen eine gute Anlaufstelle, sollte man selbst einmal Probleme mit einer Abmahnung bekommen.

Frankreich verfügt mit der Hadopi-Behörde über eine Institution zur Verfolgung von Online- Piraterie. Würde eine ähnliche Behörde auch bei uns sinnvoll sein?

Nein, das glaube ich nicht. Hinter der französischen Hadopi-Behörde steckt die Idee, dass eine staatliche Internet-Kontrollbehörde gegen Internetpiraterie vorgeht. In drei Stufen werden die Nutzer bei illegalen Downloads abgemahnt, am Ende steht die Sperre des Internetzugangs des Anschlussinhabers auf der Grundlage eines richterlichen Beschlusses. Die Daten der Anschlussinhaber müssen von den Internetprovidern an die Hadopi-Behörde geliefert werden.

Für diese Art von Datensammelwut gäbe es in Deutschland keine parlamentarische Mehrheit. Was sich auf den ersten Blick so einfach anhört, ist aus meiner Sicht kein adäquates Mittel im Kampf gegen Online-Piraterie. Hadopi verlangt von den Internetprovidern, dass sie die Onlineaktivitäten der Nutzer überwachen, mutmaßliche Urheberrechtsverletzer müssen sie an die Hadopi-Behörde melden, die dann amtliche Warnbriefe verschickt.

Somit werden die ISPs mit in die Verantwortung genommen, Recht im Internet durchzusetzen – ein falscher Weg, finde ich. Nach der Diskussion um die Netzsperren im Zusammenhang mit der Kinderpornographie sind wir in Deutschland mittlerweile schlauer – selbst die Bundesregierung will das umstrittene Zugangserschwerungsgesetz aufheben.

Damit ist klar: Die überwiegende Mehrheit im Deutschen Parlament lehnt Internetsperren ab – das muss nach meiner Auffassung auch im Bereich des Urheberrechts gelten.

Dieses Interview führte Helmut Hartung für das von ihm herausgegebene medienpolitische Magazin promedia. Carta übernimmt den Text mit freundlicher Genehmigung des Autors. Weitere Informations und Probeabo von promedia unter www.promedia-berlin.de.

/th

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